Selten zuvor war die Frage nach dem Favoriten in Wimbledon bei den Männern so eindeutig, so einfach zu beantworten wie in diesem Jahr. Es kann nur einen geben: Novak Djokovic. Seit dem Viertelfinal 2016 gegen den Amerikaner Sam Querrey hat der Serbe dort nicht mehr verloren. 2017 musste Djokovic im Viertelfinal wegen einer Verletzung aufgeben.
Seit 2018 hiess der Sieger bei den Männern immer gleich: Novak Djokovic, zuletzt vier Mal in Folge (2020 fand das Turnier coronabedingt nicht statt).
Gewinnt der 36-Jährige erneut, schlägt er gleich zwei Fliegen auf einen Streich: Er wäre dann neben Björn Borg (1976 bis 1980) und Roger Federer (2003 bis 2007) erst der dritte Spieler in der Open Era (seit 1978), der das bedeutendste Tennisturnier der Welt fünf Mal in Folge gewinnt. Mit seinem achten Titel würde Djokovic zudem mit Roger Federer gleichziehen, dem Rekordsieger bei den Männern. Alles andere als das wäre überraschend.
In den letzten 20 Jahren haben bei den Männern nur vier Spieler den Titel gewonnen: Djokovic, Federer, Andy Murray und Rafael Nadal. Federer ist im letzten Herbst zurückgetreten, Nadal fehlt verletzt, und Murray kam seit seiner Hüftoperation 2018 nie mehr weiter als in die dritte Runde.
Wer also soll Novak Djokovic stoppen? Vielleicht Carlos Alcaraz.
In Wimbledon spielt der Spanier zum dritten Mal. Bei der Premiere 2021 verlor er in der zweiten Runde gegen die damalige Weltnummer 2, Daniil Medwedew. Im Vorjahr unterlag er im Achtelfinal dem Italiener Jannik Sinner, der danach eine 2:0-Satzführung gegen Djokovic verspielte.
Nun fühlt sich Alcaraz auf der exklusiven Unterlage weitaus wohler. Vor einer Woche gewann er in Queen's sein erstes Turnier auf Rasen und verdrängte damit Djokovic wieder von der Spitze der Weltrangliste.
Für sein Spiel auf Rasen lässt sich Alcaraz von Murray und vor allem von Federer inspirieren, wie er jüngst sagte. Immer wieder studiere er Videos der beiden. Wo liegt der Treffpunkt des Balles? Wie verhält man sich taktisch? Wie schafft man es, sich so leichtfüssig zu bewegen? Alcaraz sagt: «Ich möchte zu den besten und beweglichsten Rasenspielern aufschauen.»
Keine Referenz ist für ihn Djokovic. Dieser rutsche auch auf Rasen wie auf Sandplätzen, für ihn sei das nicht möglich. Er versuche gar nicht erst, das zu kopieren: «Novak ist der Hauptfavorit auf den Sieg in Wimbledon. Aber ich gehe das Turnier mit viel Selbstvertrauen an», sagt Carlos Alcaraz.
Einer, der Djokovic in Wimbledon 2012 einmal bezwingen konnte, ist Roger Federer, ehe er 2014, 2015 und 2019 (nach zwei nicht genutzten Matchbällen) jeweils im Final gegen den übermächtigen Serben verlor.
2019 trainierte Federer in Wimbledon auch zum ersten Mal mit Carlos Alcaraz. «Das ist eine witzige Geschichte», erinnerte sich Federer kürzlich in Halle. Nach dem Training damals sagte er zu seinem Trainer Severin Lüthi: «Mit ihm will ich eigentlich nicht unbedingt trainieren, aber mit Ferrero.» Was er dann auch tat. «Das war witzig, wenn ich zurückschaue. Ich wusste auch nicht, dass Alcaraz so eine tolle Karriere hinlegen würde.»
Roger has been one of my idols and a source of inspiration! 🥲 Thank you for everything you have done for our sport! ❤️ I still want to play with you! 🥹 Wish you all the luck in the world for what comes next! 💪🏻 @rogerfederer pic.twitter.com/k4xjyN3AAB
— Carlos Alcaraz (@carlosalcaraz) September 15, 2022
Ferrero ist wenige Monate älter als Federer und stammt aus der gleichen Generation. Er war 2003 selbst die Nummer 1 der Welt, ehe er erst von Andy Roddick und dann von Federer abgelöst wurde. Nun versucht Ferrero, mit Alcaraz das zu erreichen, was ihm selber nie gelungen ist: in Wimbledon zu gewinnen. Als Herausforderer von Novak Djokovic.