Ein kleiner Erfolg ist ihm doch noch gegönnt. Mitternacht rückt näher in Basel, als es Leon Avdullahu irgendwie gelingt, unbemerkt in den Bus der Kosovaren zu schleichen. Diesen deprimierenden Abend auch noch öffentlich erklären? Muss nicht sein.
Avdullahu, 21-jähriger Mittelfeldspieler, geboren in Solothurn, fussballerisch gross geworden beim FC Basel, ist so etwas wie der Mann der Woche. Sein Entscheid, künftig für Kosovo anstatt die Schweiz zu spielen, sorgte für Wirbel. Nun missglückt sein Debüt komplett. Sein verlorenes Duell mit Manuel Akanji beim ersten Tor steht am Ursprung der Niederlage. Der Abend zeigt, dass die letzten Tage und die salbungsvollen Worte von Verbandspräsident und Trainer («Er kann im Kosovo eine Legende werden», «Er könnte der Granit Xhaka des Kosovo werden») eben doch eine ziemliche Last waren.
Für den Moment jedenfalls gilt: Die Schweiz braucht Avdullahu weniger als Avdullahu die Schweiz bräuchte und sie ihn weiterbrächte. Kaum vorstellbar, dass Avdullahu in einem stabilen Team so verloren gewirkt hätte wie am Freitagabend im Dress des Kosovo.
Fast elf Jahre ist es her, seit die Schweiz letztmals ein Auftaktspiel in eine Qualifikation nicht gewonnen hat. 0:2 verlor die Nati am 8.9.2014 in Basel gegen England. Seither gab es fünf Auftaktsiege. 2:0 gegen Portugal (WM-Quali 2016), 2:0 gegen Georgien (EM-Quali 2019), 3:1 gegen Bulgarien (WM-Quali 2021), 5:0 gegen Weissrussland (EM-Quali 2023) und nun also das 4:0 gegen Kosovo.
Der erste Eindruck stimmt bei den Schweizern also – wie so häufig. So wichtig wie jetzt war er noch selten, dies aus gutem Grund: Schliesslich ist diese WM-Qualifikation ein Sprint mit nur sechs Spielen innert 74 Tagen. In gut zwei Monaten steht schon fest, ob es für die direkte WM-Qualifikation gereicht hat. Dafür braucht es Platz 1. Dass sich Slowenien und Schweden 2:2 trennten in einem Spiel voller Abwehrfehler, spielt der Nati ebenfalls in die Karten.
Was gilt es herauszustreichen nach diesem 4:0 gegen den Kosovo? Die Schweiz überzeugt mit ihrem Tempo und dem Willen, konsequent vertikal zu spielen. Immer wieder überfordern die Flügel Ndoye und Vargas ihre Gegenspieler. Immer wieder suchen Rieder und Embolo die Tiefe. Immer wieder spielen Akanji, Xhaka aber auch Freuler hervorragende Bälle in Richtung Spitzen. Und immer wieder gelingt es den Schweizern, ihre Gegner zu locken und mit Pressing zu überfordern.
Prognose: Das Tempo auf den Seiten wird den Schweizer Fans noch viel Freude bereiten. Neben Ndoye und Vargas deutete auch der eingewechselte Manzambi seine Qualitäten erneut an. Hätte die Nati in der zweiten Hälfte nicht drastisch nachgelassen, es wären auch sieben oder acht Tore möglich gewesen. Viele Spieler merkten dies nach der Partie durchaus selbstkritisch an. Das darf man als gutes Zeichen werten.
Bislang waren es keine einfachen Auftritte für Granit Xhaka gegen das Heimatland der Eltern. Emotional blieben sie kompliziert genug, und wir erinnern uns nicht nur an drei lamentable Unentschieden, sondern auch an mächtig viel Zündstoff in deren Nachgang. Jedenfalls war Xhaka jedes Mal sauer. Weil er im Herbst 2022 bei seinem 100. Länderspiel ausgewechselt wurde. Weil es in den beiden Partien der EM-Qualifikation knapp eineinhalb Jahre später jeweils keinen Sieg gab. Und Xhaka selbst bescheidene Leistungen zeigte.
Umso mehr durfte man nun auf dieses vierte Aufeinandertreffen gespannt sein. Vater Ragip zeigt sich vor Anpfiff gut gelaunt, und es ist anzunehmen, dass ihm die Leistung seines Sohnes später wohl nicht ein Lob entlockt (das spricht der Papa ja nie aus), aber durchaus zufrieden stellt. Xhaka ist der Chef auf dem Platz, besonders in der ersten Halbzeit sieht man bei ihm viel Engagement, Wucht und Lust. Er holt sich hinten die Bälle, er zeigt sich vorne. Er sucht die Seiten, er flankt oder passt in die Tiefe und kreiert so die meisten Chancen für die Schweiz. Er grätscht, agiert aggressiv und ist verbal der Boss. Kurzum: Ein Mehrwert und Leader, wie ihn die Nati und Trainer Yakin brauchen.
Es mag nun etwas abgedroschen klingen, aber vielleicht ist es schon auch so: Xhaka ist reifer geworden mit den Jahren, und vermutlich auch mit jedem Transfer. Und deshalb wirkt es gewiss so, als würde ihm der Wechsel zu Sunderland richtiggehend guttun.
Sowohl Manuel Akanji wie auch Breel Embolo haben eine ereignisreiche Woche hinter sich. Beide haben den Klub gewechselt (Akanji von Manchester City zu Inter Mailand, Embolo von Monaco zu Rennes), beide haben noch keine Minute gespielt in einem Ernstkampf in dieser Saison. Doch es zeigt sich: kein Problem!
Da sind – natürlich – ihre Tore. Aber darauf reduzieren wir die Leistung nicht. Akanji hat als Patron eine Ausstrahlung und ein Wirken wie kein anderer Verteidiger in dieser WM-Quali-Gruppe. Ein gesunder Embolo hat derweil immer so viel Wucht und Drive, dass er jederzeit für Tore gut ist, obwohl seine Ballbehandlung manchmal zu wünschen übrig lässt.
Die Last der letzten Woche ist jedenfalls abgeschüttelt. Jetzt gilt es nachzulegen. An Slowenien hat Embolo gute Erinnerungen. Auf den Tag genau zehn Jahre vor dem Spiel gegen Kosovo gelang der Schweiz bei einem 3:2 gegen Slowenien eine spektakuläre Wende vom 0:2 zum 3:2. Der eingewechselte Embolo hatte massgeblichen Anteil dabei.
Als Fabian Rieder YB im Sommer 2023 verlässt, sind sich die Experten sicher: Er wird auch im Ausland für Furore sorgen. Es kommt anders. Zwei Jahre später ist er keinen Schritt weiter. Rieder hat sein Glück weder in Rennes noch in Stuttgart gefunden. Nun nimmt er in Augsburg einen neuen Anlauf. Beim mit bemerkenswert vielen Vorschusslorbeeren gesegneten Trainer Sandro Wagner möchte er sich endlich durchsetzen.
In der Nati ist Rieder hingegen schon länger ein Gewinn. An der EM 2024 hat Murat Yakin so richtig Gefallen an ihm gefunden. Auch im Juni schenkte ihm der Trainer Vertrauen trotz wenig Einsatzminuten im Verein. Und Rieder blühte richtig auf, genoss das Nati-Umfeld sichtlich.
Nun wird deutlich: Der mittlerweile 23-Jährige wird immer wichtiger für die Nati. Rieder beginnt, sich langsam aber sicher auf der früheren Shaqiri-Position zu installieren. Gegen Kosovo überzeugte Rieder als Spielmacher mit viel physischer Präsenz. Er war überall zu finden auf dem Platz. Immer im Bestreben, das Spiel schnell zu machen.
Immer wieder ist die Effizienz ein Thema rund um das Nationalteam. Und weil erst ein WM-Qualifikationsspiel absolviert ist, sollte man diese langjährige Problematik nicht voreilig für ad acta erklären. Trotzdem bereitet der Blick auf die Resultatblätter der letzten Monate Freude. 4:2 gegen Mexiko, 4:0 gegen die USA und 4:0 gegen Kosovo – dreimal in Serie hat die Schweiz jetzt vier Tore in einem Spiel erzielt. Das gab es in der 120-jährigen Länderspielgeschichte noch gar nie. Es ist ein Rekord fürs gute Gefühl, den die Schweizer gerne mitnehmen. Aber die grosse Frage lautet: Kann die Nati die Effizienz der ersten Halbzeit konservieren?
Die fünf Franken ins Phrasenschwein zahlen wir für einmal gerne, wenn wir diesen Satz nun bringen: Kosovo war ein erstes Spiel, doch jetzt muss die Bestätigung folgen, sonst war dieses 4:0 wenig wert. Aber es ist genau so, weil der Fussball in manchen Dingen halt einfache Mathematik ist und letztlich gerade auch der Gesamteindruck zählt, vor allem das Aktuelle (man frage die Deutschen). Und nicht, was vor Tagen oder Wochen war.
In der Vierergruppe ist jeder einzelne Punkt wichtig, mit einem Sieg könnte die Schweiz Slowenien schon einmal mit dem Fernglas suchen, weil der Gegner dann bereits fünf Punkte Rückstand hätte. Zudem war Kosovo, die Weltnummer 95, kein Gradmesser. Nicht für diese gute Schweiz. Slowenien ist als Weltnummer 50 da schon ein anderes Kaliber und wirkt resilienter, davon zeugt auch der späte Ausgleich gegen Schweden. Und deshalb nochmals: Nun muss die Nati nachlegen und den guten ersten Eindruck bestätigen.
Fast 14 Monate hat es gedauert seit der EM 2024, bis es für die Schweizer Nati wieder richtig ernst gilt. Die Euphorie von damals scheint irgendwo auf der Strecke geblieben zu sein. Gegen den Kosovo war das Stadion von Basel zwar mit 33'996 Fans gut gefüllt – aber eigentlich in kosovarischer Hand. Für die Partie am Montag gegen Slowenien sind nun erst etwas mehr als 9000 Tickets verkauft.
Das darf nicht verwundern bei den horrenden Preisen für ein Spiel an einem Montagabend, und Basel ist aus der Gesamtperspektive unseres Landes ja auch nicht wirklich zentral gelegen. Deshalb sagte ja Yakin, er hätte gerne einmal in Bern gespielt, das liege zentraler. Trotzdem ist die tiefe Vorverkaufszahl eine Enttäuschung. Vielleicht lösen ja die vielen Tore gegen den Kosovo noch beim einen oder der anderen Lust auf einen Stadionbesuch aus. (bzbasel.ch)