Es ist noch gar nicht so lange her, da war Emma Raducanu eine talentierte Juniorin, ging noch zur Schule, statt Turniere zu spielen. Dann kamen drei Wochen im Schaufenster der Weltöffentlichkeit, in New York, im grössten Tennisstadion der Welt, die ihr Leben verändern sollten. Als Qualifikantin stürmte die 19-jährige Britin zum US-Open-Sieg. Danach war sie Gast bei der Fashion Week in London, traf die Nobelpreisträgerin Malala Yousafzai, die pakistanische Kinderrechtsaktivistin. Schlug Bälle mit Herzogin Kate Middleton. Raducanu wurde in dieser Zeit nicht nur zum globalen Sport-, sondern auch zum Medienstar mit 2.5 Millionen Followern auf Instagram.
Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten. Überall Kameras, Youtube, Tiktok, Facebook, Instagram – der Weg zwischen Sportlerin und Anhängern ist so kurz wie nie zuvor. Das ist nicht immer zum Vorteil der jungen Frauen.
Es ist Ende des letzten Jahres, als ein verheirateter Brite in jenem Vorort im Nordwestens Londons herumschleicht, in dem Raducanu mit ihren Eltern lebt. Vor dem Haus der 19-Jährigen hinterlässt er Blumen und die Notiz: «Du verdienst Liebe!» Einmal zeichnet der 35-Jährige auf einer Karte die 23 Meilen lange Strecke ein, die der Arbeitslose von seinem Zuhause aus zu Fuss zurückgelegt hat – in der Hoffnung, Raducanu zu treffen. Beim dritten Besuch dekorierte er kurz vor Weihnachten einen Baum vor ihrem Zuhause und klaute ein paar Schuhe von der Fussmatte. Raducanus Vater beobachtete den Vorfall, folgt dem Mann und benachrichtigte die Polizei.
Ende Januar wurde der Stalker verurteilt, bleibt aber auf freiem Fuss, unter der Auflage, Besuche künftig zu unterlassen. Was das mit der Betroffenen macht, erklärte Raducanu britischen Medien: «Ich traue mich kaum mehr aus dem Haus, schon gar nicht alleine. Ich bin verängstigt und fühle mich dauernd verfolgt. Ich fühle mich in meinem eigenen Zuhause nicht mehr sicher und habe das Gefühl, man habe mir meine Freiheit genommen.» Die US-Open-Siegerin möchte nun so schnell wie möglich umziehen.
Raducanus Fall ist ein Extrembeispiel, die Zudringlichkeit aber längst keine Ausnahme. Für ihre Bekanntheit zahlen diese jungen Frauen einen hohen Preis. Und bei vielen ist die Angst ein ständiger Begleiter. Erfahrungen mit überbordernder Fanliebe, die zur Obsession wird, hat auch Belinda Bencic. «Es gab einmal einen Fan, der mir dauernd Sachen nach Hause geschickt und mich mit Blumen und CDs überhäuft hat», erzählt sie auf Frage von CH Media in Paris. «Es ist unangenehm, wenn jemand von dir besessen ist.» Bencic war damals noch eine Teenagerin, wohnte bei ihren Eltern. Auf der Webseite war ihre private Adresse angegeben: für Fanpost. «Mit solchen Dingen muss man aufpassen, weil man sich und seine Familie schützen will. Es könnte ja sein, dass jemand einfach bei dir vorbeikommt.»
Neu ist das Phänomen nicht, auch Martina Hingis hatte mit einem Stalker zu kämpfen. Ein Australier sah bei der damals 18-Jährigen Ähnlichkeiten zu seiner Ex-Frau. Er rief sie in Hotelzimmern an, klopfte bei Hingis zu Hause in Zürich an der Tür. Das Martyrium nahm erst ein Ende, als der Australier festgenommen und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Nicht immer lauern die Stalker den Sportlerinnen auf, markieren dafür in den sozialen Medien Präsenz. Wie im Fall von Simona Halep. In Anlehnung an die englische Bezeichnung «Jalapeño» für Paprika ist der Spitzname der Rumänin «Halepeño». Was einen Dänen dazu verleitete, ein Video zu drehen, in dem er zehn Paprikas vertilgt. Während Monaten hatte er Halep mit Liebesbekundungen eingedeckt. Als bekannt wurde, dass sie heiratet, drehte der Mann durch und schrieb: «Ich werde dich zerstören. Du stirbst!»
Die Women's Tennis Association WTA nimmt solche Drohungen sehr ernst, verstärkte die Schutzmassnahmen umgehend. Grund dafür ist das Messer-Attentat auf Monica Seles. 1993 rammte in Hamburg ein obsessiver Fan von Steffi Graf Seles bei einem Seitenwechsel ein Messer in den Rücken. Erst zwei Jahre später kehrte Seles in den Tenniszirkus zurück.
Ähnliche Erfahrungen hat auch Serena Williams gemacht. 2011 war es, als ihr Peiniger ihr das Leben schwer macht. In Los Angeles versucht er, in ein Bürogebäude und in Miami in ein Radiostudio einzudringen, in dem sich die inzwischen 23-fache Grand-Slam-Siegerin aufhält. Erst, als er vor den Toren der abgeriegelten Siedlung in Palm Beach auftaucht, in der Williams lebt, wird er verhaftet. Seither beschäftigte sie zeitweise zwei Bodyguards. Fahrer weist sie an, sie nicht auf direktem Weg an ihr Ziel zu bringen, um mögliche Verfolger abzuschütteln. «Es ist sehr beängstigend», sagte sie.
Die sozialen Medien haben die Distanz zwischen Sportlerinnen und ihrem Anhang verkleinert, der Zugang ist nur einen Klick entfernt. Und doch will und kann Belinda Bencic nicht darauf verzichten. Sie sagt: «Ich will mein Leben teilen, auch für die Sponsoren. Doch der Grat, auf dem man sich dabei bewegt, ist schmal.» Bei vielen ist die Angst ein ständiger Begleiter. Das ist der Preis, den diese Sportlerinnen für ihre Bekanntheit zahlen. (aargauerzeitung.ch)