Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat die Nominierung für die Europameisterschaften vom 12. bis 17. August in Zürich um einen Tag auf Mittwoch verschoben. Der Verband will die Ergebnisse der biomechanischen Messungen der Weitsprünge des Unterschenkel-Amputierten Markus Rehm abwarten. Der Paralympics-Sieger aus Leverkusen hatte bei den nationalen Titelkämpfen der Nichtbehinderten in Ulm den Weitsprung mit 8,24 Meter gewonnen und gleichzeitig die EM-Norm formal erfüllt.
Die biomechanische Analyse soll Aufschluss geben, ob Rehms Beinprothese ihm einen Vorteil im Wettstreit mit den Athleten ohne Handicap verschafft haben könnte.
Unterdessen hat der Europäische Leichtathletik-Verband (EAA) Rehms Ulmer Siegerweite in der europäischen Bestenliste veröffentlicht. Der 25-Jährige wird als zweitbester Deutscher auf Platz fünf geführt. Christian Reif, der bei den Deutschen Meisterschaften hinter Rehm Zweiter wurde, steht mit 8,49 Meter an zweiter Stelle.
DOSB-Präsident Alfons Hörmann bezeichnete Rehms Sieg in Ulm als «historischen Moment». «Die Entscheidung, ob ihm seine Prothese einen Vor- oder Nachteil bringt, ist eine hochinteressante und sportpolitische Frage, die nicht leicht zu beantworten ist», sagte der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) der Münchner Zeitung «tz».
«Es braucht eine saubere, präzise und allumfassende Analyse. Da wir heute die entsprechenden Mess- und Analysemethoden haben, bin ich optimistisch, dass die Biomechaniker zu einem relativ schnellen Ergebnis kommen», sagte Hörmann.
Als DOSB-Präsident freue er sich über jeden Deutschen Meister. «Das Einzige, das ich mir vom Ergebnis der Analyse wünsche, ist, dass weiter ein sportlich fairer Wettbewerb und eine hundertprozentige Chancengleichheit gewährleistet sind», sagte er.
Rehm ist längst zu einem Politikum geworden. Während sich Ex-Europameister Reif positiv äusserte, heizte Titelverteidiger Sebastian Bayer die Diskussion um ein etwaiges Technik-Doping durch einen Katapulteffekt bei Rehm an. «Die Prothese ist gefühlte 15 Zentimeter länger als das andere Bein. Meine Beine sind beide gleich lang», sagte Beyer.
Rehm gab zu, dass seine Prothese «drei, vier Zentimeter» länger ist als sein gesundes Bein. «Sonst würde ich beim Anlaufen humpeln», sagte der neue Deutsche Meister. Die Prothese sei «grösstenteils» aus Standardteilen gebaut und habe keinen Einfluss auf seine Leistungen. «Ich glaube, ich habe weder einen Vorteil noch einen Nachteil. Die Prothese ersetzt, was ich nicht mehr habe», sagte Rehm.
Unterstützung erhält er von Friedhelm Julius Beucher, dem Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbandes: «Markus ist einfach ein Welt-Ausnahme-Athlet», sagte er.
Die Beteiligten geraten auch deshalb in Verlegenheit, weil Rehm in Ulm nur unter Vorbehalt starten durfte – bis endgültig geklärt ist, ob er durch seine Prothese einen Vorteil hat oder nicht. Biomechaniker haben während des Wettkampfes Daten erhoben, um zu analysieren, ob seine Leistungen mit denen der anderen Springer vergleichbar sind.
Der DLV strebt für die Zukunft eine Art TÜV für Prothesen an, um Leistungen vergleichbar zu machen. «Da haben wir geschlafen», sagte Weitsprung-Bundestrainer Uwe Florczak. «Ich weiss um das Problem und verstehe die Diskussion. Ich möchte einfach Klarheit haben», sagte Rehm.
Der Europäische Verband EAA wird nicht über eine Startrechtgenehmigung für den Weitspringer entscheiden. «Der europäische Kontinentalverband kann diese Entscheidung nicht treffen, dies muss der Weltverband IAAF tun», sagte EAA-Generaldirektor Christian Milz. Die EAA will unverzüglich Gespräche mit dem DLV und der IAAF führen. «Jetzt müssen wir schnell handeln», sagte Milz.
Der Fall Rehm sei aber nicht mit dem von Oscar Pistorius vergleichbar. Der südafrikanische 400-Meter-Läufer hatte sich vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) das Startrecht bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen erstritten. «Das Cas-Urteil war auf den Einzelfall bezogen und nicht generell auf alle Athleten», sagte Milz. (spiegel/buc/dpa/sid)