Auf dem Teambus prangt der Slogan eines früheren Kaisers: «Impossible n'est pas Français.» Ausgeschlossen ist also nichts. Der Spruch der Trikolore bewahrheitete sich in jüngster Vergangenheit auch schon zu ihren Ungunsten. Im feucht-heissen Brasilien ist nun aber definitiv das positive Gegenstück zur komplett missratenen Mission im südafrikanischen Winter vorgesehen.
Wie seriös die Franzosen um eine grossflächige Imagekorrektur bemüht sind, stellten sie in Porto Alegre ein erstes Mal mit Nachdruck unter Beweis. Einer manövrierte sich dabei in eine speziell vorteilhafte Situation: Karim Benzema, der Champions-League-Sieger aus Madrid.
Im Gegensatz zu anderen der einst hoch gelobten U17-Europameister-Generation von 2004 verschwand er trotz schwieriger Phasen im Klub und in der Nationalmannschaft nicht unauffindbar von der Bildfläche. Aus ihm wurde zwar kein Kaiser, aber immerhin ein Königlicher mit international respektabler Reichweite.
Beim 3:0 gegen Honduras war der 26-jährige an sämtlichen Toren hauptbeteiligt – zwei schoss er selber, das clowneske Eigentor des Keepers provozierte Benzema mit einem Pfostenschuss. Sein einjähriges Tief mit 15 Spielen ohne persönlichen Ertrag hat der sensible Power-Stürmer offensichtlich verarbeitet – in den letzten sieben traf er achtmal. Benzema will sich aber nicht nur über Tore definieren lassen. Für ihn ist auch die Stilnote entscheidend: «Die Art, wie ich spiele, zählt für mich ebenso viel.»
Nach dem Forfait von Franck Ribéry ist der einst passionierte Brasilien-Anhänger – als Kind unterstützte er im Ronaldo-Shirt an der WM im eigenen Land nicht etwa die Equipe von Zinédine Zidane, sondern die Seleção – zum Hoffnungsträger der ganzen Fussballnation aufgestiegen. Deschamps hat sein 4-3-3-System vollumfänglich auf den Leader in der Offensive ausgerichtet.
Captain Hugo Lloris goutiert die Strategie ausnahmslos: «Er trägt einen respektablen Teil der Verantwortung, das tut ihm gut. Karim löst die Aufgabe exzellent. Er kann in jeder Situation den Unterschied ausmachen.» Und der frühere Junior von Lyon ist im Gegensatz zu ein paar jüngeren Mitspielern mittlerweile mental so gut ausbalanciert, dass ihm die Kontrolle auch innerhalb eines eher «giftigen» Klimas keineswegs entgleitet.
Für andere wie den aufstrebenden Juve-Professional und U20-Weltmeister Paul Pogba ist Benzema eine Leitfigur. Derweil der Hochbegabte sich vom honduranischen Provokateur Wilson Palacios in einen Infight mit offenem Ausgang verwickeln liess und trotz einer Tätlichkeit nur knapp einem Ausschluss entging, demonstrierte Benzema beim Penalty trotz ausschweifendem Lamento der Zentralamerikaner Nervenstärke.
Er ist einer der massgeblichen Gründe, weshalb die Franzosen in ihrer Jahresbilanz bei fünf Partien ohne Niederlage und einem imposanten Torverhältnis von 18:1 angelangt sind. Vor dem problemlosen WM-Auftakt hatte die BBC in ihrer Onlineausgabe süffisant die Endrundenfakten seit dem Finalvorstoss 2006 aufgelistet: «Ein Sieg, zwei Vorrunden-Outs (inkl. EM) und eine Spielerrevolte.» Eine Fortsetzung der Pannenserie ist aus französischer Sicht nicht zu befürchten – wohl zur Enttäuschung der polemisch veranlagten britischen Schlagzeilenproduzenten.
Benzema könnte zum Gesicht einer aufgefrischten Equipe werden, die auf dem Platz ihre Solidarität bezeugt und neben dem Feld geordnet auftritt. Zidane, ehemals Deschamps' wichtigster Weggefährte als Nationalspieler und vor 16 Jahren der eigentliche WM-Maestro, hält viel vom aktuellen Topskorer der «Bleus». Der Assistent von Carlo Ancelotti tauscht sich auf dem Trainingsareal von Real täglich mit ihm aus.
Zidanes Einfluss ist spürbar. Und Benzema ist dankbar für jeden Input des früheren Weltmeisters, wie er kurz vor der WM-Ouvertüre in einem ausführlichen Interview mit «France Football» bekräftigte: «Ich schätze die Zusammenarbeit mit ihm sehr. Er ist wie ein grosser Bruder, er beschützt mich. Unsere Beziehung ist fast schon familiär.» (si/qae)