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Das Erfolgsgeheimnis von Erling Haaland

Interview

«Die Magie passiert, bevor er den Ball hat» – das Erfolgsgeheimnis von Erling Haaland

Der Fussballpsychologe Geir Jordet verrät das Erfolgsgeheimnis von Erling Haaland und erklärt, warum der Kopf im Fussball so wichtig ist.
15.10.2022, 10:5415.10.2022, 12:14
Dominic Wirth
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Manchester City's Erling Haaland celebrates at the end of the English Premier League soccer match between Manchester City and Manchester United at Etihad stadium in Manchester, England, Sunday, O ...
Superstar: Erling HaalandBild: keystone

Erling Haaland ist das Phänomen, auf das in der Fussballwelt gerade alle Augen gerichtet sind, auch beim Premier-League-Schlager vom Sonntag zwischen Liverpool und Manchester City. Geir Jordet ist ein Landsmann Haalands, der den Stürmer schon seit einigen Jahren beobachtet und sich viele Gedanken darüber gemacht hat, was dessen Erfolgsgeheimnis ist. Das Gespräch mit dem Professor, der sich auf Fussballpsychologie spezialisiert hat und an der Universität Oslo forscht – über Haaland und über die Rolle des Kopfs im Fussball.

Geir Jordet, wir müssen mit Erling Haaland anfangen, er eilt auch bei Manchester City von Tor zu Tor, 20 in 12 Einsätzen bisher. Der beste Mittelstürmer der Welt kommt aus dem 5-Millionen-Land Norwegen. Wie habt ihr das geschafft?
(Lacht.) Eine gute Frage, wir könnten Stunden darüber sprechen. Auch in Norwegen sind wir uns darüber nicht einig. Es ist lustig: Vor fünf Jahren wurde ich von einem Journalisten gefragt, ob der nächste Messi aus Norwegen kommen könne …

… Sie sehen Haaland als Messi-Nachfolger?
Ich sage nicht, dass er der nächste Messi wird, aber niemand hat geglaubt, dass wir einen solchen Fussballer produzieren können. Wir dachten, wir hätten die Mentalität nicht, das Land sei zu klein. Das gilt auch für mich.

Geir Jordet
Geir JordetBild: pd

Und doch ist es gelungen. Warum?
Da kommen viele Faktoren zusammen. Da sind die sehr guten Gene, Haalands Vater Alf-Inge war ja auch Fussballprofi und hat es bis nach England geschafft. Die Mutter war eine sehr gute Leichtathletin. Haaland hat also besondere Muskeln. Und er ist bei einem kleinen Klub gross geworden, der etwas Besonderes macht: Die Trainer dort sind sehr gute Ausbildner, legen aber auch viel Wert auf das freie Spiel, darauf, dass die Spieler sich selbst entfalten. Es gibt nur wenig Struktur, alles soll sich natürlich entwickeln, und das hat gefruchtet: Aus Haalands Trainingsgruppe haben es noch andere zu den Profis und in Nachwuchs-Nationalteams geschafft, Männer und Frauen.

Das «Ökosystem» ist das eine, die Gene das andere, aber es braucht auch Glück, oder?
Klar, das braucht es absolut. Aber es ist schon auch so, dass viel passiert ist im norwegischen Fussball. Wir waren vor zehn, zwölf Jahren sehr schlecht. Dann haben wir viel in die Trainerausbildung investiert, Studien gemacht, uns in anderen Ländern umgeschaut, auch in der Schweiz. Die Spieler, die jetzt unser Nationalteam prägen, ein Haaland, ein Martin Ødegaard von Arsenal, sind das Ergebnis dieser neuen Strukturen.

Haaland ist ein Phänomen, gross und stark, schnell und abschlussstark, aber Sie reden am liebsten über eine andere Qualität von ihm.
Ja, denn Haaland macht etwas sehr gut, mit dem ich mich seit vielen Jahren beschäftige. Klar, er erzielt seine Tore auch dank seiner Physis und seiner Technik, aber zu einem grossen Teil auch dank einer anderen Fähigkeit: Er ist ein herausragender Informationssammler. Ich verwende dafür den Begriff Scanning.

Southampton goalkeeper Gavin Bazunu saves at the feet of Manchester City's Erling Haaland during the English Premier League soccer match between Manchester City and Southampton at Etihad stadium  ...
Bild: keystone

Bringen Sie uns das noch ein wenig näher.
Es geht auf dem Platz auch darum, sich ein Bild von der Situation zu machen – wo ist der Ball, wo bin ich, wo sind die Gegenspieler – und sich entsprechend zu positionieren. Der Spieler muss dafür etwas tun, das seinem Instinkt widerspricht, nämlich nicht nur auf den Ball zu schauen. Für die meisten Spieler, auch auf höchstem Level, dreht sich fast alles um ihn.

Das ist doch auch bei Haaland so, oder?
Klar, aber weniger als bei anderen. Bei ihm ist uns schon in seinen jungen Jahren aufgefallen, dass er sehr interessiert daran ist, was um ihn herum passiert. Er scannt permanent. Schaut, wo sich freier Raum bietet, wo die Abseitslinie ist, wo der Strafraum. Die Kunst ist es, im richtigen Moment die Augen vom Ball zu nehmen. Haaland kann das perfekt. Mit dem Ergebnis, dass er einen Informationsvorsprung hat, sich sehr gut positioniert, zur richtigen Zeit am richtigen Ort steht. Und dann gibt es ein Tor.

Sie sagen also: Es wird im Fussball zu oft über Dinge wie Technik oder Tempo gesprochen?
Ich würde es so formulieren: Technische oder physische Aspekte sieht man auf den ersten Blick. Bei den mentalen muss man etwas genauer hinschauen. Das geht nur, wenn sie sich nicht auf den Ball fokussieren, sondern nur auf den Spieler. Wer Haaland die ganze Zeit folgt, der sieht, dass die ganze Magie passiert, bevor der Ball zu ihm kommt. Je mehr man weiss, was um einen herum los ist, desto einfacher ist es, Entscheidungen zu treffen. Diese Beobachtungen, das ist Scanning. Haaland ist ein Meister darin.

Sie befassen sich seit 25 Jahren mit Fussball und Psychologie. Wie wichtig ist der Kopf als Werkzeug für die Spieler, zur Verarbeitung von Informationen, als Ort, wo Emotionen verwaltet werden?
Sehr wichtig, das sage ich als Fussballpsychologe, aber das würden auch die meisten Leute in der Branche sagen. Wahrscheinlich ist es sogar das wichtigste Werkzeug, weil es am Ende entscheidet, ob ein Fussballer sehr gut wird oder einfach okay. Was bringt ein guter Fuss oder ein guter Körper, wenn man nicht motiviert ist zu trainieren? Oder mit Rückschlägen oder Druck nicht umgehen kann? Oder nicht mit anderen zusammenspielen kann, weil man keine sozialen Skills hat?

Sie haben gesagt, das alles wisse man in der Branche auch, doch wird es auch genug trainiert?
Das Problem besteht nicht darin, dass man sich im Fussball der Wichtigkeit des Kopfs nicht bewusst ist. Doch es ist schwierig, das zu analysieren, es zu trainieren. Langsam werden die Werkzeuge aber besser, und in den Teams gibt es Leute, die sich damit befassen, Sportpsychologen, andere Spezialisten. Da gab es in den letzten paar Jahren eine Art Explosion.

Jeder Fussballer mit einem Körnchen Talent landet heute früh in einer Akademie, ist topfit und technisch hervorragend ausgebildet. Ist der Kopf das letzte Feld, bei dem man noch etwas herausholen kann?
Ja, das sehe ich schon so, wobei man aufpassen muss, die Dinge nicht zu sehr zu vereinfachen. Es ist schnell dahergesagt, dass das Potenzial des Kopfes sehr gross sei. Das Problem lautet: Wie reizen wir das Potenzial aus? Aber grundsätzlich kann man sagen: Wer viel Zeit in den mentalen Teil investiert, bekommt dafür mehr, als wenn er die gleiche Zeit in den technischen oder physischen Bereich fliessen lässt. Ganz einfach, weil man sich einen grösseren Vorteil gegenüber den anderen verschaffen kann.

Wenn wir das nun auf das Scanning beziehen: Wie kann man das verbessern?
Die wichtigste Arbeit passiert immer noch auf dem Trainingsplatz, mit gezielten Übungen. Die zwei besten norwegischen Spieler, Haaland und Ødegaard, haben das schon in sehr jungen Jahren gemacht. Davon profitieren sie bis heute. Es gibt heute auch technologische Hilfsmittel, um kognitive Fähigkeiten zu fördern, und die kommen bei gewissen Klubs auch zum Einsatz.

Wir haben viel über Haaland gesprochen, doch sie haben auch das Scanningverhalten anderer Fussballer analysiert.
Von den 250 Spielern, die wir über 90 Minuten beobachtet haben, erreichen Mittelfeldspieler die höchsten Werte. Konkret schauen wir, wie oft ein Fussballer in den zehn Sekunden, bevor der Ball zu ihm kommt, sich umschaut, also weg vom Ball.

Barcelona, 23.05.2015, Fussball Primera Division, FC Barcelona - Deportivo La Coruna. 
Xavi (Barcelona) (Carlos Mira/Panoramic/EQ Images) SWITZERLAND ONLY
Der Beste: XaviBild: Panoramic

Wer hat den höchsten Wert erreicht?
Bei Xavi, dem früheren spanischen Mittelfeldspieler, der mittlerweile Barcelona trainiert, haben wir einen Wert von acht Scans gemessen, über ein ganzes Spiel hinweg, vor jedem Ballkontakt. Das ist sehr viel. Zum Vergleich: Ein Stürmer wie Haaland kommt auf Topwerte von vier bis sechs Scans. Auch Robert Lewandowski und Kylian Mbappé sind übrigens sehr gute Scanner. Und unter den Mittelfeldspielern Kevin de Bruyne. Er ist ein sehr elaborierter Scanner, und das ist wichtig: Es nützt nichts, permanent den Kopf zu drehen, sondern dann, wenn es etwas bringt. Ich glaube übrigens, dass Werte wie jene von Xavi häufiger werden, weil die jungen Fussballer heute in der Ausbildung mehr davon mitbekommen.

Sie arbeiten auch individuell mit Sportlern. Mit wem?
Das ist mein Geheimnis (schmunzelt).

Dann verraten Sie uns zum Schluss wenigstens, was die Besten von den anderen unterscheidet.
Oh, das ist eine grosse Frage mit vielen Antworten. Viele der Besten sind sicher getriebener als andere – in dem Sinn, dass sie eine Energie, eine Motivation haben, die sie mehr trainieren, mehr tun, auch mehr opfern lässt. Cristiano Ronaldo ist da ein gutes Beispiel. Aber ich komme auch wieder mit Haaland, er ist da ebenfalls sehr extrem, destilliert ja neuerdings sogar sein Wasser, bevor er es trinkt, damit es völlig rein ist. Alles, wirklich alles zu tun für den Erfolg, das ist der Schlüssel.

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quelle: imago/colorsport / imago images
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24 Kommentare
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Jonas der doofe
15.10.2022 11:55registriert Juni 2020
Also Haaland ist sicher ein Wahnsinnsfussballer und macht extrem viel für den Erfolg.

Das destillierte Wasser ist aber wohl eher nicht so zentral...
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