Seit Dienstag läuft vor dem Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne (CAS) der Prozess im Dopingfall der russischen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa. Die damals 15-Jährige bescherte den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking ihren grössten Skandal: Dem Supertalent wurde bei einer Dopingprobe von vor den Spielen das verbotene Herzmedikament Trimetazidin nachgewiesen.
Trotz der positiven Dopingprobe durfte Walijewa mit ihren Landsfrauen und -männern zum Team-Wettbewerb starten – auch weil die Dopingprobe bis zum Ende der Spiele nicht ausreichend ausgewertet werden konnte. Russland gewann den Team-Event prompt, aber Medaillen wurden aufgrund der unsicheren Lage im Fall der jungen Russin keine verteilt – bis heute. Es war das erste Mal in der Geschichte der modernen Olympischen Spiele, dass für einen Wettkampf, der stattfand, kein Edelmetall verteilt wurde.
Auch die Eiskunstläufer aus den USA, die hinter Russland auf Platz zwei liefen, und die Japanerinnen und Japaner auf dem Bronze-Rang gingen bis heute – fast 600 Tage nach dem Wettbewerb – leer aus. Kanada auf Rang 4 darf im Falle einer Disqualifikation Russlands ebenfalls auf Edelmetall hoffen.
Dies kritisiert Vincent Zhou, Mitglied des US-Silberteams in Peking, scharf: «Uns wurde damals gesagt, dass die Angelegenheit rasch erledigt werde, aber bis heute haben wir keine Ahnung, was los ist», sagt der 22-Jährige fast zwei Jahre später. Das Internationale Olympische Komitee (IOC), die Welt-Antidoping-Agentur (WADA) und auch der CAS würden keinerlei Informationen an die betroffenen Athleten herausgeben. «Diese fehlende Transparenz ist schockierend», ärgert sich Zhou.
Es sei die Aufgabe dieser Organisationen, sicherzustellen, dass die Prinzipien des fairen Wettkampfs gewahrt werden. «Wir haben allerdings keinen Grund zu glauben, dass unsere Interessen in diesem Prozess auch adäquat repräsentiert werden», sagt der US-Amerikaner.
Zhou stört sich daran, dass in diesem Prozess nicht nur das IOC und die WADA, sondern auch die russische Antidoping-Agentur (RUSADA) gegen Walijewa aussagen werden: «Die RUSADA hat während eines Jahrzehnts das systematische, russische Doping ermöglicht.» Und auch das IOC sei seinen Pflichten nicht nachgekommen, als es darum ging, Russland für das Staatsdoping entsprechend zu bestrafen.
Zhou und andere betroffene Athleten hätten beantragt, dass sie diesen Prozess mitverfolgen können. Das sei abgelehnt worden, weil CAS-Prozesse vertraulich seien. Einzig die involvierten Parteien – also das IOC, die WADA, die RUSADA oder Walijewa selbst – hätten einen öffentlichen Prozess beantragen können, was nicht passierte.
Deshalb findet nun alles hinter verschlossenen Türen statt. Das kritisiert auch Rob Koehler, Generaldirektor der Athletenvereinigung Global Athlete, in der «Sportschau»: «Mit Zuhörern wäre garantiert gewesen, dass es keine Hinterzimmer-deals geben kann.» Das sei nun nicht garantiert.
«Der schmerzhafte Prozess, den meine Kollegen und ich durchmachen, ist das direkte Resultat der Entscheidungen, die IOC, WADA und CAS getroffen haben», ärgert sich Vincent Zhou. Die leeren Medaillenboxen von ihm, seinen Teamkollegen und auch seiner Konkurrenten zeigen, «dass das weltweite Anti-Doping-System seine Athleten im Stich lässt».
Zum Prozess in Lausanne kam es nur, weil die RUSADA einer Forderung der WADA und der internationalen Eislauf-Union (ISU) nach einer vierjährigen Sperre und Aberkennung aller Resultate seit dem 25. Dezember 2021 nicht nachkam. Die Verhandlungen am CAS können noch bis Ende dieser Woche andauern. Bis ein Urteil feststeht, könnte es aber noch länger dauern. Der CAS warnte bei der Ankündigung des Prozesses im Juni, dass «ein Datum der Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt nicht genannt werden» könne.
Nach dem Urteil am Sportgerichtshof haben die betroffenen Parteien 30 Tage Zeit, um Beschwerde vor dem Schweizerischen Bundesgericht einzulegen.