Jelena Rybakina ist in Moskau geboren und aufgewachsen. Sie besitzt den russischen Pass und hat ihren offiziellen Wohnsitz in der russischen Hauptstadt. Trotzdem ist sie beim Wimbledon-Turnier, bei dem der All England Tennis Club russische und belarussische Spielerinnen und Spieler ausgeschlossen hat und dafür bestraft und gebüsst wurde, mit dabei und bestreitet morgen gar den Final.
Wie ist das möglich? Rybakina spielte von 2013 bis 2018 für Russland. Danach wechselte sie die Nation und trat fortan für Kasachstan an. Der kasachische Tennisverband bot der damals 19-jährigen Rechtshänderin finanzielle Unterstützung und einen Pass an, damit sie künftig für Gelb-Blau statt Weiss-Blau-Rot antritt.
Rybakina, die Mühe mit der Finanzierung ihrer Karriere hatte, nahm dankend an und vertrat Kasachstan seither auch im Fed Cup und bei Olympischen Spielen. Die heute 23-Jährige mag es mittlerweile nicht mehr, wenn man sie auf ihre Beziehung zu Russland anspricht. «Ich spiele schon lange für Kasachstan und bin stolz, das Land zu vertreten. Sie haben an mich geglaubt», sagte sie diese Woche in Wimbledon.
Ob sie sich als Russin fühle? «Was soll das schon heissen? Ich spiele Tennis für mich. Es ist eine schwierige Frage. Ich bin in Russland geboren, aber natürlich repräsentiere ich Kasachstan.» Sie habe aber sicher Mitleid mit den Spielerinnen und Spielern, die nicht in Wimbledon sein können. Aber gleichzeitig geniesse sie auch ihre Zeit hier in London.
Auch auf die Frage nach ihrem aktuellen Wohnsitz antwortet Rybakina nur ausweichend. Ihre Basis sei die Tennis-Tour, denn sie sei dauernd unterwegs und nirgends richtig zu Hause: «Ich trainiere in der Slowakei und halte Camps in Dubai ab. Ich reise jede Woche an einen neuen Ort.» Über den aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine befragt, erklärte die gebürtige Russin: «Ich möchte nur, dass der Krieg so schnell wie möglich endet. Frieden? Ja!»
Derweil scheut sich der russische Tennisverband nicht davor, die Erfolge Rybakinas zu feiern. «Lena kann Wimbledon gewinnen, das wäre hochverdient. Es geht alles perfekt auf, wir freuen uns mit ihr», sagte Verbandspräsident Schamil Tarpischtschew gegenüber eines russischen Newsportals.
Ob Rybakina das Turnier tatsächlich gewinnt, wird sich am Samstag (15 Uhr) zeigen. Dann steht sie als erste Kasachin überhaupt in einem Grand-Slam-Final und trifft dort auf eine andere Debütantin: Ons Jabeur aus Tunesien. (abu)