Das Training der Nationalmannschaft im OYM von Cham ist intensiv. Patrick Fischer lässt Rush-Angriffe trainieren. Verteidiger wie Stürmer flitzen Mal für Mal in hohem Tempo übers Eis. Nach gut zwei Stunden ist Schluss. Wenig später steht mir Calvin Thürkauf in kurzen Hosen und im T-Shirt gegenüber. Ob es ihm etwas ausmache, das Gespräch in der kühlen Trainingshalle zu führen? «Gar kein Problem, ich bin mir die Temperaturen gewöhnt.»
Calvin Thürkauf, fassen Sie doch ihre bisherige Saison in einem Satz zusammen.
Ziel erreicht.
Welche Ziele waren das?
Ich wollte zeigen, dass ich in der Schweizer Liga eine grosse Rolle spielen kann. Dass ich in der Lage bin, der Mannschaft so gut wie möglich zu helfen.
Letztes Jahr waren Sie in Zug Teil der Meistermannschaft, mussten in den Playoffs allerdings zuschauen. War das frustrierend?
Ich hatte mir im Januar das Bein gebrochen. Für die Playoffs wäre ich eigentlich wieder bereit gewesen, aber in meiner Absenz haben sich andere Spieler in den Vordergrund gespielt. Das verstand ich natürlich. Ich habe mit der Mannschaft mitgefiebert und bin dankbar für die Erfahrung. Aber jetzt habe ich daran geschnuppert und will das nächste Mal auch auf dem Eis stehen, wenn wir gewinnen.
Wie erklären Sie sich Ihre Leistungssteigerung? Von 5 Punkten in 22 Spielen in Zug zu 35 Punkten in 50 Spielen in Lugano.
Letztes Jahr in Zug war die Mannschaft sehr stark. Ich kam in ein Team, das so schon drei Jahre zusammengespielt hat. Dann ist es immer schwer, jemandem den Platz wegzukämpfen. Jetzt in Lugano konnte ich das Vertrauen des Trainers gewinnen. Er hat auf mich gesetzt und ich konnte zeigen, was ich draufhabe. Darauf kann ich jetzt weiter aufbauen.
Der Wechsel hatte auch zur Folge, dass Sie in den Playoffs ausgerechnet auf Ihren Jugendverein Zug trafen.
Das war sicher speziell. Natürlich hätte ich viel lieber gewonnen als ein 0:4 in der Serie zu kassieren. Aber sie sind eine gute Mannschaft, waren etwas disziplinierter als wir und haben deshalb gewonnen.
In Lugano kommen Sie in allen Situationen zum Einsatz. Wie wichtig ist es Ihnen, diese Verantwortung zu übernehmen?
Ich versuche auf dem Eis umzusetzen, was der Coach von mir verlangt. Ob das am Ende auch in Überzahl oder Unterzahl ist, ist mir nicht so wichtig. Ich spiele dort, wo der Trainer mich will.
Kannten Sie Chris McSorley vorher bereits?
Nein. Als ich den Vertrag in Lugano unterschrieben habe, wusste ich auch nicht, dass er der Trainer sein wird. Aber es war cool zu merken, dass er mir vertraut. So kann ich in jedem Spiel meine beste Leistung zeigen.
Sie sind erst seit zwei Jahren zurück in der Schweiz. Wie kam es 2015 zum Wechsel nach Nordamerika?
Als ich 18 war, hatte mein Agent Anfragen von einigen Juniorenteams. Ich hatte mich zuerst eigentlich dagegen entschieden, nach Nordamerika zu wechseln. Im Import-Draft der kanadischen Juniorenliga wurde ich dann aber trotzdem gezogen. Das habe ich als Zeichen gedeutet. Ich sagte mir, diese Chance muss ich packen und schaute nie mehr zurück.
Was waren die wichtigsten Lektionen, die Sie in Übersee gelernt haben?
Ich habe gelernt, mich durchzusetzen. Nicht nur innerhalb einer Mannschaft, sondern auch sonst. In den kanadischen Juniorenligen hat es 100 Leute, die um einen Platz in einer Mannschaft spielen. Es heisst fressen oder gefressen werden. Die Mentalität ist eine andere als hier in der Schweiz. Ich hatte auch mit Verletzungen zu kämpfen, als ich in Übersee war. Das ist schwierig, wenn du alleine bist. Ich habe mir eine mentale Härte angeeignet.
Im Februar 2020 gaben Sie für die Columbus Blue Jackets Ihr Debüt in der NHL. Wie fühlte es sich an, auf der ganz grossen Bühne zu stehen?
Das war eine coole Erfahrung. Es ist der Traum jedes Knaben, der Eishockey spielt, und ich konnte mir diesen erfüllen. Leider war es ein etwas kurzes Gastspiel, auch wegen Corona. Ich bin trotzdem sehr froh, konnte ich diese Erfahrung machen.
Ihre NHL-Premiere war auch für Ihren Vater speziell und turbulent.
Genau, er hätte ans Debüt-Spiel kommen wollen, kaufte kurzfristig ein Ticket nach Nashville. Doch weil sein Flug in London Verspätung hatte, kam er am Ende nicht rechtzeitig für das Spiel in der Stadt an.
Er hat Sie aber doch noch spielen sehen?
Ja, er flog wie wir zurück nach Columbus und konnte dann bei meinem zweiten NHL-Spiel mit dabei sein.
Dennoch war ihr Nordamerika-Abenteuer wenig später vorbei. Warum?
Mein erstes Jahr zurück in der Schweiz war ich ausgeliehen, ich hatte noch einen Vertrag in Columbus. Die Blue Jackets haben mich in Zug untergebracht, für den Fall dass die Saison in Nordamerika komplett ins Wasser fällt. Eigentlich wäre geplant gewesen, dass ich nach dem Ende der Saison in der Schweiz nach Columbus zurückkehre. Doch mit dem Beinbruch im Januar 2021 und weil ich auch keine sehr gute Saison hatte, war das keine Option mehr.
Das muss frustrierend sein.
So ist halt dieses Business. Man wird schnell abgesägt. Insbesondere in Nordamerika wird man behandelt wie ein Stück Fleisch.
Columbus besitzt immer noch die Rechte an Ihnen. Haben Sie noch Kontakt zum Team?
Nein, der letzte Kontakt war im vergangenen Sommer.
Die Rückkehr in die Schweiz hat auch eine Rückkehr ins Nationalteam ermöglicht. Wie haben Sie die Olympischen Spiele erlebt?
Die Reise nach Peking kam für mich ziemlich überraschend. Ich war eigentlich nur auf der Pikett-Liste und schon wieder auf dem Weg zurück nach Zug zu meinen Eltern, da klingelte das Telefon. Also packte ich mein Zeug und kehrte wieder um. Es war eine coole Erfahrung. Ich habe dort auch Selbstvertrauen für die restliche Saison sammeln können.
Was bedeutet es für Sie, die Schweiz international zu vertreten?
Es ist eine grosse Ehre, die nicht jedem zuteilwird. Es war immer mein Ziel. Ich habe die U18-WM gespielt, die U20-WM auch und im Februar auch Olympia.
Dann ist jetzt die A-Weltmeisterschaft dran.
Das ist das nächste grosse Ziel. Ob dieses Jahr oder erst in den kommenden Jahren: Ich will mit der Schweiz Weltmeister werden.