Gegen Fussballzwerg San Marino erwartet die Schweizer Nati ein extrem defensiv eingestellter Gegner. Immer wieder betonen Fussballer, wie unangenehm derartige Mannschaften zu spielen sind. Trotzdem taugen Abwehrriegel kaum auf Dauer zur erfolgreichen Strategie, weil es auch klare Schwächen gibt.
Das grundsätzliche Problem ist natürlich die fehlende Präsenz. Wenn man sich tief einmauert, hat man selten Zugriff auf das gegnerische Spiel. Man kann den Gegner nur schwer in bestimmte Bereiche lenken, macht keinen Druck und übt daher gegen den Ball keine Kontrolle aus. Entscheidend ist dann, ob die offensive Mannschaft mit der Spielkontrolle etwas anfangen kann.
Die grosse Schwierigkeit für die Stürmer ist dabei, mit den sehr kleinen Räumen zurechtzukommen. Die Basis dafür ist jedoch das Verhalten ausserhalb dieser Räume. Um vielversprechend in die Lücken einzudringen, muss die Ballzirkulation um den Defensivblock herum stimmen. Der Ball sollte möglichst druckvoll horizontal durch das Mittelfeld laufen, um den Gegner permanent zum Verschieben zu zwingen. Im richtigen Moment kann man dann gegen die Dynamik vorwärts spielen.
Die mangelnde Präsenz der mauernden Mannschaft bezieht sich natürlich nicht nur auf die Defensive. Offensiv sind nur gelegentliche Konter möglich. Wie häufig diese zustande kommen, ist meist der entscheidende Punkt in einseitigen Spielen. Um die Gegenstösse zu verhindern, muss das Gegenpressing der Angreifer funktionieren. Nach Ballverlust sollte geschlossen nachgesetzt werden.
Da der Gegner so eng und tief steht, ist das Gegenpressing besonders erfolgsversprechend – der Gegner bietet zwar keine Räume an, hat dadurch nach Balleroberung auch selber erst einmal keine. Wenn der Ball dadurch zurückerobert werden kann, hat man ein paar Augenblicke, um den konternden Gegner ungeordnet zu erwischen. Ein solcher Gegenkonter kann zum entscheidenden Offensivmittel werden. Dortmund-Trainer Jürgen Klopp beispielsweise unterstreicht das gerne mit dem Ausspruch, das Gegenpressing sei «der beste Spielmacher der Welt».
Sowohl für das Gegenpressing als auch die Ballzirkulation ist eine gute Grundpositionierung wichtig. Häufig machen Mannschaften gegen tief stehende Gegner den Fehler, sich beim Aufrücken zu sehr an der nominellen Formation zu orientieren. Dadurch bleiben zu viele Spieler hinter dem Defensivblock, was die Ballzirkulation verschleppt. Mit zu wenig Spielern innerhalb des Blocks hat man ausserdem wenig Zugriff im Gegenpressing und keine Möglichkeiten zum Kombinationsspiel.
In der Endphase passiert dann häufig das Gegenteil: Zu viele Spieler rücken bis in die letzte Linie auf, wodurch die Kontrolle im Mittelfeld und wiederum der Zugriff im Gegenpressing geschädigt wird. Dann ermöglicht man dem Gegner auch Konter.
Aus einer balancierten Grundstruktur mit druckvoller Ballzirkulation und gutem Gegenpressing kann man dann mutig nach spielerischen Lösungen suchen. Ein häufiger Fehler dabei ist, sich intuitiv aus den engen Räumen rauszuhalten und zu sehr auf Flügelräume oder die letzte Linie zu fokussieren. Um beim Gegner Unordnung zu schaffen, muss man den Mut haben, sich auch in Engstellen anzubieten. Wenn man mal den Ball verliert, kann man ja gegenpressen.
Man hat dabei den Vorteil, dass der Gegner nur schwer auf Freilaufbewegungen reagieren kann. Da er schon sehr tief steht, kann er sich nicht weiter zurückziehen, um geöffnete Räume «aufzufressen». Der Defensivblock ist also zwangsweise etwas statischer als bei einem Mittelfeldpressing.
Diese Statik sollte auch mit Läufen in die Tiefe bespielt werden. Die Abwehrlinie hat kaum eine Möglichkeit, auf solche Bewegungen zu reagieren. Mit Admir Mehmedi und Josip Drmic hat die Schweiz durchaus Spezialisten dafür. Je nach Zuspielmöglichkeiten sollten die Sprints aber eher zur Grundlinie zielen, um dann flache Hereingaben zu spielen, anstatt direkt zum Tor, wo der Torhüter einen Pass häufig abfangen kann.
Um dann die entscheidenden Räume und Dynamikvorteile herauszuspielen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Mit Kombinationen kann man den Gegner zu einer Reaktion zwingen und ihn dann überrumpeln. Gute Ablagen wie zum Beispiel von Haris Seferovic wären dabei eine wertvolle Waffe; auf diese Weise kommt man unvorhersehbarer in den Raum zwischen Mittellinie und Sechzehner.
Dort können bestimmte Spieler auch durch Beweglichkeit oder individualtaktische Fähigkeiten mit Unterzahldribblings Spieler binden. So könnte beispielsweise Xherdan Shaqiri Gegenspieler auf sich ziehen und Freiheiten für die Mitspieler schaffen.
Zudem sind natürlich Flügeldribblings, Flanken, Distanzschüsse und Standardsituation Möglichkeiten, die aber in ihrer Effizienz häufig überschätzt werden und vor allem über Quantität funktionieren. Ricardo Rodriguez oder Stephan Lichtsteiner können aber bestrafen, wenn sich der Gegner zu sehr vor das Tor zusammenzieht. Hereingaben sollten möglichst flach und aus tornaher Position gespielt werden.
Ein sehr unterschätztes Mittel sind hingegen Lupfer. Diese hebeln die eng gestaffelte Doppeldeckung der Abwehr aus, sprich: Im Gegensatz zu flachen Pässen kann man sie quasi nicht abfangen, egal wie dicht man steht. Ähnliches gilt für diagonale Flanken aus der Mitte zur Grundlinie, von wo aus man dann vielversprechende direkte Rückgaben vor das Tor spielen kann. Mit diesem Spielzug knackte beispielsweise Atlético Madrid vergangene Saison José Mourinhos mauerndes Chelsea im Champions-League-Halbfinal.
Der sagenumwobene «geparkte Bus» ist also nicht das unbespielbare Mysterium, zu dem er gerne gemacht wird. Man muss nur strukturiert, clever und mutig vorgehen. Unabhängig davon sollte San Marino aber keine all zu grosse Hürde für die Schweiz darstellen; der südeuropäische Fussballzwerg bekommt trotz seiner Defensivstrategie traditionell die meisten Gegentore aller Qualifikationsteilnehmer.