Darauf ist «Sportstudio»-Moderator Rainer Günzler wohl nicht vorbereitet. Als er den Boxer Norbert Grupe bei sich hat, verläuft das Interview mehr als einseitig. Der 29-Jährige hat offensichtlich null Bock, dem Fragesteller zu antworten. Er sitzt bloss in seinem Fauteuil und grinst – aber bedankt sich am Ende des «Gesprächs» höflich und nennt es «sehr aufschlussreich».
Ein Jahr zuvor war der Boxer schon einmal zu Gast in der ZDF-Sendung gewesen. Dort schilderte er den letzten Kampf aus seiner Sicht, während Moderator Günzler Szenen zeigte, in denen Grupe diverse Schläge kassierte. Das machte den Boxer so sauer, dass er sich vornahm, dem Moderator bei nächster Gelegenheit eins auszuwischen. Immerhin entschied er sich, einfach zu schweigen und setzte nicht die erste Idee um, Günzler eine zu pfeffern …
Günzler: Wie fühlen Sie sich nach den fünf Niederschlägen von gestern Abend?
Grupe: Die waren gestern Abend, ne?
Ja, gestern Abend, ne.
Schweigen.
Wie geht's Ihnen dann? Gut?
Heute geht's mir gut.
Geht's wieder gut. Äh, Sie haben sich bei irgendeinem Niederschlag den Knöchel verletzt. Sind Sie umgekippt?
Schweigen.
Er ist umgekippt, ich weiss es, er hat es mir vorhin erzählt. Sagen Sie mir, ähm, hatten sie schon vor dem Kampf den Eindruck, dass Sie hier einem stärkeren Gegner gegenüberstehen? Kann man das als Mut bezeichnen, dass Sie gegen Oscar Bonavena gekämpft haben oder war das die Vorstufe für das, was man über Sie las, dass Sie jetzt die Handschuhe an den Nagel hängen wollen?
Schweigen.
Ich fand Sie in der zweiten Runde besser, muss ich Ihnen sagen, als jetzt im Augenblick. Ich fand Sie echt besser, denn da taten Sie was und jetzt schweigen Sie. Warum schweigen Sie?
Schweigen.
Na Ihr Lächeln ist ja auch ganz hübsch. Also machen wir eine andere Frage, wenn Sie auf die nicht antworten wollen. War vielleicht der Gewichtsunterschied zu gross? 18 Pfund.
Schweigen.
Auch nicht. Der Gewichtsunterschied war also auch nicht so gross. Dann gestatten Sie mir vielleicht noch eine weitere Frage, ich hoffe auf eine Antwort: Was machen Sie demnächst? Boxen Sie weiter? Gehen Sie nach Amerika? Werden Sie wieder Schauspieler? Oder wie sieht's aus?
Schweigen.
Auch nicht. Ich bedanke mich für dieses Gespräch, es war reizend.
Ich mich auch, es war sehr aufschlussreich und es freut mich, dass Sie nach wie vor dem Boxsport mit freundlichen Augen und Worten gegenüberstehen. Recht schönen Dank, Herr Günzler.
Bitteschön, deswegen haben wir ja, Herr Grupe, heute Abend auch einen grossen Teil unserer Sendezeit dem Boxsport gewidmet, das war der Grund.
Norbert Grupe kommt 1940 in Berlin zur Welt, mitten während des Zweiten Weltkriegs. Als der Vater in die USA zieht, reist Norbert nach. Er versucht in Los Angeles, als Schauspieler Fuss zu fassen. Als das nicht klappt, gehen Vater und Sohn zum Wrestling. Doch die beiden, welche den «hässlichen Deutschen» mit Zwirbel-Schnauz und Monokel darstellen, verdienen für ihren Geschmack zu wenig.
Also löst Norbert Grupe für fünf Dollar eine Box-Lizenz und tritt fortan als Faustkämpfer unter dem Künstlernamen «Wilhelm von Homburg» auf. Und er lernt, dass man als Boxer die Massen nicht nur mit Taten, sondern auch mit Worten begeistern kann. Grupe kopiert von Grossmaul Cassius Clay (später Muhammad Ali) und lässt seine blonde Mähne über Ohren und Nacken wuchern. «Ich trug schon eine Beatle-Frisur, als noch kein Mensch die Beatles kannte», behauptet Grupe im Spiegel.
1964 kehrt er mit der Kampfbilanz von 18 Siegen und 3 Niederlagen in den USA nach Deutschland zurück. «Mit breitkrempigen Cowboy-Hut kletterte er aus dem Flugzeug, verlangte nach dem 17 Stunden dauernden Flug zuerst Boxhandschuhe und duzte alle Reporter», ist über seine Ankunft in Hamburg zu lesen.
Den Kampf gegen Uli Ritter dominiert er. Doch weil das Kampfgericht sein überhebliches Gehabe nicht goutiert, wertet es den Kampf unentschieden. «Gebt mir ein gerechtes Urteil!», fleht Grupe auf den Knien und mit den Händen bittend von sich gestreckt.
Einen Titel kann Grupe nie gewinnen. Und auch die Schauspielkarriere verläuft eher schleppend. 1965 spielt er in einem Film mit Marlon Brando und Yul Brynner, einige Jahre später an der Seite von Mario Adorf.
Lange nach der Karriere hat er als «Wilhelm von Homburg» immerhin Nebenrollen in zwei Kassenknüllern: In Ghostbusters II und in Stirb Langsam. Dort ist er ein Gangster an der Seite von Bösewicht Hans Gruber.
Auch im echten Leben rutscht Grupe in die Halbwelt ab. Der Boxsport und das Milieu stehen sich seit jeher nahe. Fünf Jahre seines Lebens verbringt er hinter Gittern, wegen Zuhälterei und Körperverletzung. Lange gilt Norbert Grupe als verschollen, bis ein Dokumentarfilmer ihn, verarmt und vereinsamt, in Los Angeles aufspürt und das Portrait «Der Boxprinz» dreht. Mit 63 Jahren stirbt Norbert Grupe 2004 in Mexiko an Krebs.