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Ukraine-Krieg: Europas Moment der Wahrheit ist gekommen

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Nach vier Jahren Krieg: Europas Moment der Wahrheit ist gekommen

Die Friedensgespräche zwischen Kiew und Washington gehen in die Schlussrunde. Gleichzeitig entscheidet sich in Brüssel, ob Europa seine Verantwortung für die Ukraine wahrnimmt – oder ob der Kontinent versagt.
16.12.2025, 11:2416.12.2025, 11:32
Remo Hess, Brüssel / ch media

Weihnachten steht von der Tür. Doch die Besinnlichkeit ist weit entfernt. Hektik, Unsicherheit und Kriegsangst bestimmen den europäischen Alltag. Man muss es leider so sagen.

epa12594011 German President Frank-Walter Steinmeier (R) shakes hands with Ukrainian President Volodymyr Zelensky (R) at Bellevue Palace in Berlin, Germany, 15 December 2025. Berlin hosts US and Ukrai ...
Unter Freunden: Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (rechts) begrüsst den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Schloss Bellevue in Berlin.Bild: keystone

In der Ukraine tobt der Krieg mit unverminderter Gewalt. Und auch auf dem politischen Parkett muss das angegriffene Land in diesen Tagen um sein Überleben kämpfen.

US-Präsident Donald Trump ist fest entschlossen, eine Entscheidung zu erzwingen. Nach intensiven Wochen der Gespräche zwischen Kiew und Washington könnte es jetzt so weit sein.

Unklar ist, welchen Preis die Ukrainer zahlen müssen. Noch sind die wichtigen Territorialfragen offen. Aber Kiew kommt nicht darum herum, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Die Amerikaner mögen versteckte Absichten haben, und bleiben doch für die Ukrainer unverzichtbar. Wie viel Territorium muss die Ukraine abgeben? Und unter welchen Umständen?

Für Europa ist das Resultat der Verhandlungen von herausragender Bedeutung. Die Weichen, welche jetzt gestellt werden, werden den Kontinent auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, hinaus prägen. Das ist keine Übertreibung.

Man muss nicht lange in der Geschichte suchen, um die Tragweite zu erkennen. Das Münchner Abkommen von 1938 sollte Frieden sichern, indem man einem Aggressor territoriale Zugeständnisse machte. Das Ergebnis war das Gegenteil: Es ermutigte Hitler und bereitete den nächsten Krieg vor.

Russian President Vladimir Putin, right, listens to Secretary of United Russia party's General Council Vladimir Yakushev during their meeting at the Kremlin, in Moscow, on Monday, Dec. 15, 2025.  ...
Der Kremlchef Wladimir Putin.Bild: keystone

Bekommt Russlands Diktator Wladimir Putin, was er will, und da sind sich viele mittlerweile einig, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis er zum nächsten Angriff losschlägt. Und dann? Dann sind vielleicht auch wir dran.

«Wir sind Russlands nächstes Ziel», warnte Nato-Generalsekretär Mark Rutte letzte Woche. Zwar hat ihn niemand gefragt, ob mit «wir» auch die Schweiz mitgemeint war. Aber warum sollte unser Land im Herzen Europas verschont bleiben? Etwa, weil bei uns der Krieg in der Ukraine auf dem zehnten und damit letzten Platz im Sorgenbarometer landet?

In unserem Nachbarland jedenfalls stellt der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz schon jetzt die Frage, ob man später einmal wird sagen können, man habe alles Mögliche getan, um Freiheit und Frieden in Europa zu sichern.

German Chancellor Friedrich Merz attends the cabinet meeting at the chancellery in Berlin, Germany, Wednesday, Dec. 10, 2025. (AP Photo/Markus Schreiber)
Germany Politics
Der deutsche Bundeskanzler, Friedrich Merz.Bild: keystone

Haben wir das? Die ehrliche Antwort lautet: Wohl kaum. Europa ist bei der Verteidigung der ukrainischen Freiheit unter seinen Möglichkeiten geblieben.

Das liegt daran, dass Europa ein Schönwetterprojekt ist. Offene Grenzen, offene Märkte, offene Gesellschaften. Bricht aber die Krise aus, wird der Vorteil zur Schwäche. Die politische Komplexität und der ständige Zwang zum Konsens verhindern entschlossenes Handeln dort, wo es nötig wäre. Europa, oder besser gesagt die EU, ist in dieser Hinsicht der Schweiz vielleicht ähnlicher, als es mancher Schweizerin und manchem Schweizer lieb wäre.

Aber Europa kann es sich nicht leisten, eine grosse Schweiz zu sein. Will es selbst über sein Schicksal entscheiden, muss es sich beweisen. Der Moment dazu ist jetzt.

Am kommenden Donnerstag und Freitag treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Es wird der wahrscheinlich folgenschwerste Gipfel seit der Euro-Krise sein. Auf dem Programm steht die für die Ukraine lebensnotwendige Finanzierung der kommenden Monate und Jahre.

Die Lage ist ernst. Zahlt Europa nicht, zahlt niemand. Schon gar nicht die Amerikaner. Aber die Kassen der Hauptstädte sind leer. Deshalb soll nun erstmals überhaupt das in Europa blockierte Vermögen der russischen Zentralbank eingesetzt werden.

epaselect epa09791552 Ukrainian flags are hoisted along Flag of Europe to show solidarity with Ukraine over the Russian aggression, in front of the European Parliament in Brussels, Belgium, 28 Februar ...
Die ukrainische und die Flagge von Europa ausserhalb des Europäischen Parlaments in Brüssel. (Symbolbild)Bild: keystone

Die Hürden dazu sind hoch. Nationale Egoismen blockieren bisher eine Einigung. Aber es gibt kein Entrinnen. Denn es geht nicht nur um die Finanzhilfen. Schaffen es die europäischen Staatenlenker jetzt nicht, vom Reden ins Handeln zu kommen, wäre der politische Flurschaden komplett. Das Signal an Kiew, aber auch an Washington, Moskau und alle anderen, die sich noch für Europa interessieren, wäre eindeutig: Mit uns braucht ihr nicht mehr zu rechnen. Wir verabschieden uns. Der letzte macht das Licht aus.

Noch ist es nicht so weit. Weihnachten ist auch die Zeit der Hoffnung. Und zuversichtlich stimmen mag, dass es Europa in den letzten Krisen doch immer irgendwie geschafft hat. Während der Euro-Krise, während der Covid-Krise: Beide Male stand man schon mit einem Bein im Abgrund. Und doch fand man stets einen Ausweg.

Vergangene Woche sagte US-Präsident Donald Trump, der alte Kontinent werde von Schwächlingen regiert. Es liegt nun an den politischen Verantwortlichen, das Gegenteil zu beweisen. Sie sind es der eigenen Bevölkerung schuldig. Und vor allem auch der ukrainischen. (aargauerzeitung.ch)

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Ukraine Gipfel im Weissen Haus
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Ukraine Gipfel im Weissen Haus

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quelle: keystone / alex brandon
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Küderli
16.12.2025 11:33registriert April 2021
Was immer Russland bei einer "Friedenseinigung" zugesprochen erhält, sollte Europa zumindest dafür sorgen, dass mit Russland keine neuen Wirtschaftsbeziehungen eingegangen werden. Leider zeigt sich in der Politik immer wieder, dass man einst geächtete und verschriene schon nach kurzer Zeit wieder hofiert und freundlich begrüsst. Solange Putin an der Macht ist gehört er und sein Diktatorenreich sanktioniert und ausgesperrt.
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auloniella
16.12.2025 11:41registriert Mai 2016
Ja die Schweiz, und unser Gefühl ne Insel zu sein. Bei meinem Sorgenbarometer ist der Ukrainekrieg und die Situation in der USA ganz oben. Schlussendlich was zählen andere Sorgen wenn der Krieg sich weiter in Europa ausbreitet?

Womit ich rechne, sollten Zugeständnisse am Russland gemacht werden.

Und die Schweis muss sich entscheiden ob sie ihren Ruf nicht auf Jahrzehnte schädigt wenn sie unter dem Deckmantel der Neutralität sich der USA oder auch Russland anbiedert.
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WHK
16.12.2025 12:00registriert März 2019
Diese zahlreichen zahnlosen Sitzungen der Willigen Europäer macht mir schon lange Sorge und ist sicherlich nicht auf Platz 10 meiner Rangliste. Man sollte sich endlich mit den nordischen Länder zusammen tun, die haben die Zeichen der Zeit viel besser erkannt und unternehmen etwas.
Den Vogel schiessen natürlich unsere Politiker ab, welche alle so tun als wäre der Krieg ein kleines Scharmützel zwischen ein paar afrikanischen Stämmen. Falls Putin ernst macht, wäre die Schweiz innert Stunden Mitglied im Neurussischen Reich....
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