Eine Szene wie aus einem billigen Hollywood-Film. Ein Pilot (Dominique Aegerter) wird von seinem Team auf die Strasse gesetzt und kommentiert daheim in Zürich das Rennen seines Teamkollegen (Tom Lüthi), der im fernen Malaysia um den Titel fährt. Wahrlich, ein wilder, verrückter Töffherbst. Kein Schelm, wer denkt, dass das ganze Theater der letzten Wochen zum Scheitern von Tom Lüthi im Titelkampf beigetragen hat.
Ich habe die Gelegenheit genutzt und mich im Fahrerlager ein wenig umgehört. Es war heiss in Malaysia, die in Europa üblichen Termine mit Gästen und Sponsoren gab es nicht, zwei von drei Titel waren schon vor diesem zweitletzten Rennen vergeben. Die Leute hatten Zeit zum Plaudern.
Dominique Aegerter hat ja bekanntlich beim Team der Gebrüder Stefan und Jochen Kiefer einen Einjahresvertrag für nächste Saison unterschrieben. Dafür ist er von seiner bisherigen Mannschaft für den Rest der Saison auf die Strasse gestellt worden. «Für mich nach wie vor unverständlich», sagt sein neuer Teamchef Stefan Kiefer. «Aber ich kenne die Umstände nicht und sie interessieren mich auch nicht mehr. Die ganze Geschichte hat für uns keine Bedeutung. Dominique Aegerter beginnt bei uns im guten Sinne bei null. Wir schätzen ihn als sehr guten Piloten.»
Und was, wenn es Schwierigkeiten gibt? Kann Dominique Aegerter von seinen Deutschen Chefs mit Verständnis rechnen? «Ja», sagt Stefan Kiefer. «Wir sind seit 15 Jahren dabei und haben schon viele Höhen und Tiefen erlebt.» Ein sturmerprobtes Team sozusagen. Und Stefan Kiefer sagt, er werde auch mit Papa Aegerter klarkommen. «Ich kenne ihn seit vielen Jahren. Wenn er sich einmischen sollte, werde ich ihm schon klarmachen, dass wir das nicht wollen.» Seine Worte in Gottes Ohr.
Inzwischen ist die neue Saison aufgegleist. Am 16. und 17. November wird Dominique Aegerter zum ersten Mal mit seinem neuen Team im südspanischen Jerez die neue Suter testen. Die Frage des Cheftechnikers ist auch gelöst. Jochen Kiefer, zusammen mit seinem Bruder Stefan Besitzer des Teams, wird sich persönlich um den neuen Fahrer kümmern. Er ist als Zweiradmechanikermeister ohnehin der technische Kopf im Team.
Eigentlich war ein italienischer Cheftechniker vorgesehen. Stefan Kiefer sagt: «Aber es ist Dominiques Wunsch, dass die Teamsprache Deutsch ist. Die Verständigung zwischen Fahrer und Techniker ist ein entscheidender Faktor.» Nun gilt: Man spricht Deutsch.
An dieser Verständigung ist Dominique Aegerter in seinem bisherigen Team (in dem fast nur französisch gesprochen wird, eine Sprache, die er nicht richtig versteht) wohl letztlich gescheitert. Teamchef Fred Corminboeuf gibt sich inzwischen staatsmännisch gelassen. «Ich kenne Dominique seit er vor elf Jahren in den GP-Zirkus gekommen ist. Zehn hektische Tage können zehn gute Jahre nicht vergessen machen.»
Den Entscheid, seinen Fahrer freizustellen, hält er nach wie vor für richtig und begründet ihn mit einem Wort: «Vertrauensbruch». Wer was wem wann gesagt hat und wie es zu diesem Bruch gekommen ist – darüber mag Corminboeuf nicht mehr diskutieren. Muss er ja auch nicht. Die Erfolge Tom Lüthis seit der «Scheidung» von Dominique Aegerter geben ihm recht. Und für Tom Lüthi ist alles längst vorbei und vergessen. «Obwohl ich wusste, dass es Spannungen gab, hat mich die Trennung überrascht. Ich habe mich mit Dominique darüber am Telefon unterhalten. Wir hatten es gut miteinander und das wird so bleiben. Er hat mir auch zu meinen Siegen gratuliert.»
Das waren jetzt die wohlwollenden Kommentare. Sozusagen die offiziellen Statements. Es gibt aber auch andere Einschätzungen. Es kann in einem Geschäft mit so vielen Eitelkeiten, in einer Szene, die mit so viel Adrenalin, Neid, Sex und Gefahr aufgeladen ist, gar nicht anders sein.
Noch gehören die Sympathien des Volkes draussen im Land dem geschassten Fahrer. Das wird sich bis zum Saisonstart 2017 nicht ändern. Es wird aber drinnen im Fahrerlager, in den inneren Zirkeln viel analysiert, warum der grosse Sachsenring-Sieger von 2014 inzwischen zum Hinterherfahrer und Störfaktor in einem Team geworden ist. Als das gilt Dominique Aegerter inzwischen in vielen Kreisen, wenn offen und ohne Mikrofone und Notizblöcke geredet wird. Einer, der es wissen muss, sagt: «Der Sieg auf dem Sachsenring hat alles verändert. Von da weg war bei ihm nichts mehr gut genug.»
Dominique Aegerter war diese Saison zwischendurch ein Kandidat, um in einem deutschen Team Sandro Cortese zu ersetzen. Einer aus dieser Mannschaft sagt: «Wir haben mit Cortese schon eine Baustelle und wir ersetzen ihn doch nicht durch eine noch viel grössere Baustelle.»
Einer, dessen Name mir gerade entfallen ist, höhnt. «Die Gebrüder Kiefer sind hochanständige Leute. Sie ahnen gar nicht, was sie sich mit der Verpflichtung von Dominique Aegerter antun. Es kommt mir vor wie wenn einer ein freundliches Schaf kaufen will und nicht merkt, dass er einen wilden Stier bekommen hat.» Na ja, Schafe gewinnen in diesem Geschäft nichts, Stiere hingegen schon. Dominique Aegerter darf bloss nächste Saison in seinem neuen Team nicht gleich dreinfahren wie ein Muni in einen «Chrishuufe».
Ich habe nicht aus Boshaftigkeit für einmal jene zu Wort kommen lassen, die unseren tapferen Töff-Popstar unbotmässig kritisieren. Ich will damit bloss aufzeigen, dass es für Dominique Aegerter «Mattäi am Letzten» ist. Er bekommt 2017 noch einmal eine faire Chance. Aber es ist die letzte und es liegt nun ganz allein an ihm, ob er es schafft oder nicht. Die Ausreden (Töff, Techniker, Teamchef) werden nicht mehr helfen. Wenn es ihm nicht gelingt, 2017 wieder regelmässig in die «Top Ten» zu fahren, dann werden seine Kritiker triumphieren, die sich jetzt noch nicht aus der Deckung wagen.
Der internationale Motorradrennsport ist ein rücksichtsloses Geschäft. Doch das Wissen, dass es um «Alles» oder «Nichts» geht, macht Sportler sehr oft besser. Die Chance, dass wir 2017 den besten Dominique Aegerter aller Zeiten sehen werden, sind gross. Viel grösser, als die bösen Zungen im Fahrerlager von Malaysia denken. Die schönste Antwort auf Lästermäuler ist sowieso, dass man sie stillschweigend verachtet.