«Er entschied sich fürs Boxen und kannte die dazugehörigen Risiken, denen alle Kämpfer ausgesetzt sind, wenn sie den Ring betreten», schreibt Patrick Days Promoter. Lou DiBella muss in der Mitteilung vom Hinschied seines 27-jährigen Schützlings berichten: Wenige Tage nach einer K.o.-Niederlage gegen Charles Conwell in Chicago, ist Day den Folgen seiner Hirnverletzungen erlegen.
Day hatte mehrere harte Treffer einstecken müssen und war in der zehnten Runde bewusstlos zusammengebrochen. Im Spital war sein Gehirn einer Not-Operation unterzogen worden.
Patrick Day verlor diesen letzten Kampf. So wie Mitte Juli der Russe Maxim Dadaschew. So wie Ende Juli der Argentinier Hugo Alfredo Santillan. So wie Mitte September der Bulgare Boris Stanchow.
Vier Monate, vier Boxer, vier Todesfälle.
Während im Fussball, Eishockey oder American Football seit einiger Zeit die Gefahr von Gehirnerschütterungen erkannt ist und Sportler zunehmend geschützt werden, geht es beim Boxen genau darum: Den Gegner derart zu vermöbeln, dass er nur noch Sterne sieht und nicht mehr weiss, wo unten und wo oben ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass es gesündere Sportarten gibt als das Boxen.
Wobei Leistungssport auf Topniveau ohnehin nicht unbedingt gesund sein muss. Das belegen Beispiele anderer Sportarten, etwa solcher, die wie das Boxen Gewichtsklassen kennen. So starben schon Ringer, Ruderer oder MMA-Kämpfer, die vor einem Wettkampf Kilos verlieren mussten und deren Organe danach den Dienst verweigerten. «Gewichtmachen» oder «abkochen» nennt man den Vorgang, der gang und gäbe ist.
Ein fiktives Beispiel: Ein Athlet wiegt eine Woche, bevor sein Kampf ansteht, 75 Kilogramm. Er tritt aber in einer Klasse an, in der das Höchstgewicht bei 68 Kilogramm liegt. Also muss er in wenigen Tagen sieben Kilogramm verlieren. Die Tage werden zu einer Tortur, mit viel Bewegung und viel Schwitzen, aber mit wenig zu Essen und wenig zu Trinken. Sehr eindrücklich beschrieb dies vor den Olympischen Spielen 2016 der Journalist Daniel Meuren, der den deutschen Ringer Frank Stäbler beim Abkochen begleitete und die Prozedur selber durchlitt.
In der Regel erfolgt das Wiegen beim Boxen am Tag vor dem Kampf. Ein Sportler hat dann noch rund 24 Stunden Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen. So kämpft er nicht mit den beim Wiegen kontrollierten 68 Kilogramm, sondern mit 72 oder 74 Kilogramm auf den Rippen.
Für den Körper ist dieser rasche Gewichtsverlust gefährlich. Wer ihm viel Wasser entzieht, schädigt ihn. Das kann beim Boxen gravierendere Auswirkungen haben als beim Ringen, wo ein Sportler zwar vielleicht entkräftet ist, aber wenigstens nicht pausenlos Schläge an den Kopf einstecken muss. Der Argentinier Santillan starb im Juli, nachdem sein Gehirn angeschwollen war. Erst wurde die Niere nicht mehr mit Blut versorgt und als die Schwellung zunahm, versagten weitere Organe.
Eine Aufhebung der Gewichtsklassen – das Schwingen kennt beispielsweise keine – wäre wohl das einzige Mittel, um dem Gewichtmachen einen Riegel zu schieben. Es sei denn, ein Sportler handhabt es wie der legendäre Roy Jones junior. «Durch das Gewichtmachen bin ich unheimlich müde gewesen. Ich werde nie wieder in dieser Klasse kämpfen, das war mein letzter Fight in diesem Limit», sagte er nach dem Erringen des WM-Titels im Halbschwergewicht im Jahr 2000. Elf Kilogramm hatte Jones abspecken müssen. Trotz seiner Ansage trat er ein halbes Jahr später erneut gegen Antonio Tarver an und verlor den Titel überraschend. In seinem 51. Profi-Kampf wurde er erstmals überhaupt besiegt. Jones verwarf sein Vorhaben und bezahlte dafür.
Die MMA-Fighterin Paige VanZant entschied sich aus gesundheitlichen Gründen, eine Gewichtsklasse höher anzutreten. Zuvor sei sie vor zwei oder drei Kämpfen im Badezimmer bewusstlos geworden, gab sie an. «Ich habe mich fast umgebracht», stellte die 25-jährige Amerikanerin fest. Das Gewichtmachen habe bei ihr zu einer Essstörung geführt. «Das hat keinen Spass mehr gemacht. Ich hasse abnehmen. Deshalb wechsle ich nach oben.»
Die Schweizer Ruder-Weltmeisterin Jeanine Gmelin ist ein anderes Beispiel. Die eher kleingewachsene Athletin tritt trotz diesem Nachteil im Schwergewicht an. «Ich glaube nicht, dass ich mit damit zurechtgekommen wäre», sagte Gmelin zum Leben mit dem Gewichtmachen vor Wettkämpfen. Und Fabian Cancellara, obwohl er als Radprofi extrem auf sein Gewicht schauen musste, nahm nicht nochmals ab, um in den Kampf um den Tour-de-France-Sieg eingreifen zu können. Das Risiko war ihm zu gross, dass er dann an Kraft einbüsst. Beim Briten Bradley Wiggins ging es auf: Der Bahn-Olympiasieger hungerte zwölf Kilos herunter und gewann die Tour.
Gerade von Radprofis oder Skispringern kursieren viele Geschichten vom Abnehmen: Leicht kommt besser den Berg hoch und leicht fliegt weiter den Berg hinunter. Im Skispringen wurde dem bereits vor Jahren ein Riegel geschoben, indem eine BMI-Regel eingeführt wurde. Wer zu leicht ist, muss mit kürzeren Ski springen – der Gewichtsvorteil ist damit dahin. Natürlich sind die Skispringer immer noch klein und leicht, aber sie sehen nicht mehr so ausgemergelt aus wie einst.
Auch das Regelwerk im Ringen wurde verändert. An der WM werden die Wettkämpfe an zwei Tagen ausgetragen und an beiden Morgen müssen die Kämpfer auf die Waage. Damit sollen das Abkochen und die folgende Rehydrierung eingedämmt werden. «Für mich ist das neue Reglement sicher kein Nachteil», sagte der Schweizer Stefan Reichmuth im vergangenen Jahr, als die Neuerung in Kraft trat. Vor einem Monat gewann der Luzerner WM-Bronze. Es war der grösste Erfolg eines Schweizer Ringers seit 35 Jahren.
Nach dem Tod des chinesischen Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Yan Jian Bing führte 2016 auch die UFC neue Richtlinien ein. Bei der Anreise zum Kampf, wenige Tage vorher, darf das Gewicht eines Athleten maximal acht Prozent über dem Zielgewicht liegen. Das soll allzu extremes Abkochen verhindern. Zudem hat der Kampfsport-Verband in die Aufklärung der Sportler investiert, damit deren Gesundheit besser geschützt ist.
Auch beim Boxen mit seinen vielen Verbänden tut sich etwas. Beim WBC, einem der grössten Verbände, etwa sind drei Wägezeremonien vorgesehen. 30 Tage vor dem Fight darf ein Kämpfer maximal zehn Prozent über dem Kampfgewicht liegen, sieben Tage vorher noch maximal fünf Prozent. Dies sei zur Sicherheit der Sportler, heisst es.
Beim Verband USBA, um dessen Superweltergewicht-Titel Patrick Day am Samstag boxte, gibt es eine andere Regel. Dort müssen die Kämpfer am Tag vor dem Kampf und am Morgen des Kampfs auf die Waage. Dabei dürfen sie maximal 4,5 Kilogramm über dem ersten gemessenen Wert schwer sein. Ist er dann drüber, erhält er zwei Stunden, um erneut Gewicht zu verlieren.
Weshalb Patrick Day gestorben ist, wird nun untersucht werden. «Jetzt ist nicht die Zeit für Mutmassungen und nicht die Zeit, um bereits Antworten zu haben», so sein Promoter. «Aber es ist Zeit, um zum Handeln aufzurufen. Wir kennen die Antworten noch nicht, aber wir kennen viele Fragen. Es ist in unserer Verantwortung, Lösungen zu finden und das Boxen sicherer zu machen.» Auf diese Weise könne man Days Vermächtnis ehren.
und zwar schon um überhaupt ins Team A zu gelangen.
Macht für mich keinen Sinn und mMn müssen alle Verbände handeln und härtere Regeln durchsetzen.
Alfredo Santillan war bei seinem letzten Kampf "eigentlich" gesperrt (Schutzsperre) da er im Juni gegen Artem Harutyunyan ziemlich harte Schläge kassiert hat, Santillan hat sich jedoch nicht an die Sperre gehalten und ist 34 Tahe später zu seinem leidtragen wieder in den Ring...