Die Affiche zwischen dem schwedischen Vertreter AIK Stockholm und dem Gegner Fylkir Reykjavik aus Island interessiert nur die Direktbeteiligten. Vielmehr im Fokus steht eine zierliche Frau aus La Chaux-de-Fonds. Die 36-jährige Nicole Petignat hat die «Ehre» (oder Bürde), als erste Frau ein Europacup-Spiel bei den Männern zu leiten.
Vor dem für sie wichtigsten Spiel der Karriere steht sie wenige Stunden vor dem Ernstkampf kurz ihrem Heimblatt Le Quotidien Jurassien Red und Antwort. Am Vortag hat die gelernte Physiotherapeutin noch in ihrem Fitnesscenter in Wil SG Beine durchgeknetet, jetzt sitzt sie im Hotel in Stockholm mit ihren (männlichen) Assistenten zusammen, die ebenfalls aus der Schweiz kommen.
Der Druck ist gross, wie Petignat zugibt: «Ich hoffe, ich kann meinen Kopf freimachen und mich konzentrieren, damit ich das Spiel korrekt leiten kann.» Aber sie hat am Nachmittag vor dem Spiel noch zwei Stunden schlafen können, was ihr vor Nationalliga-Spielen nur selten gelingt. Sie sei aber rechtzeitig mit Hilfe des Weckers wieder aufgewacht, wie sie gegenüber der «SonntagsZeitung» festhält.
Die 36-Jährige ist überrascht über das gewaltige Medieninteresse und beklagt sich, dass ihr Telefon nicht aufgehört zu klingeln habe. Aus der ganzen Welt treffen Interview-Anfragen ein.
Sie wünscht sich: «Ich wäre lieber die Zweite gewesen.» Dabei ist es für sie ein «tolles Geschenk», den Match leiten zu dürfen. «Die UEFA hat mir die Ehre erwiesen, dieses Spiel zu leiten. Es liegt an mir, zu beweisen, dass die Funktionäre richtig lagen.»
Angst vor Beschimpfungen hat die Frau, die einst selbst Fussballerin werden wollte, nicht, wie sie gemäss der «Luzerner Zeitung» festhält: «Sprüche und Pfiffe der Zuschauer gehen bei mir mittlerweile in einem Ohr hinein und im anderen wieder hinaus. Früher nahm ich sie persönlich. In einem Stadion sind die Fans und folglich auch deren Rufe anonymer. Zu Beginn meiner Karriere pfiff ich vor ein paar Dutzend Zuschauern, da hatte jedes «Du blinde Kuh» ein Gesicht.»
Falls ein Spieler sich ihr gegenüber nicht im Griff habe, wende sie das Regelwerk an – sprich die Bestrafung mit einer gelben oder roten Karte. Die Attacken von Spielern seien im Verlaufe der Karriere seltener geworden, bemerkte Petignat damals, als sie seit sieben Jahren Partien der obersten beiden Schweizer Ligen leitete.
Petignat muss nach gerade mal drei Minuten den ersten Härtetest bestehen. Nach einem Stromausfall im Rasunda-Stadion fallen die Schweinwerfer kurzfristig aus. Die Schweizerin bleibt vor gut 8000 Besuchern souverän. «Der Zwischenfall brachte mich nicht aus dem Konzept. Ich entschied sofort, das Spiel fortzusetzen», so Petignat, die 1999 den WM-Final der Frauen vor sogar 90'000 Zuschauern pfiff.
Das Spiel verläuft für Petignat nach Wunsch. Nur eine gelbe Karte muss sie beim 1:0-Sieg der Schweden zücken und die Spieler verhalten sich fair: «Sie haben mich voll respektiert. Nach dem Spiel bedankten sie sich. Die Fussballer wollten mit mir aufs Foto – sogar die Verlierer», erzählt sie wenige Tage danach lachend der «SonntagsZeitung».
Das grösste Kompliment macht ihr AIK Stockholm-Trainer Richard Money, der schlicht sagt: «Sie war klasse.»