Früher war es einfach, die Olympischen Spiele einzuordnen. IOC-Boss Juan Antonio Samaranch (1980 bis 2001 im Amt) pflegte bei der Schlussfeier zu sagen:
Nur den Chaos-Spielen von 1996 in Atlanta verweigerte er diese Absolution. Seine Nachfolger haben den schönen Brauch nicht weitergeführt. Nun ist es ein wenig aufwändiger und schwieriger, die Spiele in der Geschichte zu verordnen. Die Spiele von Paris 2024 würden wie keine anderen das Prädikat «The best Olympic Games ever» verdienen.
Das sportliche Weltspektakel von Paris ist zwar weder viel nachhaltiger noch billiger geworden. Und Gewinnmaximierung auf Kosten der Allgemeinheit gehört nun mal zu einer globalen Veranstaltung. Die Welt leistet sich im Abstand von vier Jahren im Sommer und Winter Olympische Spiele und wir leisten uns sogar jedes Jahr das WEF in Davos.
Das ganz Besondere an Paris 2024: Der Sport hat seine Seele wieder entdeckt. Das fällt nach den seelenlosen Spielen von 2021 in Tokyo und 2022 in Peking (wegen der Pandemie praktisch ohne Publikum) erst recht auf.
Die Rückkehr des Publikums hat in Paris die Wirkung eines Landregens auf eine ausgetrocknete Landschaft. Erst recht, weil es ein fachkundiges, faires Publikum ist. Menschen, die bei allem Patriotismus das Wesen des Sportes verstehen. Paris 2024 sind die Spiele in der Hauptstadt einer grossen Kultur- und Sportnation.
Auf dem internationalen Sportkongress vom 16. bis 23. Juni 1894 an der Sorbonne in Paris, der später als erster olympischer Kongress bezeichnet wird, beginnt die Geschichte der Spiele der Moderne. Der Initiator Baron Pierre de Coubertin kommt aus Paris. Der IOC-Hauptsitz ist nur in Lausanne und nicht in Paris, weil der Baron das IOC-Büro 1915 in einer für Frankreich kritischen Phase des 1. Weltkrieges nach Lausanne in die neutrale Schweiz zügelt.
Natürlich hat sich «La Grande Nation» mit immensem finanziellem Aufwand inszeniert und die Eröffnungsfeier geht als die bis heute teuerste und spektakulärste Show in die Geschichte ein. Aber die Seele der Spiele haben die Franzosen nicht verkauft.
Nie zuvor sind so viele Wettkampfplätze so gut in eine Stadt integriert worden. Reiten in Sichtweite des Schlosses von Versailles, Beachvolleyball beim Eiffelturm, Tennis in Roland Garros, zahlreiche weitere temporäre Wettkampfstätten auf dem historischen Marsfeld, dem Rütli von Paris.
Die Anspannung der ersten Tage mit den grössten Sicherheitsvorkehrungen in der Geschichte des Sportes rund um die Eröffnungsfeier legte sich rasch. Die Polizeipräsenz bleibt unübersehbar. Aber sie ist freundlich und es ist problemlos möglich, schwer bewaffnete Polizisten nach dem Weg zu fragen.
Es sind stimmungsvolle Spiele in einer freundlichen Stadt und im Zentrum stehen nach der Eröffnungsfeier nicht mehr die Selbstdarstellung und die Weltgeltung Frankreichs. Sondern die Emotionen des Sportes. Paris ist nicht nur die Stadt der Liebe und des Lichtes. Paris ist auch die Stadt des Sportes.
Es ist ein schöner Zufall der Geschichte, dass die ersten Spiele nach der Pandemie gerade hier in Paris inszeniert werden. Staaten mit autoritären Regierungsformen können ein sportliches Weltspektakel wie eine Fussball-WM oder Olympische Spiele gut bis perfekt organisieren. Weil Geld in unbeschränkten Mengen zur Verfügung steht. Das haben Russland und China bereits mehrmals bewiesen und die Fussball-WM in Katar hat tipptopp funktioniert.
Und es mag auch sein, dass eine störungsfreie Organisation wichtiger ist als das, was Romantiker als Seele des Sportes bezeichnen. Denn längst sind nicht verkaufte Eintrittskarten, sondern die medialen Rechte (TV, Streaming) die wichtigste Einnahmequelle. Die Pandemie hat gezeigt, dass es möglich ist, Spiele ohne Publikum zu inszenieren.
Aber selbst eine tadellose Organisation kann Spiele in einer Stadt ohne Sportkultur nicht zum Erlebnis machen. Auch Paris 2024 hat Milliarden umgesetzt. Aber Paris ist grösser als die Spiele.
Auch deshalb haben die Spiele 2024 eine Ausstrahlung auf die Welt wie keine anderen der Neuzeit. Paris 2024 – das sind nicht nur die Spiele des Geldes. Es sind auch die Spiele des Lichtes in einer Welt des Zornes geworden.