Pius Suter erscheint zu früh im Restaurant der Kunsteisbahn Oerlikon. Mittelgross, Brille, die Haare unter einer schwarzen Kappe versteckt. Würde er hier nicht von allen erkannt, hielte man ihn aus der Distanz kaum für einen Eishockeyspieler. Suter hat noch nichts gegessen und gönnt sich eine Portion «Ghackets und Hörnli». Danach widmen wir uns dem Gespräch über seine Person.
Pius Suter, fass deine bisherige Saison in drei Worten zusammen.
Pius Suter: Besser als 2019.
Was machst du besser als in anderen Jahren zuvor?
Ich schiesse mehr Tore. Wir gewinnen mehr, also treffen wir auch als Mannschaft öfter. Und irgendwo müssen diese Tore ja herkommen.
Hat es mit Garrett Roe als Sturmpartner von Anfang an geklickt?
Wir haben uns sehr schnell sehr gut verstanden, ja. In der Vorbereitung spielten wir nicht zusammen, aber dann im ersten Spiel schon. Wir haben ähnliche Ideen und das funktionierte von Beginn weg sehr gut. Es hilft natürlich, wenn du in den ersten Spielen gleich zwei, drei Tore erzielst.
Was zeichnet Roe als Mitspieler aus?
Ich glaube die Leute unterschätzen, wie gut und aggressiv er in der Defensive spielt. Er gewinnt die 1:1-Duelle in der Ecke. Dann hast du jeweils schnell wieder den Puck.
Zuletzt wart ihr als Team nicht mehr konstant ...
Gut, wir haben fünf Spiele in Serie gepunktet, das ist schon mal nicht schlecht. Wir hatten unser System gleich von Beginn weg ziemlich gut drin. Vielleicht haben sich die anderen Teams langsam besser darauf eingestellt. Jetzt wird ligaweit sicher besser defensiv gespielt als noch im September oder Oktober. Dadurch ändert sich, wie man die Tore schiesst. Waren es zu Beginn der Meisterschaft eher noch Konter, Rushes oder ähnliches, sind es jetzt Rebounds oder Tore im Powerplay, die entscheiden.
Trotzdem läuft es deutlich besser als letzte Saison. Irgendetwas ist anders. Ist die Stimmung besser?
Was ich klar sagen kann: Die Stimmung war letztes Jahr nie schlecht. Wir waren ja nie abgeschlagen. Einige Teams hatten einfach einen Lauf und wir verloren einige Spiele. Ich glaube ein wichtiger Unterschied in dieser Saison ist, dass wir es fertig bringen, Spiele zu drehen, auch wenn wir mal im Rückstand liegen. Dass wir auch diese Punkte holen.
Diese Saison spielst du mehr als Flügel, hast aber auch lange als Center gespielt. Wo fühlst du dich wohler?
Ich fühle mich auf beiden Positionen wohl. Meine ursprüngliche Position ist immer noch Center, aber ich spiele auch sehr gerne auf dem Flügel. Gerade wenn es so läuft wie im Moment, dann macht es ja keinen Sinn, etwas umzustellen.
Wie gross ist die Umstellung?
Die ist nicht mehr gross. In den ersten paar Spielen als Flügel nach fast zwei Jahren als Center brauchte ich einen Moment. Aber nach zwei, drei Spielen stimmten auch die Details. Als Flügel hat man eine andere defensive Verantwortung. Als Center bist du aktiver, bist in den Ecken und spielst direkt gegen den Mann. Als Flügel achtest du mehr auf die Verteidiger. Dass dieser nicht einfach in unsere Zone reinlaufen und einen riesigen Slapshot auspacken kann.
Wie wichtig ist es dir, auch in der eigenen Zone und im Unterzahlspiel Verantwortung zu übernehmen?
Sehr wichtig. Dort gewinnst du die Spiele. Natürlich will ich möglichst viel spielen, in allen Situationen eingesetzt werden. Dafür musst du in diesen Situationen gut spielen, damit der Trainer das Vertrauen in dich hat. Das ist gerade als junger Spieler wichtig. Wenn du nicht ein überragender Skorer bist, muss dir der Trainer defensiv vertrauen. Sonst bekommst du nicht sehr viel Eiszeit.
Fällt es dir leicht, dich in die Schüsse des Gegners zu stellen und zu werfen?
Da ist es eben wichtig, dass das Positionsspiel stimmt, dass der Gegner gar nicht mehr schiessen kann. Aber ja, wenn du halt mal «im Seich» stehst, musst du reinspringen. Das ist ok.
Dein Spielstil in der Offensive ist der direkte Zug aufs Tor. Im Slot bist du zuhause. Das gilt als unschweizerisch. Woher kommt das?
Ich würde nicht sagen, dass es untypisch ist. Man nimmt sich ja immer die Kanadier zum Beispiel und dort sieht es durch das kleinere Eisfeld auch schneller so aus, dass man näher beim Tor ist. Aber es stimmt schon, ich mache das oft. Ich konnte aus dieser Position schon viele Tore erzielen. Solange das funktioniert, versuche ich auch weiterhin, dorthin zu kommen. Es braucht halt diesen Biss.
Aber es ist sicher nicht einfach, sich dort durchzusetzen. Du bist weder der grösste, noch der schwerste Spieler.
Ich mache das mit Timing, nicht mit Kraft. Der Verteidiger schaut ja nicht die ganze Zeit nur auf dich. Wenn er mal einen Moment unaufmerksam ist, musst du das ausnützen, um dich reinzuschleichen. Du musst dort sein, wenn der Schuss kommt, nicht vorher. Man wird es bei mir vermutlich nie sehen, dass ich 20 Sekunden vor dem Tor stehen kann, ohne das mich jemand wegdrückt. Aber mit gutem Timing kann ich mich durchsetzen.
Dafür zollst du aber auch Tribut. Du hast fast in jeder Saison mit kleineren Verletzungen zu kämpfen.
Während der Partie spielt das keine Rolle. Nach dem Spiel schmerzt es mal mehr, mal weniger. Aber das musst du einfach machen. Im Slot passiert viel, du kriegst Rebounds. Auch wenn du dann das Tor nicht erzielst, hast du wenigstens den Puck wieder und musst nicht 60 Meter in die eigene Zone «zruggseckle». Das lohnt sich schon.
Mit 17 Jahren bist du in die kanadische Juniorenliga OHL gewechselt. Wie war das damals für dich?
Das war eine sehr interessante Erfahrung. Ich dachte, ich könne Englisch aus der Schule und habe schnell gemerkt, dass die Umgangssprache doch nochmals anders ist. Aber man lernt es dann schnell. Dann war ich natürlich selbstständig, lebte bei einer Gastfamilie. Ich hatte glücklicherweise noch Phil Baltisberger als Nachbar, das hat es einfacher gemacht.
Pius Suter reaches to tip a shot for the Guelph Storm in their 5-2 Memorial Cup win over the Edmonton Oil Kings. pic.twitter.com/TV2M8pZbjg
— Tony Saxon (@SaxonOnTheStorm) May 17, 2014
Welche Geschichte aus dieser Zeit hast du deinen Kollegen besonders oft erzählt?
Mein erstes Spiel. Es war ein Freundschaftsspiel und das Feld war noch kleiner als das sonst schon kleinere NHL-Eis. Wenn du da als Flügel am Bully stehst, hast du den Arsch an der Bande. Da habe ich als Center gespielt und in meinen ersten drei Einsätzen lag ich schon vier, fünf Mal auf dem Bauch. Ich kassierte zwei Open-Ice-Checks und wurde in die Bande gedrückt. Ich wollte gleich wieder in den Flieger steigen und heimreisen. Das war ein Aufwach-Moment. Aber es gab natürlich auch positive Momente. Im Memorial Cup (dem Finalturnier der kanadischen Juniorenligen, Anm. d. Red.) vor 9000 Zuschauern zu spielen, war grossartig.
Warum hast du dich dafür entschieden?
Ich wollte es einfach versuchen. Lange habe ich gar nicht daran gedacht, dass das möglich ist. Erst etwa fünf Tage vor dem CHL-Import-Draft ist das Thema aufgekommen. Dann musste ich mich rasch entscheiden. Ich dachte mir, falls es sportlich nicht funktioniert, ist es trotzdem immer noch ein geiles Erlebnis.
Was hast du in deinen zwei Jahren in Übersee gelernt?
Ich habe gelernt, mir die Eiszeit zu erkämpfen. Im ersten Jahr habe ich nicht viel gespielt, wir hatten ein sehr gutes Team. Ich habe vorallem Boxplay gespielt oder zwischendurch einen verletzen Spieler ersetzt. Ich lernte mich durchzubeissen. Und dann lernst du automatisch neue Sachen durch die kleinere Eisfläche. Du bist mehr an den Banden, führst mehr Zweikämpfe. Du lernst mit jedem Training und jedem Spiel dazu.
Die NHL ist immer noch ein Traum. Ist er realistisch?
Puh, ich weiss auch nicht. Ich meine, ich kann da nicht irgendeine Prozentzahl angeben. Es liegt an mir, mich weiter zu verbessern, gut zu spielen. Und wenn ich eine Chance kriege, muss ich sie packen.
Macht es Hoffnung, wenn es ein Spieler wie Gaëtan Haas auch mit 27 Jahren noch schafft, sich in der NHL festzusetzen?
Ja klar. Mark Streit hat es ja als erster Schweizer beweisen. Wir wissen nun, dass das geht. Es gibt auch von anderen Nationen Spieler, die in diesem Alter noch den Sprung schaffen. Mal schauen, bis ich 27 bin, dauert es noch ein paar Jahre.
Du wurdest auch schon von unterschiedlichen Teams ins Trainingscamp eingeladen. Wie gingst du das als europäischer Free Agent an?
Ich trainierte so gut ich kann. Damals ging es direkt aufs Eis, wenn du also vorher schon trainiert hast, bist du schon besser vorbereitet. Und danach gilt es, in den Spielen, die du bekommst, deine beste Leistung zu zeigen.
Hast du auch versucht, neben dem Eis möglichst auffällig zu sein, damit man dich wahrnimmt?
Nein, wenn man neben dem Eis auffällt, ist das meistens schlecht. Aber es sind so viele Leute dort, man kommt automatisch ins Gespräch. Besonders, wenn du drüben in der Juniorenliga gespielt hast, findest du jemanden, der jemanden kennt, mit dem du schon zusammengespielt hast. Die Hockeywelt ist klein. Aber viel Freizeit bleibt dann eh nicht. Mit Trainings und Jetlag legst du dich lieber mal irgendwann ins Bett.
Nach deiner Zeit in Nordamerika hast du mit 19 Jahren gleich in deiner ersten Saison beim ZSC den Durchbruch geschafft. Hast du damit gerechnet?
Nein, definitiv nicht. In dieser Saison hatte die erste Mannschaft etwa 16 oder 17 Stürmer. Ich wusste, es wird sehr hart, mich durchzusetzen. Aber ich wusste auch, dass ich eine Chance habe, wenn ich mein Spiel zeige. Dann habe ich in Testspielen und der Champions League gut gespielt und mich so glücklicherweise gleich festgesetzt.
Es war Marc Crawford, der damals auf dich gesetzt hat. Was ging dir durch den Kopf, als sein Name vor wenigen Wochen im Zusammenhang mit der Missbrauchsdebatte in der NHL genannt wurde?
Nichts. Ich habe mich nicht über diese Geschichte informiert.
Braucht es vom Coach eine gewisse Härte, dass eine Mannschaft funktioniert?
Teilweise schon. Wenn ein Trainer eine klare Linie hat, ist das sicher gut. Dann kriegt man halt zwischendurch auch etwas zu hören, wenn ihm etwas nicht passt. Das gehört auch dazu.
Du giltst in der Kabine als ruhig, aber aufmerksam. Einer, der alles mitkriegt, was abläuft. Stimmt das?
Ich bin schon eher ruhig. Nicht der Typ, der aufsteht und gross etwas sagt. Und ja, wenn du nichts sagst, hörst du halt zu (lacht).
Dann kennst du alle Geheimnisse deiner Teamkollegen?
Nein, das natürlich nicht. Es ist definitiv nicht so, dass ich über alles, was im Privatleben der Teamkollegen abläuft, informiert bin. Es ist wie in einer normalen Firma: Mit gewissen Leuten bist du enger befreundet, über die weisst du mehr. Und mit anderen hast du nicht gleich viel zu tun.
Gibt es überhaupt Geheimnisse in einer Eishockeygarderobe?
Eben das Privatleben. Und die Verträge. Ich habe keine Ahnung, was die anderen im Team verdienen.
Bei den Fans bist du sehr beliebt. Du hast sogar einen eigenen kleinen Fanklub, die «Sektion Pius».
Das hat als Witz angefangen und hat sich dann weitergezogen. Es ist immer lustig. Nach dem Spiel fahre ich gerne bei den Leuten vorbei, dann gibt es den einen oder anderen guten Spruch. Ich habe die Leute auch schon getroffen.
Wie ist das, den eigenen Fanclub zu treffen?
Es macht Spass. Sie haben sogar Plakate und T-Shirts gemacht. Das ist schon cool.
Sie haben sogar diese Petition lanciert ...
(lacht) Genau, das habe ich auch schon gesehen. Ja, wenn ich bis 2036 spiele, dann wäre ich 40. Das wäre nicht so schlecht. Wenn ich die ganze Zeit beim ZSC verbringen würde, würde ich sogar Segi (ZSC-Legende Mathias Seger, Anm. d. Red.) überholen.
Die Heim-WM rückt näher. Wie präsent ist das Thema bei dir?
Es ist immer ein bisschen im Hinterkopf. Wir hatten ja auch schon Testspiele und das Hallenstadion ja einer der Austragungsorte ist. Ich glaube, jedem Spieler geht es etwas ähnlich. Aber du denkst natürlich nicht nach jedem Einsatz auf der Bank an die WM. Ich versuche einfach mein Spiel durchzuziehen.
Was würde es dir bedeuten, in der Schweiz für die Schweiz eine Weltmeisterschaft zu bestreiten?
Ich glaube es wird ein extrem cooles, geiles Turnier. Da als Spieler dabei sein zu können, wäre eine einmalige Chance. Es freuen sich alle.
Rechnest du mit einem Aufgebot?
Nein, damit rechnen ist der falsche Ausdruck. Zuerst stehen noch die Playoffs an, wo ich mit dem ZSC möglichst weit kommen will. Und danach ist es die Entscheidung von Patrick Fischer, wen er aufbieten will.