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Du willst nur das Beste? Voilà:
Benjamin Huggel, zehn Jahre ist es her. Ist die WM-Barrage gegen die Türkei für Sie auch schon so weit weg?
Benjamin Huggel: Nein, wahrscheinlich ist es noch weiter weg als zehn Jahre. Es
ist sehr lange her und ich werde jetzt von Ihnen daran erinnert.
Sie wussten es gar nicht?
Doch,
doch, das habe ich schon gewusst. Ich mache an diesem «speziellen» Tag heute
aber nichts Aussergewöhnliches. Ich würde auch nicht speziell viel darüber
sprechen, wenn ich nicht von Seiten der Medien darauf angesprochen worden wäre.
So
schlimm?
Aus
sportlicher Hinsicht war es toll, dass wir uns für die Weltmeisterschaft in
Deutschland qualifizieren konnten. Über alles andere, was an diesem Abend
geschah, bin ich nicht stolz. Das war ja nicht gerade ein Akt zum Jubeln.
Welche
Erinnerung flammt zuerst auf, wenn sie auf dieses Spiel angesprochen werden:
Der sportliche Triumph oder die Tumulte?
Die
Tumulte. Sie haben nicht nur den sportlichen Erfolg komplett überschattet. Sie
haben uns auch den Moment geraubt, uns über das Erreichte zu freuen.
Ist das
Spiel auch in ihrem Alltag noch Thema?
Kommt drauf an. Mit Bekannten von mir ist das Thema abgeschlossen.
Auf der Strasse werde ich aber immer wieder mal von Unbekannten darauf
angesprochen. Die Erinnerungen an dieses Spiel sind in der Schweiz sehr ausgeprägt.
Können
Sie dieses zeitlose Interesse nachvollziehen?
Ja. Das kann ich verstehen.
Ist es
selbstverständlich?
Nein,
selbstverständlich nicht. Aber es war ein spezielles Spiel mit speziellen
Rahmenbedingungen. Dazu kam, dass auch das Spiel selber spannend war bis zur
letzten Sekunde. Es ging Spitz auf Kopf zu und her. Dass wir uns dann auch noch
qualifizierten, macht es für die Schweiz zu einem Highlight.
Am
Flughafen in Istanbul wurde die Nati nicht gerade rühmlich empfangen.
Nein.
Noch bevor wir aus dem Flugzeug aussteigen konnten, schrie ein
Flughafenangestellter irgendetwas ins Flugzeug, während er die Tür öffnete. Das
war schon mal sehr ungewöhnlich. Allerdings nahmen wir das zu diesem Zeitpunkt
noch belustigt zur Kenntnis.
Auf dem Weg ins Hotel wurde
der Mannschaftsbus mit Eiern und Steinen beschossen. Hatten Sie Angst?
Ja klar, das beeinflusst schon. Es ist klar, dass so etwas
nicht lustig ist. Aber es ist passiert, man muss es jetzt nicht mehr aufkochen
lassen.
Wie war
die Stimmung in der Kabine kurz vor dem Anpfiff?
Wir wussten, dass wir gleich in einen Hexenkessel einlaufen
würden. Darauf waren wir vorbereitet. Die Mannschaft war sehr fokussiert, alle
waren konzentriert.
War es
abgemacht, dass die ganze Mannschaft nach dem Schlusspfiff in die Katakomben
flüchtet?
Nein, das hat sich während dem Spiel ergeben. Nach dem
Schlusspfiff habe ich mich kurz gefreut. Als ich mich umdrehte, sah ich alle
Mitspieler in eine Richtung spurten. In diesem Moment wurde mir klar: Jetzt ist
etwas passiert, also muss ich auch rennen.
Wer hat
die Tumulte Ihrer Meinung nach ausgelöst?
Es ist vorbei. Es bringt nichts, jetzt noch böses Blut zu
erzeugen.
Sie sprechen nicht gerne
über die Geschehnisse nach dem Schlusspfiff.
Nein, nicht wirklich. Ich habe mich damals alles andere als
vorbildlich verhalten. Daran kann ich jetzt nichts mehr ändern, es gehört zu
meiner Geschichte. Die Strafe für mein Verhalten habe ich abgesessen. Das war
schlimm genug. Danach habe ich das Thema abgehakt.
Für die Aggressionen erhielten Sie von der Fifa eine Sperre von sechs
Partien. Die WM war weg. War die Strafe verhältnismässig?
Das ist unerheblich. Ich wurde bestraft für etwas, das man mit
Hilfe von Videoaufnahmen beweisen konnte. Die FIFA erachtete sechs Spiele als
angemessen. Das war wohl gerecht.
In der
Heimat wurden Sie zuweilen auch als Held gefeiert, der seinen Kameraden zur
Hilfe eilte. War es nicht auch irgendwie richtig, einzugreifen?
Ich weiss es nicht. Generell denke ich aber, dass es nicht die
richtige Reaktion war von mir, mit Gewalt zu antworten. Ausserdem war es für
mich nicht gut, weil ich dadurch die WM verpasst habe. Eine kluge Entscheidung
war es bestimmt nicht.
Hätte die
Schweiz ihren Beitrag leisten können, um das Geschehene nach dem Schlusspfiff
zu verhindern?
Davon bin ich heute überzeugt.
Wie denn?
Indem wir uns ganz ruhig im Mittelkreis versammelt und gemeinsam das Spielfeld
langsam verlassen hätten. Ich denke, die Tumulte wären nicht zu Stande
gekommen.
Schon das
Hinspiel in Bern war hitzig. Wurde die Basis für die Tumulte in der Schweiz
gelegt?
Gegen
solche Vorwürfe wehre ich mich vehement. Es darf nicht sein, dass Geschichten
konstruiert werden nur weil das Hinspiel sportlich hitzig verlief. Das ist
noch lange keine Legitimation für das, was in Istanbul geschah. Schliesslich
sind Playoff-Spiele immer hitzig.
Für die
Zuschauer am TV war das Spiel an Dramatik kaum zu toppen. Gab es einen Moment, in dem Sie an der Quali zweifelten?
Nein,
wieso auch, wir waren ja während des ganzen Spiels immer qualifiziert. Wir
glaubten stets, dass wir es schaffen. Nur der Schiedsrichter war nicht auf der
Höhe.
War ja
auch nicht einfach für ihn bei diesen Bedingungen.
Nein,
schon klar. Aber im Nachhinein hörte man immer, wie gut der Schiri war. Aus
meiner Sicht war er das überhaupt nicht. Er hätte eine viel strengere Linie
fahren müssen. So hätte er auch einen aktiven Beitrag dazu leisten können, dass
die Stimmung im Stadion nicht dermassen aufflammt.
Hatten
Sie eine Ahnung, dass es nach dem Abpfiff zu Handgreiflichkeiten kommen könnte?
Ich wusste, dass Deutschlands U21-Nati ein paar Jahre zuvor
Ähnliches widerfahren war. Deshalb war es schon irgendwie im Hinterkopf. Doch
wirklich daran geglaubt habe ich nicht.
Ist
dieses Spiel in der Türkei die schlimmste Erfahrung, die Sie als Fussballer
gemacht haben?
Ja.
Obwohl uns dieses Ereignis als Mannschaft auch zusammengeschweisst hat, wünsche
ich so etwas niemandem. Es war schlimm und man sollte es im Nachhinein auch
nicht verklären und sich darüber lustig machen. Es darf nicht sein, dass man
bei einem Fussballspiel um Leib und Leben Angst haben muss.
Sprechen
Sie mit den damaligen Nati-Kollegen noch über dieses Spiel?
Nur,
wenn wieder etwas in diese Richtung vorgefallen ist. Wenn zum Beispiel in einem
Spiel harmlose Gegenstände aus dem Publikum geflogen kamen. Dann sagen wir uns
immer: Das ist alles Kindergeburtstag gegenüber dem, was wir in Istanbul erlebt
haben.