Er hat die Arena heimlich, still und leise verlassen: Auf dem Brünig hat es ihm am 28. Juli nicht einmal mehr zum Kranz gereicht. Den letzten Kampf seiner Karriere verliert Kilian Wenger gegen einen gewissen Steven Moser. Gegen einen mutigen und tapferen Hinterbänkler ohne eidgenössische Lorbeeren aus dem freiburgischen Sensebezirk. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere hat Kilian Wenger Gegner mit dieser Zwilchhosengrösse allein durch einen bösen Blick eingeschüchtert.
Ob diesem unspektakulären Abgang geht leicht vergessen, dass mit Killian Wenger einer der «Bösesten» der Geschichte (im Schwingen sind die Bösen die Guten) die Sägemehlringe verlässt.
Kilian Wenger ist «nur» einmal König geworden. Vor 14 Jahren. 2010 in Frauenfeld. Andere waren erfolgreicher (Jörg Abderhalden und Ruedi Hunsperger waren dreimal, Ernst Schläpfer und Karl Meli zweimal König) und an die Popularität von Christian Stucki (König 2019 in Zug) kommt er nicht heran.
Aber Kilian Wengers Bedeutung für die Sägemehlkultur ist eher noch höher einzustufen als die von Jörg Abderhalden, Ruedi Hunsperger, Karl Meli oder Ernst Schläpfer. Eine solche Behauptung mag für Traditionalisten schon fast an Sägemehl-Blasphemie grenzen. Trifft aber zu.
Kilian Wenger ist bis heute der bestaussehende König der Geschichte. Er tritt 2010 frisch, unbeschwert, mutig und frech in Frauenfeld an und wird überraschend, ja sensationell König. Frauenfeld ist das erste Eidgenössische, das von unserem öffentlich-rechtlichen Fernsehen nach allen Regeln der TV-Kunst perfekt inszeniert wird. Staunend entdeckt gerade die urbane Jugend, entdecken die Hipster und «Modemäuse» das Schwingen als coole Show uriger Männlichkeit.
Nicht ein knorriger Senn triumphiert. Ein Modellathlet (190 cm/110 kg), der Model oder Filmstar sein könnte, schüttelt das Sägemehl aus dem Hemd und besteigt wie ein junger Gott aus den Bergen den Thron. Der Berner Oberländer ist der erste Popstar in Zwilchhosen.
Er löst einen Boom aus, der bis heute anhält und er hat das Schwingen gerade in den urbanen Kreisen populär gemacht wie keiner vor ihm. Bleibt die Frage, warum er den Triumph von 2010 nie wiederholen kann. Er holt noch viermal Eidgenössisches Eichenlaub (2013, 2016, 2019, 2022) und mit 110 Kränzen gehört er zu den 15 «Bösesten» der Geschichte. Aber über einen 5. Rang kommt er beim Eidgenössischen nicht mehr hinaus und gerät in die Kritik. Der «Blick» hat ihn einmal sogar als schwächsten König der Geschichte eingestuft.
Kilian Wenger schwingt immer mit offenem Visier. Kein verbissener Taktiker wie einst Ernst Schläpfer. Körperlich und mental nicht so robust wie Jörg Abderhalden. Er gewinnt mit explosiven Angriffsschwüngen, bei denen in Sekundenbruchteilen die gewaltigen Kräfte entfesselt werden. Entsprechend hoch ist die Belastung. Er ist ein zerbrechlicher Titan. Früh zwicken ihn Rückenbeschwerden, die dazu führen, dass er nie mehr so explosiv schwingen, so unbeschwert und dominant auftreten wie bei der Thronbesteigung in Frauenfeld.
Weil er der erste Popstar, ein «Poster Boy» seines Sportes ist, unterschätzt der freundliche und sensible Riese ein wenig Rummel und Trubel, die medial und auch sonst einhergehen mit seiner Königswürde. Kommt dazu, dass er eigentlich zu früh König wird. Er ist unschuldige 20, als er den Thron besteigt. Im Gegensatz etwa zu Christian Stucki oder Matthias Sempach, die erst nach vielen Rückschläge im Herbst ihrer Karriere im Alter von 27 bzw. 34 Jahren doch noch triumphieren.
Kilian Wenger kennt die andere Seite des Ruhmes noch nicht und muss fortan damit leben, dass er, wo er auch in die Hosen steigt, als Favorit gilt und gefordert wird. Von nun an zählt beim breiten Publikum nur noch der Sieg, selbst ein eidgenössischer Kranzgewinn wird mit einem «na und?» registriert.
Kilian Wenger war «nur» drei Jahre König. 2013 muss er in Burgdorf den Platz auf dem Thron Matthias Sempach überlassen. Aber er bewahrt eine königliche Würde bis zu seinem letzten Gang. Er verlässt den Sägemehlring entthront und besiegt – aber aufrecht und stolz als einer der «Bösesten» der Geschichte.
Mein Lieblingsschwinger . Ich bin grad e chli trurig. 😢
Für einmal keine Polemik oder sonst dergleichen sondern eine schöne würdigung für einen der besten Schwinger allerzeiten