Triumphierend streckte er die Arme nach oben, die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben: Mit seinem fünften Matchball beendete Andy Murray im Final des Masters-1000-Turnier von Montreal den dreistündigen Abnützungskampf mit Novak Djokovic.
6:4, 4:6, 6:3 siegte der Schotte und feierte nach zuletzt acht Niederlagen in Folge den ersten Sieg gegen die serbische Weltnummer 1 seit dem Wimbledon-Final 2013. Für Murray war es der vierte Turniersieg des Jahres, der insgesamt 35. seiner Karriere und der elfte bei einem Event der 1000er Kategorie.
Djokovic verlor im Kalenderjahr 2015 zuvor erst dreimal. Gegen Ivo Karlovic in Doha, gegen Roger Federer in Dubai und gegen Stan Wawrinka beim French Open. Murray und sein Coaching-Team scheinen sich vor dem Rencontre mit Djokovic vor allem von den beiden Schweizern einiges abgeschaut zu haben. Der Schotte siegte nämlich vor allem dank einer taktischen Meisterleistung, die sehr nach einem Mix aus Federer und Wawrinka aussah.
Murray verliess von Beginn an konsequent seine Komfortzone an der Grundlinie, spielte unglaublich offensiv und hielt die Punkte kurz. Während er sich in Duellen mit Djokovic sonst meist Ballwechsel mit weit über 10 Schlägen lieferte, blieben solche Rallyes in Montreal die Ausnahme.
Wie sonst nur Federer suchte Murray konsequent den Weg ans Netz, wenn sich ihm die Gelegenheit bot. 20 von 31 Vorstössen (68 Prozent) schloss er erfolgreich ab. Zwar war Djokovic häufiger am Netz (27/48, 56 Prozent), doch für ihn war es mehr eine Flucht nach vorne, weil er für einmal auch in den Grundlinien-Duellen keine entscheidenden Vorteile hatte. Murray drückte den besten Grundlinien-Spieler der Welt – ähnlich wie Wawarinka im French-Open-Final – regelrecht von der Grundlinie weg. Dafür schlug er die Bälle im Final durchschnittlich mit 8 km/h härter als noch in den Runden zuvor.
Wurde es einmal brenzlig, konnte sich Murray auf seinen Aufschlag verlassen. Insgesamt wehrte er 11 von 14 Breakmöglichkeiten des Serben ab, fünf davon im vierten Game des dritten Satzes, das 10 Mal über Einstand ging und rund 18 Minuten dauerte. Viermal kam dort der Murrays erster Aufschlag nicht zurück, einmal punktete der Schotte mit einem Volley-Winner.
Murray machte gegen einen starken Djokovic alles richtig und hat sich so vor dem US Open zum ersten Herausforderer der Weltnummer 1 gemausert. Weil bei Federer die 1000 Punkte von seinem letztjährigen Sieg in Cincinnati bereits heute aus der Wertung fielen, ist Murray wieder die Nummer 2 der Welt.
Sein Sieg widmete Murray seiner abwesenden Trainerin Amélie Mauresmo. Die Französin hatte am Sonntagmorgen in Frankreich einen Sohn geboren. Zusammen mit Jonas Björkman, der seit April zu Murrays Betreuerteam gestossen ist, hat sie massgebenden Anteil an der Rückkehr des Schotten zur alten Stärke.
Als Murray Mauresmo im Juni 2014 als Nachfolgerin von Ivan Lendl vorstellte, erntete er so einige hochgezogene Augenbrauen. Eine Frau als Trainerin im Herrentennis? Kann das funktionieren, fragten sich viele. Schliesslich hatte noch kein Grand-Slam-Champion zuvor einen weiblichen Coach engagiert.
Es kann, war die Antwort. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erholte er sich von der physischen und psychischen Baisse, die seine Rückenoperation im Herbst 2013 mit sich brachte. In Mauresmo fand er nach dem Rückzug Lendls die nötige Stütze. «Es fällt mir einfach leichter, mit Frauen zu sprechen und mich zu öffnen», erklärte Murray, der schon zuvor in seiner Karriere oft mit Sport-Psychologen gearbeitet hatte, offen.
Seit September 2014, als er sogar aus sen Top 10 flog, geht es steil bergauf. Murray gewann in diesem Jahr erstmals in seiner Karriere ein Turnier auf dem geliebten Sand und scheiterte bei den grossen Turnieren jeweils an Djokovic und in Wimbledon an einem über sich hinauswachsenden Federer.
Keine Frage: Mit Mauresmo für die Psyche und Björkman fürs Taktische ist Murrays Team so gut aufgestellt wie wohl noch nie. Und auch privat stimmt alles. Seine Frau Kim erwartet das erste gemeinsame Kind. Und momentan scheint es so, als könnte Murray in absehbarer Zukunft der einzige sein, der Novak Djokovic im Kampf um den Tennis-Thron in Bedrängnis bringen könnte.