Reto will Gerechtigkeit, Madeleine will sitzen.Bild: watson
Pro und Contra
«Die 1. Klasse gehört abgeschafft» vs. «Ich will einfach meine Ruhe»
Der junge Verkehrs-Club der Schweiz will der 1. Klasse in Zügen an den Kragen: Um mehr Platz zu schaffen, soll sie komplett abgeschafft werden.
In der watson-Redaktion sind wir uns über Sinn und Unsinn der 1. Klasse uneinig.
1. Klasse in Zügen – Pro und Contra
Madeleine meint: Ich brauche meine Ruhe
«Hesch z vill Geld, oder was?», hat mich mal ein Bekannter gefragt, als ich ihm gestand, dass ich ein Abo der 1. Klasse besitze. Ich bin nie mit meinem Meh-besser-Billet angeben gegangen, fand es sogar lange Zeit selbst etwas snobby.
Jedenfalls: Nein, ich habe nicht «zU vIeL GeLd». In meinem Fall sind es knapp 800 Franken, die das Upgrade jedes Jahr kostet – ich wohne im Zürcher Unterland und fahre mindestens fünf Tage die Woche in die Stadt und zurück. Es gibt Leute, die 800 Franken in wenigen Wochen im Ausgang liegen lassen. Oder für teure Markenklamotten, oder was auch immer kurzfristig glücklich macht. 800 Franken im Jahr sind 66 Franken im Monat, für die ich also einmal weniger ins Resti gehe.
Ich setze meine Prioritäten im Leben nun mal anders. Ich will im ÖV meinen Frieden haben – und nicht schon genervt bei der Arbeit ankommen.
Das tägliche Pendeln empfinde ich als sehr stressige Angelegenheit. Der Wahnsinn beginnt schon beim Perron, sobald der Zug einfährt. Wenn die Leute den sich öffnenden Türen nachrennen, wohl wissend, dass sie sonst keinen der wenigen freien Sitzplätze ergattern. Mich stresst es, wenn junge (aber auch alte) Menschen im Zug laut Musik hören, telefonieren, durch die Gänge schreien, oder wenn ihr penetrantes Axe-Deo beim Vorbeirennen in meine Nase weht. Der Lärm und das Gedränge rauben mir zu viel Energie, die ich bei der Arbeit gut gebrauchen könnte.
Kurz gesagt: Das 1.-Klasse-Abo erspart mir diesen Pendelstress und schenkt mir ein bisschen Seelenfrieden. Dafür investiere ich gerne etwas Geld.
Was wäre, wenn die 1. Klasse gestrichen würde? Ich denke tatsächlich, dass sich einige 1.-Klasse-Pendler überlegen würden, (wieder) aufs Auto umzusteigen. Ich nicht, bin schliesslich zu müde, um mich morgens konzentriert in den Strassenverkehr zu stürzen. Ausserdem wäre es ökologischer Unsinn.
Also, bitte. Lasst mir mein Billet und meinen Freiraum, und wir bleiben alle Freunde, weil ich so viel entspannter durchs Leben gehe. Cool?
«Hesch z vill Geld, oder was?», hat mich mal ein Bekannter gefragt, als ich ihm gestand, dass ich ein Abo der 1. Klasse besitze. Ich bin nie mit meinem Meh-besser-Billet angeben gegangen, fand es sogar lange Zeit selbst etwas snobby.
Jedenfalls: Nein, ich habe nicht «zU vIeL GeLd». In meinem Fall sind es knapp 800 Franken, die das Upgrade jedes Jahr kostet – ich wohne im Zürcher Unterland und fahre mindestens fünf Tage die Woche in die Stadt und zurück. Es gibt Leute, die 800 Franken in wenigen Wochen im Ausgang liegen lassen. Oder für teure Markenklamotten, oder was auch immer kurzfristig glücklich macht. 800 Franken im Jahr sind 66 Franken im Monat, für die ich also einmal weniger ins Resti gehe.
Ich setze meine Prioritäten im Leben nun mal anders. Ich will im ÖV meinen Frieden haben – und nicht schon genervt bei der Arbeit ankommen.
Das tägliche Pendeln empfinde ich als sehr stressige Angelegenheit. Der Wahnsinn beginnt schon beim Perron, sobald der Zug einfährt. Wenn die Leute den sich öffnenden Türen nachrennen, wohl wissend, dass sie sonst keinen der wenigen freien Sitzplätze ergattern. Mich stresst es, wenn junge (aber auch alte) Menschen im Zug laut Musik hören, telefonieren, durch die Gänge schreien, oder wenn ihr penetrantes Axe-Deo beim Vorbeirennen in meine Nase weht. Der Lärm und das Gedränge rauben mir zu viel Energie, die ich bei der Arbeit gut gebrauchen könnte.
Kurz gesagt: Das 1.-Klasse-Abo erspart mir diesen Pendelstress und schenkt mir ein bisschen Seelenfrieden. Dafür investiere ich gerne etwas Geld.
Was wäre, wenn die 1. Klasse gestrichen würde? Ich denke tatsächlich, dass sich einige 1.-Klasse-Pendler überlegen würden, (wieder) aufs Auto umzusteigen. Ich nicht, bin schliesslich zu müde, um mich morgens konzentriert in den Strassenverkehr zu stürzen. Ausserdem wäre es ökologischer Unsinn.
Also, bitte. Lasst mir mein Billet und meinen Freiraum, und wir bleiben alle Freunde, weil ich so viel entspannter durchs Leben gehe. Cool?
Reto meint: Die erste Klasse ist die grösste Elitisten-Veranstaltung der Schweiz
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, Artikel 8, Absatz 1 unserer Bundesverfassung. Nur in den Schweizerischen Bundesbahnen ist das Gleichheitsgebot ausser Kraft gehebelt: Da gilt die Zweiklassengesellschaft.
Während sich also das gemeine Fussvolk eine Stunde lang zwischen Zürich und Bern zusammenpfercht, sodass man bei Hühnern nicht mal mehr von Bodenhaltung sprechen dürfte, streckt Regula einen Wagen weiter ihre Beine aus.
Die SBB veröffentlichen keine Zahlen zur Auslastung der ersten und zweiten Klasse. Vermutlich mit gutem Grund: Es birgt erhebliches gesellschaftliches Spaltpotential, wenn die SBB publik machen würden, dass ihre Loks nebst den hoffnungslos überfüllten Zweitklasswagen auch noch mehrere grösstenteils leere Erstklasswagen mitziehen. Damit Regula ihre Beine strecken kann.
«Das Erstklass-GA war die beste Entscheidung meines Lebens», wird sie später ihren Freundinnen beim Champagnerfrühstück im Hotel Schweizerhof erzählen. «So viel Platz, keine laut telefonierenden Teenager, keine Geruchsmischung aus Achselschweiss, Kebabausdünstungen und zu grosszügig aufgetragenem Paco Rabanne- Parfüm». Diese wohltuende Ruhe.
Auf Italienisch gibt es das schöne Sprichwort, Reisen mit dem öffentlichen Verkehr sei wie ein Bad in der Realität – un bagno di realtà. Menschen wie Regula täte es vielleicht ganz gut, hin und wieder eine Realitätsdusche im Bad in der Menge zu nehmen.
Auch ich bin nicht sonderlich scharf auf möglichst viel Körperkontakt auf meinem Arbeitsweg. Lange Zugfahrten überlebe ich im Wesentlichen dank meinen überdimensionierten Bügelkopfhörern. Sie schützen mich vor Reizüberflutung. Und kommunizieren schon aus 20 Metern Entfernung: Ich will nicht angequatscht werden.
Ich finde aber: Statt nur wenigen Wohlbetuchten (looking at you, Regula!) ein würdevolles ÖV-Erlebnis zu ermöglichen, sollte man Entlastung für die breite Bevölkerung schaffen. Ist ja schliesslich Service Public.
In Zeiten, in denen das Zugnetz in Spitzenzeiten ohnehin schon an seine Grenzen stösst, mit halbleeren Zugwagen durch die Gegend zu düsen, ist sinnlos. Dass diejenigen, die in der Zweiten Klasse darben, noch die Billets der Erstklass-Bonzen subventionieren, ist schlicht asozial.
Die erste Klasse ist die grösste Elitisten-Veranstaltung der Schweiz und gehört abgeschafft.
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, Artikel 8, Absatz 1 unserer Bundesverfassung. Nur in den Schweizerischen Bundesbahnen ist das Gleichheitsgebot ausser Kraft gehebelt: Da gilt die Zweiklassengesellschaft.
Während sich also das gemeine Fussvolk eine Stunde lang zwischen Zürich und Bern zusammenpfercht, sodass man bei Hühnern nicht mal mehr von Bodenhaltung sprechen dürfte, streckt Regula einen Wagen weiter ihre Beine aus.
Die SBB veröffentlichen keine Zahlen zur Auslastung der ersten und zweiten Klasse. Vermutlich mit gutem Grund: Es birgt erhebliches gesellschaftliches Spaltpotential, wenn die SBB publik machen würden, dass ihre Loks nebst den hoffnungslos überfüllten Zweitklasswagen auch noch mehrere grösstenteils leere Erstklasswagen mitziehen. Damit Regula ihre Beine strecken kann.
«Das Erstklass-GA war die beste Entscheidung meines Lebens», wird sie später ihren Freundinnen beim Champagnerfrühstück im Hotel Schweizerhof erzählen. «So viel Platz, keine laut telefonierenden Teenager, keine Geruchsmischung aus Achselschweiss, Kebabausdünstungen und zu grosszügig aufgetragenem Paco Rabanne- Parfüm». Diese wohltuende Ruhe.
Auf Italienisch gibt es das schöne Sprichwort, Reisen mit dem öffentlichen Verkehr sei wie ein Bad in der Realität – un bagno di realtà. Menschen wie Regula täte es vielleicht ganz gut, hin und wieder eine Realitätsdusche im Bad in der Menge zu nehmen.
Auch ich bin nicht sonderlich scharf auf möglichst viel Körperkontakt auf meinem Arbeitsweg. Lange Zugfahrten überlebe ich im Wesentlichen dank meinen überdimensionierten Bügelkopfhörern. Sie schützen mich vor Reizüberflutung. Und kommunizieren schon aus 20 Metern Entfernung: Ich will nicht angequatscht werden.
Ich finde aber: Statt nur wenigen Wohlbetuchten (looking at you, Regula!) ein würdevolles ÖV-Erlebnis zu ermöglichen, sollte man Entlastung für die breite Bevölkerung schaffen. Ist ja schliesslich Service Public.
In Zeiten, in denen das Zugnetz in Spitzenzeiten ohnehin schon an seine Grenzen stösst, mit halbleeren Zugwagen durch die Gegend zu düsen, ist sinnlos. Dass diejenigen, die in der Zweiten Klasse darben, noch die Billets der Erstklass-Bonzen subventionieren, ist schlicht asozial.
Die erste Klasse ist die grösste Elitisten-Veranstaltung der Schweiz und gehört abgeschafft.
Was denkt ihr? Lasst es in den Kommentaren raus!
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