Es sind Bilder der Hoffnung. Bilder der Vorfreude. Auch er hat sie gesehen. Wie die Schweizer Nationalmannschaft nach Frankreich reist, um an der EM für Furore zu sorgen. Die Bilder haben nur einen Fehler: Josip Drmic selbst ist nicht darauf zu sehen.
Während die Schweizer Nati-Spieler in Montpellier trainieren, kämpft sich Josip Drmic in Mönchengladbach zurück ins Fussballer-Leben. Mitte März hat er sich einen komplizierten Knorpelschaden im Knie zugezogen. Saisonende. EM-Out. Wenn er darüber am Telefon spricht, sucht seine Stimme am Telefon manchmal Halt. Manchmal seufzt er. Aber verzweifelt tönt Drmic nie. «Ich habe mich darauf eingestellt, dass ich rund um die EM solche Bilder sehe. Schade, dass ich nicht dabei sein kann. Aber ich freue mich für die Jungs! Ich traue ihnen zu, dass sie die Überraschung des Turniers werden.»
Drmic schaut auf emotionale Monate zurück. Im letzten Sommer wechselt er zu Mönchengladbach, hat einen schwierigen Start. Im Winter der Transfer zum Hamburger SV. Und dann diese Hiobsbotschaft nach nur sechs Spielen. «Es passierte in einem Spiel in Leverkusen. Ich bin hängen geblieben und habe mir das Knie verdreht. Zuerst bin ich wieder aufgestanden, habe weitergespielt. Auch nach dem Spiel bei den ersten Untersuchungen dachten die Ärzte, ich habe möglicherweise Glück gehabt. Erst das MRI am nächsten Tag zeigte, wie schlimm es wirklich war.»
Knapp drei Monate sind seither vergangen. Jetzt redet Drmic erstmals über seine schwierige Zeit. Er sagt: «Ich habe den Rückschlag offen angenommen. Früher hätte ich mir vielleicht den Kopf zerbrochen. Aber es ist besser, die Realität zu akzeptieren und nach vorne zu schauen.»
Dass die Schweiz an der EM ohne Drmic auskommen muss, schmerzt. Mit seiner Schnelligkeit, seiner Unberechenbarkeit und seinem Torriecher ist er eines jener Elemente, die im helvetischen Fussball ziemlich rar gesät sind. Auch auf dem Weg nach Frankreich spielte er eine wichtige Rolle. Drmic war es, der bei den Wenden in den Qualifikationsspielen gegen Litauen (vom 0:1 zum 2:1) und Slowenien (vom 0:2 zum 3:2) den Weg wies. In Litauen traf er zum Ausgleich. Gegen Slowenien zum 1:2 und zum 3:2 in der Nachspielzeit.
Nun fehlt er. «Natürlich bin ich etwas traurig», sagt er, «aber dieses Gefühl kenne ich ja bereits.» Drmic blickt zurück auf die U17-WM. Damals verpasste er das Turnier, an dem die Schweizer später Weltmeister wurden, weil ihm die Gemeinde Freienbach die Einbürgerung (noch) verweigerte.
Auch zur Schweizer Geschichte der WM 2014 trug der 23-Jährige einen guten Teil bei. Nicht nur wegen seines unvergessenen Videos, als er beim Hotel-Pool eine Flanke von Xherdan Shaqiri mit einem Sprung ins Wasser und gleichzeitigem Seitfallzieher veredelte. Sondern vor allem, weil er zusammen mit Shaqiri im letzten Gruppenspiel gegen Honduras und im Achtelfinal gegen Argentinien zu Hochform auflief. «Die WM war eines der schönsten Erlebnisse meines Lebens», sagt Drmic im Rückblick. Und natürlich muss er noch häufig daran denken, wie er plötzlich alleine vor Argentiniens Torhüter Romero steht. «Im Nachhinein betrachtet, war dieser versuchte Lobball wohl die falsche Entscheidung», sagt er, «aber passiert ist eben passiert.»
Überhaupt war die Saison 2013/14 die beste von Drmic. Nach seinem Wechsel vom FC Zürich in die Bundesliga startet er sofort durch. Beim FC Nürnberg ist er bald die grösste (und eigentlich einzige) Hoffnung im Abstiegskampf. 17 Tore gelingen ihm. Nach der Winterpause spielt er sich richtiggehend in einen Rausch. Es fehlte nicht viel und Drmic wäre gar Torschützenkönig in der Bundesliga geworden. Am Ende wird es Platz drei – drei Tore weniger als Lewandowski, ein Tor weniger als Mandzukic.
Nürnberg steigt trotz Drmic ab. Er verlässt den Verein. Und findet weder in Leverkusen noch in Mönchengladbach zum Vertrauen in sich selbst, das ihn so stark gemacht hat. Jetzt sieht er den Neubeginn auch als Chance. Seit einiger Zeit darf Drmic wieder ohne Krücken gehen. «Ich bin happy, dass ich wieder laufen kann. Ich musste fast bei null anfangen. Nun ist die Hälfte der Reha bald geschafft.» Wann der Stürmer sein Comeback gibt, will er bewusst offen lassen. «Ich mache mir keinen Stress. Eine Verletzung braucht manchmal mehr Zeit, als man denkt. Hauptsache, ich werde wieder gesund.» Eine erneute Ausleihe von Borussia Mönchengladbach ist im Moment kein Thema. Der Verein glaubt weiterhin an ihn.
In den Wochen nach seiner Knieverletzung hat Drmic immer wieder Kontakt
mit seinen Kollegen aus dem Nationalteam. «Es tat gut, so viele
Genesungswünsche zu bekommen.» Nun ist er aus der Ferne der grösste Fan
der Schweizer Nati. Und hofft, dass seine Prognose der
Überraschungsmannschaft Realität wird.