Dass es überhaupt zu diesem Rennen kommt, ist Schicksal. Samstag, 23. Oktober 1971: Jo Siffert fährt in Brands Hatch mit seinem BRM P160 Trainingsbestzeit und einen neuen Streckenrekord. Hier, etwa 30 Kilometer südöstlich von London, wird die Formel-1-Saison 1971 abgeschlossen.
Eigentlich hätte der GP von Mexiko an diesem Wochenende die Saison beschliessen sollen. Aber weil Pedro Rodrigues am 11. Juli tödlich verunglückt ist, wird dieser GP abgesagt. Der Mexikaner war Teamgefährte Sifferts bei Porsche und BRM. Am Steuer eines Ferrari-Prototyps hat er bei einem Interserie-Rennen auf dem Norisring sein Leben verloren.
Die Absage des Mexiko-GP ist der Grund, warum die Engländer an diesem Datum in Brands Hatch zu Ehren des neuen Weltmeisters Jackie Stewart das World Championship Victory Race organisieren. Denn eigentlich ist die Strecke nur für den letzten Lauf einer britischen Meisterschaft gebucht.
Sonntag, 24. Oktober: Auf der rechten Seite der Piste bietet die Pole-Position in Brands Hatch beim Start keinen Vorteil. So ist es nur logisch, dass Jo Siffert beim Start nicht schnell genug wegkommt. Aber er lässt sich dadurch nicht irritieren. Ihm gelingt eine grandiose Aufholjagd. In zehn Runden braust er vom 10. bis auf den 4. Platz. An der Spitze fährt sein Teamkollege Peter Gethin, dahinter folgen Emerson Fittipaldi und Jackie Stewart.
Und dann kommt es in der 16. Runde zum Drama. Über den Lautsprecher erfahren die Zuschauer, dass das Rennen «aufgrund eines tragischen Unfalls in der Hawthorn-Kurve» abgebrochen wird. Innert kürzester Zeit verbreitet sich die Nachricht: Jo Siffert ist vor der Hawthorn-Kurve von der Piste abgekommen. Der BRM schleudert gegen eine Böschung.
Der seitliche Benzintank wird aufgerissen, der Wagen überschlägt sich, steigt in die Luft und kracht – mit den Rädern nach oben – auf dem Boden auf, wo er in Flammen aufgeht und explodiert. Im Cockpit eingeklemmt, das linke Bein mehrfach gebrochen, wahrscheinlich bewusstlos, stirbt Jo Siffert auf der Stelle.
Erst nachdem das Feuer gelöscht worden ist, kann sein Leichnam aus den verbrannten Trümmern geborgen werden. Die Rettungsleute treffen spät am Unfallort ein. Zwei der drei Feuerlöschgeräte, die in der Nähe der Aufschlagstelle platziert sind, funktionieren nicht. Aber es ist so oder so schon zu spät. Jo Siffert hat keine Überlebenschance. Der 35-Jährige erstickt im Rauch.
Was ist die Ursache dieses tragischen Unfalles? Ein Fahrfehler? Ein mechanischer Defekt? Zeugen berichten später, dass sich Jo Siffert der Hawthorn-Kurve mit rund 225 km/h nähert. Er scheint Probleme mit dem Getriebe zu haben. Das Auto gerät ins Schleudern, streift einen Pflock am Pistenrand, dreht sich und kommt mit den Rädern in der Luft zum Stillstand.
Jackie Stewart, der zum Zeitpunkt des Unfalles vor Jo Siffert gefahren ist, sagt später, der Schweizer habe die Piste etwa hundert Meter vor der Stelle verlassen, an der er hätte abbremsen sollen. Der schottische Champion schliesst damit jeden Fahrfehler aus. Andere vertreten die Ansicht, dass ein Reifen Luft verloren habe. Für diese These spricht, dass Jo Siffert in der 15. Runde eine Sekunde auf die Besten verliert, obwohl er durch keine Überholmanöver gebremst worden ist. Das könnte bedeuten, dass aus einem Reifen langsam Luft entwichen ist – ein schleichender Plattfuss.
John Surtees, der mit zwei Sekunden Rückstand folgt, hat gesehen, wie Sifferts Wagen in eine Zick-Zack-Fahrt gerät. Vermutlich wegen eines geplatzten Reifens. Aber die Unfallursache ist nie geklärt worden.
Fünf Tage nach seinem tödlichen Unfall wird Siffert in seiner Heimatstadt Freiburg zu Grabe getragen. 50'000 Menschen säumen die Strassen der Zähringerstadt und nehmen Abschied von ihrem Idol. Ein solches Begräbnis hat die Schweiz bis dato nicht gesehen. Das Fernsehen überträgt die Beerdigung live und Siffert wird postum zum Schweizer Sportler des Jahres erkoren.
2005 erscheint ein Dokumentarfilm über Sifferts Leben, «Jo Siffert – Live fast, die young» heisst das Werk des Bündners Men Lareida, der den Mythos um den Schweizer Rennfahrer neu aufleben lässt. Und Jo Siffert ist wahrlich unvergessen: Jedes Jahr pilgern seine Fans um genau 14.18 Uhr (Zeit des Unfalls) zu seinem Grab, um eine Gedenkminute für «Seppi» abzuhalten.
Anmerkung: Soviel ich weiss schreibt man Rodriguez mit z am Schluss