Beim FC Sion rumpelt es mal wieder gewaltig. Präsident Christian Constantin beantragt mittels einstweiliger Verfügung die Aufhebung der Wiederaufnahme der Saison. Die Wettbewerbskommission soll eine Untersuchung gegen die Swiss Football League einleiten.
Bereits zuvor tauschten Sion und Xamax je zwei Spieler. Die Covid19-Regulatorien der FIFA besagen, dass sich die auslaufenden Verträge wegen der Coronapause bis zum Ende der Saison automatisch verlängern. Trotzdem trainierten Geoffroy Serey Die, Johan Djourou und Xavier Kouassi schon mit ihren neuen Klubs und Gaëtan Karlen wird ab dem 1. Juli auch in Sion erwartet. Aber dürfen die wechselwilligen Spieler überhaupt spielen? Und hat Constantin mit seiner Klage wirklich Aussicht auf Erfolg? Wir haben bei Sportrechtler Martin Kaiser nachgefragt.
Herr Kaiser, Christian Constantin wendet sich an die Wettbewerbskommission und will von ihr überprüft haben, ob die Weiterführung der Saison rechtens ist. Wie sind seine Chancen?
Martin Kaiser: Die Swiss Football League hat eine Monopolstellung im Schweizer Fussball, da es nur eine Super League gibt, die alles entscheidet. Ein möglicher Missbrauch einer Monopolstellung kann stets überprüft werden. Vorliegend haben sich die Vereine mit einem Mehrheitsentscheid für die Weiterführung der Saison ausgesprochen. Es liegt ein demokratischer Verbandsbeschluss der Vereine vor. Der FC Sion müsste wohl eher gegen diesen Verbandsbeschluss vorgehen und aufzeigen, inwiefern er gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen oder Verbandsrecht verstossen würde.
Das sehe ich vorliegend nicht, auch wenn Geisterspiele nicht unbedingt im Sinne des Sports sind und auch wirtschaftlich einen Verlust darstellen. Hier könnten ja die bereitgestellten Darlehen helfen, beziehungsweise müsste dort der Bund nun allenfalls nachbessern aufgrund der Einbussen durch die Geisterspiele. Erwähnenswert ist aber noch, dass der FC Sion im Jahre 2004 vor einem staatlichen Gericht einen wettbewerbsrechtlichen Erfolg gegen die SFL erzielte: Damals musste der FC Sion in die laufende Challenge League-Saison integriert werden, nachdem die SFL dem FC Sion die Lizenz verweigerte beziehungsweise die nachträgliche Teilnahme am Saisonbetrieb erschwerte.
Darf Geoffroy Serey Die noch in dieser Saison für den FC Sion spielen?
Meiner Meinung nach nicht. Gemäss den empfohlenen Grundsätzen der FIFA dauert die Saison nun über den Mai 2020 hinaus, weshalb sich auch der Vertrag von Serey Die bis zum effektiven Ablauf der Saison entsprechend verlängert – entgegen des Inhalts des Vertrages der Parteien. Der Beginn des neuen Arbeitsvertrags wird gleichzeitig bis zum Starttermin für die Saison 2020/2021 zeitlich «parallel» aufgeschoben. Verlängert sich die Dauer der effektiven Saison, müssen sich auch alle befristeten Arbeitsverträge verlängern, ansonsten funktioniert das System nicht. Auch im Juli kann Serey Die noch nicht für Sion spielen, da die aktuelle Saison noch läuft. Gleiches gilt auch für Gaëtan Karlen, der auch erst in der kommenden Saison für Sion spielen darf. Die Spieler werden aktuell von der SFL nicht registriert.
Welche arbeitsrechtlichen Möglichkeiten hat Sion-Präsident Christian Constantin?
Der Arbeitsvertrag zwischen dem FC Sion und Serey Die ab Juni 2020 ist für die SFL aus den genannten Gründen nicht relevant. Der Spieler kann aktuell gemäss anwendbaren Regularien nicht registriert werden. Xamax kann sich im Gegenzug auch auf den Standpunkt stellen, dass der Vertrag von Serey Die bis zum effektiven Ablauf der Saison weitergeht, obwohl er eigentlich Ende Mai 2020 auslief.
Welche Argumente hat die FIFA, dass Ihre empfohlenen Grundsätze auch von einem Zivilgericht berücksichtigt werden?
Will man die laufende Saison fertig spielen, was von den Vereinen ja beschlossen wurde, kann man es nur so handhaben. Man kann argumentieren, dass sich die Clubs mit der (Mehrheits-)Zustimmung für die Weiterführung der Saison auch diesen Grundsätzen der FIFA unterordnen. Müsste ein Zivilgericht über eine entsprechende arbeitsrechtliche Streitigkeit urteilen, wäre dies zu berücksichtigen. Die Verlängerung der Saison mit diesen Regelungen inklusive Weitergeltung der früher auslaufenden Arbeitsverträge könnten so auch von einem Zivilgericht geschützt werden. Die Chancen für den FC Sion sind wohl eher klein, arbeitsrechtlich erzwingen zu können, dass Serey Die in dieser Saison noch für den FC Sion spielen kann.
Welche rechtlichen Möglichkeiten hat die FIFA, um ihre Covid19-Richtlinien bzw. die empfohlenen Grundsätze ihrerseits durchzusetzen?
Die FIFA stellt sich auf den Standpunkt, dass sie vorliegend endgültig entscheiden kann, da es um «höhere Gewalt» geht. Dies sehe ich problematisch, da in jedem Fall ein zwingendes Recht auf Anfechtung eines Vereinsbeschlusses nach Vereinsrecht besteht. Diese Empfehlungen könnten somit gerichtlich überprüft werden, was aber nicht heisst, dass sie nicht zulässig sind. Meiner Meinung sind sie im Sinne des Sports und somit rechtlich schützenswert. Dadurch kann die Saison geregelt zu Ende gespielt werden, was ein gewichtiges Interesse darstellt. Im Weiteren sind diese Grundsätze zusammen mit der Europäischen Clubvereinigung sowie der FIFPro, einer internationalen Spielervertretung, beschlossen worden. Das heisst, es gibt von allen Seiten eine grosse Akzeptanz. Die FIFA nennt ihre Vorgaben auch «nur» Empfehlungen, es fragt sich somit, wie rechtlich verbindlich diese dann tatsächlich auch sind. Dies reicht für Sanktionen bei Verstössen eher nicht aus.
Dürfen Xavier Kouassi und Johan Djourou, die in Sion fristlos entlassen wurden, weil sie nicht auf Lohn verzichten wollten, jetzt für ihren neuen Club Xamax auflaufen?
Grundsätzlich nicht. Denn arbeitslose Spieler dürfen gemäss Reglement der SFL nur dann während der laufenden Saison noch wechseln, wenn sie unter anderem bis am 15. Februar arbeitslos gemeldet waren. Das ist hier nicht der Fall. Doch die Liga könnte eine Ausnahmebewilligung erteilen.
Sie teilte mit, dass in Härtefällen neue Spieler qualifiziert und eingesetzt werden können. Darunter fallen auch Spieler, deren letzter Arbeitsvertrag aufgrund von Covid-19 beendet wurde.
Ja. Es könnte gut sein, dass Djourou und Kouassi als Härtefall durchgehen und deswegen eine Ausnahmebewilligung bekommen. Allenfalls könnte aber die Spielberechtigung auch über ein Gericht erstritten werden, wie in der Causa David Sesa: Weil sein Verein Napoli Konkurs ging, erliess das Handelsgericht Aarau 2004 eine superprovisorische Verfügung und zwang den Verband gegen seine Reglemente, Sesa auch ausserhalb der Transferzeit eine Spielerlaubnis für seinen neuen Verein, den FC Aarau, auszustellen. Ob hier ein vergleichbarer Fall vorliegt, ist fraglich, die Spieler könnten ja auch gegen die fristlose Kündigung vorgehen und ihr Lohn einfordern.
Können Vereine mit den betroffenen Spielern auch individuelle Lösungen finden?
Solange sich Verein und Spieler einvernehmlich einigen und die Reglemente eingehalten werden, ist das natürlich nie ein Problem. Die Reglemente können aber in keinem Fall umgangen werden.
Kann Zdravko Kuzmanovic auf Vertragsverlängerung bis zum effektiven Saisonende pochen, auch wenn ihn der FCB nicht mehr will? Kann die FIFA auch in diesem Fall Einfluss nehmen?
Auch sein Arbeitsvertrag läuft gemäss FIFA weiter, bis die aktuelle Saison effektiv beendet ist. Wenn der FCB keinen Lohn zahlt, müsste er diesen einklagen. Würde er dies über das Zivilgericht machen, müsste das Gericht wiederum entscheiden, ob der Arbeitsvertrag auch in seinem Fall aufgrund ihrer Grundsätze effektiv verlängert wurde. Dann gilt grundsätzlich das Gleiche wie für Serey Die und Karlen, selbst wenn Kuzmanovic keinen neuen Verein hat. Die Auslegungsmöglichkeiten eines Gerichts im Falle eines Spielers, der die Karriere beendet, könnten aber grösser sein, da gerade kein Wechsel stattfindet.
Warum geniesst der Sport offenbar spezielle Rechte?
Versteht man diese sportbezogenen Hintergründe und Besonderheiten, lassen sich arbeitsrechtliche Streitigkeiten ohne Weiteres im Sinne des Sports lösen, auch wenn dies auf den ersten Blick fragwürdig erscheinen könnte. Im Weiteren gibt es auch im Arbeitsrecht Gegebenheiten, in welchen Kündigungstermine zeitlich nach hinten verschoben werden. Auch die Probezeit muss effektiv ablaufen und wird im Verhinderungsfall verlängert. So gesehen ist die Verlängerung des Arbeitsvertrages an die effektive Spielzeit nicht per se abwegig.
Was sind die Besonderheiten des Sportrechts?
Es ist zudem eine grundsätzliche Besonderheit des Sportrechts, dass ein übergeordneter Verband als dritte Partei mit Regulatorien Einfluss auf den Inhalt der Arbeitsverträge nimmt. Dies ist grundsätzlich zulässig, wenn es im Sinne des Sports und verhältnismässig ist. Im Gegensatz zur «normalen» Wirtschaft kann ein Fussballspieler auch nicht einfach künden und sogleich zu einem anderen Arbeitgeber gehen, da die Sportverbände enge Zeiträume definieren, in welchen ein Wechsel möglich ist. Die aktuelle Situation zeigt diese Besonderheit in zeitlicher Hinsicht und die damit verbundenen (sport-)rechtlichen Probleme exemplarisch auf.