Wie oft ist Ihnen das verlorene Penaltyschiessen im WM-Final gegen Schweden noch durch den Kopf gegangen?
Patrick Fischer: Natürlich war ich in dem Moment, als die Niederlage Tatsache wurde, extrem enttäuscht. Auch noch am Tag danach. Als wir dann aber in der Schweiz von den vielen Fans so herzlich empfangen wurden, da wurde mir bewusst, dass wir ja trotzdem etwas Grosses erreicht haben, obwohl wir nur haarscharf am ganz grossen Triumph vorbeigeschrammt sind. Mir hat eher Kevin Fiala sehr leid getan. Er haderte noch lange mit der grossen Chance, die er in der Verlängerung vergeben hatte.
Also hatten Sie während des Sommers keine unangenehmen Backflashs?
Es sind vor allem die Reaktionen der Leute auf der Strasse, die einen immer wieder an die WM erinnerten. Aber es waren durchweg positive Rückmeldungen. Am meisten freute mich, wenn ich von den Menschen hörte, dass sie die Auftritte der Mannschaft, die Art und Weise, wie wir spielten und uns präsentierten, sehr beeindruckt hätten. Und es ist so: Auch wenn wir verloren haben, war Kopenhagen von den Emotionen her genial.
Damit konnte man nach dem Olympia-Debakel von Pyeongchang ja wirklich nicht rechnen …
Wir gingen angeschlagen nach Kopenhagen. Wir wussten, dass wir dort liefern müssen. Gleichzeitig schafften wir es aber, trotz des Erwartungsdrucks die nötige Lockerheit zu bewahren.
Können Sie etwas zum Aufarbeitungsprozess zwischen Olympia und WM 2018 erzählen?
Für mich war nach der Enttäuschung von Pyeongchang wichtig, mit den Spielern zu reden. Haben sie noch das Vertrauen ins Coaching-Team? Glauben sie an den Prozess? Wenn die Spieler nicht mehr an das Projekt glauben, dann wird es schwierig. Dann muss man aufhören. Aber ich spürte, dass das Vertrauen da war. Auch von meinen Vorgesetzten im Verband. Sie blieben ruhig und liessen uns Zeit. Und ich wusste, dass wir uns revanchieren werden.
Von aussen wurde Ihnen nur noch wenig Kredit gegeben.
Was die Leute rundherum sagen, kann ich sowieso nicht kontrollieren und auch nicht gross beeinflussen. Wir können nicht mehr, als uns so gut wie möglich zu präsentieren. Aber ja: Nach Pyeongchang war es relativ unruhig im Schweizer Eishockey-Universum gegenüber mir und der Mannschaft.
An Tag 2 der Schweizer Herren-#Nati in Bratislava standen offizielle Termine für Spieler und Staff auf dem Programm – vom Fotoshooting über das Medical Meeting bis zum Ausrüstungscheck der Torhüter. #HoppSchwiiz #IIHFWorlds2019 https://t.co/2dwUjjEqWt pic.twitter.com/GntdmM5rzJ
— Swiss Ice Hockey (@SwissIceHockey) 9. Mai 2019
Hatten Sie nie Zweifel an Ihrer Arbeit?
Nein. Natürlich spürte ich diese Zweifel im Umfeld. Aber das ist der Sport. Mit dem muss man umgehen können. Ich bin keiner, der sich in so einem Moment lange den Kopf zerbricht. Tat es weh? Ja? War ich enttäuscht? Ja. Aber ich habe mein Bestes gegeben. Ich sagte mir: «Heute schmerzt es. Morgen ist ein neuer Tag. Helm richten und auf gehts.» So bin ich. Mit Selbstmitleid verliere ich sowieso keine Zeit. Es braucht auch solche Rückschläge, um wachsen zu können.
Welche korrigierenden Massnahmen ergriffen Sie?
Die grosse Erkenntnis der beiden Turniere in Pyeongchang und der WM 2017 in Paris war, dass wir bei 5 gegen 5 Spielern auf dem Eis zu den besten Teams gehören. Aber sowohl im Powerplay als auch im Boxplay zu den schwächsten. Also bin ich in die USA zu den Tampa Bay Lightning geflogen und erhielt dort einen detaillierten Einblick in die Trainingsgestaltung. Davon konnte ich viel mitnehmen. An der letzten WM hatten wir im Powerplay eine Erfolgsquote von 35 Prozent. Das ist ein sehr guter Wert.
Der Erfolg einer Schweizer Nationalmannschaft steht und fällt mittlerweile ja auch mit der Beteiligung der NHL-Spieler. In dieser Beziehung hat unser Eishockey massive Fortschritte gemacht. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Man merkt gerade bei den Spielern mit den 90er-Jahrgängen, dass die Ausbildung in der Schweiz viel besser geworden ist. Diese Spieler sind schon mit sehr guten Voraussetzungen nach Nordamerika gewechselt. Und diese Jungs wie Roman Josi, Timo Meier, Nino Niederreiter, Kevin Fiala oder Nico Hischier sind einfach gut. Man merkt auch, dass die Schweizer Spieler in der NHL ernst genommen werden, dass sie einen grossen Einfluss auf ihre Mannschaften haben können.
Macht es Sie eigentlich besonders stolz, dass die NHL-Spieler, wenn es ihre Gesundheit und ihre vertragliche Situation zulässt, so gerne in die Nationalmannschaft kommen?
Ich glaube, dass das weniger mit mir zu tun hat. Das ist eine Frage des Charakters. Roman Josi oder Nino Niederreiter kamen auch schon unter Sean Simpson an die WM. Die sagen: «Wenn es die Situation erlaubt und ich gesund bin, dann komme ich. Du musst mich gar nicht fragen.» Die wollen für die Schweiz spielen. Wenn Spieler dieses Kalibers solchen bedingungslosen Einsatz zeigen, was wollen dann die anderen sagen? Man braucht solche Vorbilder. Letztes Jahr flog Roman Josi mit Nashville im siebten Spiel gegen Winnipeg aus den Playoffs. Einen Tag später sass er im Flieger nach Kopenhagen. Der Captain der Nashville Predators. Solche Aktionen helfen natürlich dem ganzen Programm. Und sie motivieren mich auch.
Sie wirken gegen aussen immer sehr ruhig und gelassen. Was hilft Ihnen, Ihre emotionale Mitte zu finden?
Als Spieler war ich auf emotionaler Ebene ständig auf einer Berg-und-Tal-Fahrt. Mir fehlte oft der Abstand. Ich liess mich durch gute Spiele blenden, dafür von schlechten runterziehen. Ich hatte zwar eine gute Karriere, aber ich hätte diesbezüglich wohl noch mehr erreichen können.
Und als Trainer?
Grundsätzlich gilt: Es ist für mich ein Traum und eine Ehre, in meinem Lieblingssport mein Lieblingsland vertreten zu dürfen. So den Leuten etwas zurückzugeben, ihnen Freude zu bereiten. Gleichzeitig ist mir aber auch bewusst: Es geht hier nicht um Leben und Tod. Als Spieler fehlte mir dieser Blickwinkel. Mir ist einfach wichtig, dass ich und mein Coaching-Staff immer unser Bestes geben und so versuchen, das Beste aus der Mannschaft herauszuholen.
Sie haben sich nach dem Rücktritt als Spieler ausgeklinkt aus dem Eishockey. Würden Sie das wieder so machen?
Für mich gab es 30 Jahre lang nur Eishockey. Ich musste mir mit 33 die Frage stellen: Was mache ich nachher? Wo führt mein Weg hin? Ich musste herausfinden, was ich noch anderes kann als Pucks rumschiessen. Letztlich geht es im Leben doch um die innere Befriedigung. Ich merkte, dass ich gerne mit Menschen arbeite, dass ich die Leute gerne inspiriere und motiviere. Deshalb bin ich automatisch wieder ins Eishockey zurückgekommen.
Da gäbe es ja durchaus noch Berufsfelder ausserhalb des Eishockeys ...
Ja, zum Beispiel Life-Coaching. Ich merke, dass viele Menschen Mühe haben, mit gewissen Situationen umzugehen. Wenn ich gefragt werde, was meine grosse Stärke als Spieler war, sage ich immer: «Ich war nicht der Schnellste, der Grösste und der Härteste. Ich war auch weder der allerbeste Schütze noch der Supertechniker. Aber ich konnte im entscheidenden Moment meine beste Leistung abrufen.» Das versuche ich auch jetzt als Trainer: meine Jungs so weit zu bringen, dass sie bereit sind, wenn es zählt.
Wie vermittelt man dieses Gefühl?
Ich denke, entscheidend ist, dass man in die eigenen Fähigkeiten vertraut. Und in Drucksituationen trotzdem mit einer gewissen Lockerheit ans Werk geht. Wenn Sie bei uns vor dem WM-Final in die Garderobe gekommen wären, hätten Sie nicht für möglich gehalten, dass jetzt so ein wichtiges Spiel auf dem Programm steht. Es war ein Mix zwischen gesunder Selbstsicherheit und dem unbedingten Drang, endlich auf dem Eis loslegen zu können. Mein Ziel ist es, dass sich jeder Spieler wohl fühlt und so in der Lage ist, seine beste Leistung abzuliefern.
In den Monaten nach dem Gewinn der Silbermedaille in Kopenhagen waren Sie in den Medien omnipräsent. Bisweilen erhielt man das Gefühl von «Patrick Fischer Superstar». Gefallen Sie sich in dieser Rolle als bekannte Figur des Schweizer Eishockeys?
Es gehört dazu. Mit meiner Rolle als Nationaltrainer gehen auch gewisse Verpflichtungen einher. Ich versuche immer, den Leuten etwas mitzugeben, sie zu inspirieren. Ich möchte ihnen vermitteln, dass sie ihr Leben bewusst führen und immer an sich selber glauben sollen.
Es ist aber nicht selbstverständlich, dass sich jeder Nationaltrainer grosser Mannschaftssportarten dieser Rolle und dieser Verantwortung bewusst ist ...
Für mich war extrem prägend, als wir 2013 nach dem WM-Silber von Stockholm in Zürich am Flughafen ankamen. Ich sah all die Kinder mit den glücklichen Gesichtern, ein Schweizer Fähnchen schwingend. Dieser Stolz auf die Schweiz, auf unsere Leistungsfähigkeit trägt mich. Mir fehlt bisweilen dieses Selbstbewusstsein in unserem Land. Wir machen so viele Sachen gut und sind oft weltweit Vorbilder. Wir sehen aber gerne die Sachen, die wir nicht so gut machen. Ich habe mir auf die Fahne geschrieben, gegen diese Denkweise anzukämpfen. Deshalb interpretiere ich meine Rolle als Nationaltrainer so offensiv. Und: Ich rede gern! (lacht).