Es ist eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Fussballgeschichte: Bei der WM 1982 in Spanien werfen die DFB-Elf und ihr Gegner Österreich beim letzten Gruppenspiel alle Fairness über Bord und schliessen einen Nichtangriffspakt.
Mit dem deutschen Führungstor durch Horst Hrubesch in der 10. Minute sind beide Mannschaften gut bedient. So lange sich am Spielstand in Gijon nichts mehr ändert, sind Deutschland und Österreich aufgrund des besseren Torverhältnisses auf Kosten von Algerien für die K.-o.-Runde qualifiziert. Weil die letzte Partie der Nordafrikaner gegen Chile bereits beendet ist, bleibt ihnen nur die Rolle des ohnmächtigen Zuschauers beim abgekarteten Spiel der Konkurrenz.
Unter Pfiffen und Schmährufen des mehrheitlich spanischen Publikums spielen Deutschland und Österreich die Uhr herunter, ohne sich überhaupt ernsthaft um ein weiteres Tor zu bemühen. Meistens passen sich die Akteure den Ball ungestört in der eigenen Platzhälfte zu, während der Gegner auf seiner Seite wartet. Nach einigen Minuten schlägt der Goalie einen langen Ball nach vorne und das Spielchen beginnt erneut.
Nicht nur die Fans im Stadion sind ausser sich – auch die TV-Kommentatoren poltern ordentlich drauf los. ARD-Mann Eberhard Stanjek nennt das Spielgeschehen «eine Schande» und sein ORF-Kollege Robert Seeger fordert die Zuschauer sogar dazu auf, den Fernseher abzuschalten.
Als Konsequenz werden ab der EM 1984 die letzten beiden Gruppenspiele bei grossen Turnieren zeitgleich angepfiffen. Trotzdem kommt es jetzt, 32 Jahre nach dem Nichtangriffspakt von Gijon, an der WM in Brasilien zu einer ähnlichen Konstellation. Wegen des Last-Minute-Ausgleichs von Portugal im zweiten Spiel hat die USA die Achtelfinalqualifikation noch nicht auf sicher. Wie Gegner Deutschland brauchen die US-Boys im letzten Spiel am Donnerstag noch einen Punkt, um Ghana und Portugal mit Sicherheit auf Distanz zu halten.
Machen Deutschland und die USA jetzt also auch ein «Päckli» und qualifizieren sich mit einem brüderlichen Unentschieden für den Achtelfinal? Vieles spricht dafür: Deutschland würde das Ziel Gruppensieg dank des besseren Torverhältnisses erreichen – die USA könnte mit dem 2. Platz in dieser stark besetzten Gruppe eine der grössten Sensationen ihrer Geschichte realisieren.
Und auch die Kommunikationswege für eine informelle Absprache sind bekanntlich nicht weit: Bundestrainer Jogi Löw und US-Coach Jürgen Klinsmann sind alte Kameraden. Beim deutschen Sommermärchen 2006 unter Klinsmann fungierte Löw noch als dessen Co-Trainer.
Natürlich würde keiner der Direktbeteiligten jemals öffentlich zugeben, dass er sich mit einem Deal anfreunden könnte. Aber zumindest der Kommentar des in Deutschland geborenen US-Mittelfeldstrategen Jermaine Jones (ehemals Schalke 04, Leverkusen, Frankfurt) tönt nicht sonderlich abgeneigt: «Natürlich werden beide Mannschaften korrekt an die Sache rangehen, aber, ja, wir wollen weiterkommen und die Deutschen wollen auch weiterkommen.»
Im deutschen Lager will man sich bisher gar nicht erst mit einer solchen Diskussion befassen. Man spricht nicht gern über die «Schande von Gijon» und schon der Gedanke an eine Wiederholung scheint einfach zu abwegig zu sein. Weniger Berührungsängste zeigt da der deutsche Trainer in Diensten der USA. Jürgen Klinsmann, der Weltmeister von 1990 und Europameister 1996, will alle Spekulationen im Keim ersticken. Zu diesem Zweck haut er eine saftige Kampfansage an seinen ehemaligen Assistenten und die Mannschaft seiner Landsleute raus: «Jogi Löw wird und muss mich nicht kontaktieren, es ist jetzt nicht die Zeit für Freundschaftsgespräche. Jetzt ist Business-Time!»
Obwohl Deutschland weiterhin als Favorit gilt, hat Klinsmann durch die guten Resultate gegen Ghana (2:1) und Portugal (2:2) offenbar ordentlich Selbstvertrauen getankt: «Das Spiel von Gijon ist Jahre her. Für eine US-Mannschaft war und ist so etwas undenkbar. Die Amerikaner kämpfen immer um Siege. Das ist unser Spirit – das ist unsere Stärke. Wir sind selbstbewusst genug, das auch zu beweisen. Wir sind kein Team für Unentschieden! Wir wollen die Gruppe gewinnen und mit sieben Punkten als Erster weiter.»
Zumindest in den USA dürfte Klinsmann mit dieser Einstellung wieder einige Sympathiepunkte einfahren. Vor der WM musste er heftige Kritik einstecken, weil er einen Titelgewinn seiner Mannschaft als unrealisitisch bezeichnete. So viel Bescheidenheit kommt bei den erfolgsorientierten Amerikanern nicht gut an.
Bei all den Spekulationen und grossen Tönen liegt die Wahrheit auch dieses Mal auf dem Platz. Egal wie die Entscheidung in der Gruppe F am Ende ausgeht – es wird auf jeden Fall ein Krimi werden.