14:2 Siege. So lautet die Zwischenbilanz des Weltcupwinters im ewigen Duell zwischen der Schweiz und Österreich.
Wenn am Dienstag die Ski-WM in Saalbach beginnt, dann hat die Schweiz in jedem Rennen eine realistische Chance auf eine Medaille. Bei den letzten Weltmeisterschaften holte das Team sieben Medaillen (3x Gold, 3x Silber, 1x Bronze). Blickt man auf die Resultate des bisherigen Winters, ist das eine Ausbeute, die auch 2025 drin liegt.
Die Schweiz verfügt über aussergewöhnliche Talente, der Verband ist gut aufgestellt, arbeitet akribisch an Verbesserungen, kann auf eine gute Infrastruktur setzen und darf sich darüber freuen, dass sich eine Erfolgsspirale in Gang gesetzt hat. Fünf Gründe für das Schweizer Hoch.
Jede und jeder, der es in den Weltcup schafft, kann unfassbar gut Ski fahren. Und doch trennt sich auf allerhöchstem Niveau noch einmal die Spreu vom Weizen. Mit Marco Odermatt (27) und Lara Gut-Behrami (33) besitzt das Schweizer Team bei beiden Geschlechtern eine Leaderfigur, die Talente sind, wie sie nur alle paar Jahrzehnte vorkommen.
Gerade Odermatt fährt seit Jahren so beständig auf Top-Niveau, dass er es durch seine Erfolge auch einmal kaschieren kann, wenn der Rest des Teams weniger gut ist. So können sich andere Fahrer mit weniger öffentlichem Druck, der zu psychischen Blockaden führen kann, in Ruhe entwickeln.
Franjo von Allmen (23) und Alexis Monney (25) traten in diesem Winter ebenso aus dem Schatten ins Rampenlicht wie nach Verletzungen Camille Rast (25). Alle gewannen erstmals im Weltcup und konnten sich in der Weltspitze etablieren.
Doch Erfolg entsteht nicht nur durch überragende Einzelkönner – auch die Strukturen dahinter sind entscheidend. Denn selbst das grösste Talent braucht die richtige Förderung. Wer in der Schweiz den Sprung an die Spitze schaffen will, profitiert von einer durchdachten Nachwuchsstrategie – und von erfahrenen Köpfen, die sich voll und ganz der nächsten Generation widmen.
Von Allmen und Monney sind zwei der Fahrer, die unter den Fittichen von Franz Heinzer standen. Die Schweiz darf auf den Luxus zählen, dass der Abfahrts-Weltmeister von 1991 und dreimalige Sieger der kleinen Kristallkugel sich um den Nachwuchs kümmert.
Heinzer sucht nicht das Rampenlicht, sondern hilft den Stars von morgen im Europacup. «Ich habe gemerkt, dass ich da etwas bewegen kann. Das hat mich motiviert», erklärte der Schwyzer, weshalb er auf der zweithöchsten Stufe tätig ist.
In der Schweiz gebe es U18- und U21-Stufe Speed-Kurse, die er stets besuche, schilderte Heinzer jüngst in einem Interview. «Da gehe ich auch immer hin, um zu schauen, welche Talente sich wieder zeigen.» Früherfassung durch ein besonders geschultes Auge. Das ganze Umfeld sei sehr professionell, findet Heinzer. «Wenn ein Fahrer bei uns auf dem Radar ist, dann gibt es für ihn wie einen roten Faden, der bis nach oben durchläuft.»
Die Schweiz scheint diesbezüglich weiter zu sein als Österreich, wenn man dem ORF-Experten Hans Knauss glaubt. «Die Strukturen sind wie bei mir vor 40 Jahren», sagte er kürzlich. «Das reichte für mich aus, an die Weltspitze zu kommen. Wir sind aber stehen geblieben.» In der Schweiz löste die medaillenlose WM 2005 in Bormio intensive Debatten aus, die zu Reformen führten, welche den Grundstein für die heutigen Erfolge legten.
Entscheidend ist für Swiss-Ski, dass die Fahrer stets dort im Einsatz stehen, wo es ihnen am meisten bringt. Ein Beispiel dafür ist der aktuelle Junioren-Weltmeister Livio Hiltbrand. Der 21-jährige Berner hätte die Lauberhorn-Abfahrt bestreiten können, verzichtete zugunsten von Europacup-Rennen aber auf dieses Highlight. «Diese Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen», gab Hildbrand dem «Blick» gegenüber zu. «Aber ich bin davon überzeugt, dass dieser Schritt zurück längerfristig betrachtet richtig ist.» Swiss-Ski hat sich bei der Einsatzplanung Geduld auf die Fahne geschrieben, man will dem Nachwuchs die nötige Zeit geben.
Dem Verband ist es zudem gelungen, dass die Trainer nicht nur am gleichen Strick ziehen, sondern auch in die gleiche Richtung. «Ein Konkurrenzdenken unter den Betreuern darf es nicht geben», fordert Swiss-Ski-CEO Walter Reusser bei CH Media im Interview. «Wir wollen keine Funktionäre und Trainer, welche die Athleten benutzen, um ihre eigene Leistung zu präsentieren. Sondern gerade umgekehrt. Wir sollten demütig sein, wenn wir erfolgreich sind und uns gegenseitig unterstützen, wenn es einmal nicht so gut läuft.»
Der Erfolg ist für den Skiverband ein Beleg, dass er das Richtige macht. «Auch der Blick in den Europacup und den Nachwuchs zeigt, dass wir wirklich überall gut dabei sind», freut sich Reusser. «Bei den Jahrgängen 2004 bis 2008 haben wir – auch im internationalen Vergleich – eine grosse Dichte an Talenten, die mich sehr positiv stimmt.»
Struktur allein reicht jedoch nicht aus – die entscheidenden Hundertstelsekunden gewinnt man oft durch technologische Innovationen. Genau hier setzt Swiss-Ski an. Der Verband investiert viel Geld und Arbeitskraft in die Optimierung von Details. Die SRF-Sendung «Einstein» begleitete rund um die Lauberhorn-Abfahrt den Forschungskoordinator von Swiss-Ski, Björn Bruhin.
So stellt Swiss-Ski unter anderem eigenes Rennwachs her. «Es kann entscheidend sein, ob man gewinnt oder Vierter wird», sagt der Chemiker Udo Raunjak. Die Rezeptur sei «noch geheimer als das Rezept des Appenzeller Käses». Weil das Wachs nicht in den Verkauf gelangt und nur kleine Mengen produziert werden, kann ein angepasstes Produkt innert weniger Tage entwickelt werden.
Um die richtige Mischung für den Belag zu finden, helfen Wetterstationen, die Swiss-Ski entlang der Lauberhorn-Strecke installiert hat. Die Schnee-Temperatur wird an der Oberfläche und in zwei Metern Tiefe gemessen, Daten zur Luftfeuchtigkeit und -temperatur werden erhoben. «Jeder Servicemann kann die Daten auf einer App abrufen», erklärt Bruhin, «das ist ein sehr wichtiges Tool.»
Die klassische Video-Analyse wurde mit den Jahren aufgemotzt, der Aufwand dafür ist enorm. So begleitet das SRF-Team Bruhin, wie er beim Training mit Tourenski an den Füssen einen Gegenhang hochsteigt, um von dort aus zu filmen. Weitere Mitarbeiter machen dies von anderen Orten, «man versucht, möglichst viel geheim zu halten».
Weil die Athleten einen GPS-Sensor tragen, können deren Daten mit dem Videobild verbunden werden, was die Auswertung von Tempo, Zeit und Fahrlinie ermöglicht. «Das bringt uns sehr viel, wir arbeiten täglich damit», sagt Superstar Odermatt. Man könne damit sehr gut vergleichen, was Teamkollegen oder ausländische Konkurrenten allenfalls besser machten. In Prozenten könne man nicht ausdrücken, was die Analyse exakt bringe. «Es müssen alle Puzzleteile zusammenpassen und sie ist eines davon.»
Ein nochmaliges Upgrade der Videoanalyse steckt in den Startlöchern: eine Virtual-Reality-Brille. Dazu wurde das Lauberhorn mit Drohnen abgeflogen, die den Berg auf den Quadratzentimeter genau vermessen haben. Wer sich die Brille überstreift, bekommt eine ziemlich exakte Vorstellung davon, wie sich die Strecke präsentiert. Künstliche Intelligenz berechnet hunderttausendfach, welches die schnellste Linie ist.
Auch in die Entwicklung der Rennanzüge ist die Forschungsabteilung des Verbands involviert. Jede Naht ist dabei ein Thema, ein horizontales Design würde sich negativ auf die Aerodynamik auswirken. Verantwortlicher für die Anzüge ist die mittlerweile 85-jährige Trainerlegende Karl Frehsner. «Es geht immer weiter», betonte er vor der Saison in der «Limmattaler Zeitung». Vielleicht bringe eine neue Struktur der Stoffe noch weniger Luftwiderstand, vielleicht könne man so das Abperlen des Wassers optimieren. «Wir müssen dranbleiben.»
Die beste Technik ist wertlos ohne die richtige Umgebung. Die Schweiz mit den Gletschern in Saas-Fee, Zermatt oder in der Diavolezza hat (noch) den Vorteil, über ideale Trainingsbedingungen zu verfügen – ein entscheidender Faktor im internationalen Vergleich. Sie ist weniger als andere Nationen auf Trainings in Übersee angewiesen. «Wir können im Sommer auf abgesperrten Pisten schon viele Speed-Kilometer absolvieren», führt Franz Heinzer aus. Das spart Ressourcen und gibt mehr Planbarkeit.
In Davos, Engelberg und Brig wurden nationale Leistungszentren eingerichtet, deren Ziel es ist, die besten Fahrerinnen und Fahrer der jeweiligen Region zusammenzuführen. In sie kommen jene Talente, die sich in den Regionalverbänden durchgesetzt haben und auf dem Sprung in den Weltcup sind. Schulische oder berufliche Ausbildung, Training, Wettkampf und Regeneration sollen auf diesem Weg besser koordiniert werden.
Doch die Ski-Schweiz steht, wie die gesamte Menschheit, vor einer grossen Herausforderung: Der Klimawandel bedroht die langfristigen Trainingsmöglichkeiten. «Die Trainings-Infrastruktur muss dorthin verlegt werden, wo es zukünftig noch Schnee gibt», betont CEO Reusser. Wendy Holdener und Mélanie Meillard trainierten ihren Slalom-Schwung auch schon in einer Skihalle in der Nähe von Hamburg.
Dass die Winter kürzer und schneeärmer werden, sorgt auch dafür, dass das Skifahren als Breitensport an Bedeutung verloren hat. «Sport treiben wird tendenziell teurer und aufwendiger», hält Reusser fest. Hinzu komme, dass man bei Eltern eine gewisse Zurückhaltung spüre, wenn es um den Schritt in den Leistungssport gehe.
Das ist nachvollziehbar, denn für eine Skikarriere muss teilweise viel Geld in die Hand genommen werden. Der «Tages-Anzeiger» stellte im Oktober eine 16-Jährige vor, deren Familie viel auf sich nimmt und alleine für eine Saison 36'000 Franken in die Karriere investiert hat. Selbst wenn alles aufgeht und man es tatsächlich in den Weltcup geschafft hat, kann eine Laufbahn jederzeit durch eine Verletzung vorbei sein. Denn das Risiko fährt immer mit, wie die lange Verletztenliste alleine von diesem Winter schonungslos aufzeigt.
Wer sich jedoch für den Spitzensport entscheidet, bekommt nicht nur beste Trainingsbedingungen, sondern auch ein Team, das einen mitzieht. Denn Erfolg ist oft auch eine Frage der Gruppendynamik, selbst wenn Skifahren grundsätzlich ein Einzelsport ist. Auch wenn die Schweizer Athleten das gleiche Dress tragen und miteinander trainieren, und auch wenn es aus Fan-Sicht oft eine untergeordnete Rolle spielt, welcher Schweizer gewinnt. «Zwei auf dem Podest», «vier in den ersten zehn» – das ist die Währung der Fans.
Trotzdem kann durch die Trainings und die viele gemeinsam verbrachte Zeit eine Gruppendynamik entstehen, die im Erfolgsfall zu einer positiven Spirale wird. Wer im Training mit Lara Gut-Behrami, Marco Odermatt oder Loic Meillard mithalten oder sie dort schlagen kann, der weiss: Sie oder er kann auch im Weltcup gewinnen. Und wer schon Erfolge auf dem Konto hat, startet mit weniger Druck als einer, der in vier Rennen drei Mal ausgeschieden ist.
Teamleader Odermatt wird oft dafür gerühmt, für jeden Kollegen ein offenes Ohr zu haben und sie mit Tipps zu unterstützen. Kein Vergleich zu früheren Erfolgszeiten, als einer wie der Abfahrer Peter Müller die Bergler anstachelte, es dem Zürcher zu zeigen.
Die Erfolge der Weltcupfahrer motivieren ausserdem die zweite Garde. «Wenn meine Fahrer im Europacup sehen, was Franjo von Allmen, der vor zwei Jahren noch mit ihnen im gleichen Kader war, jetzt im Weltcup macht, dann verleiht ihnen das zusätzlich Schub», berichtet Abfahrtstrainer Heinzer.
So gut das System auch ist – am Ende braucht es im Sport immer auch eine Prise Glück. Und die war in diesem Winter eher auf Schweizer Seite.
Während andere Nationen mit Verletzungspech kämpften, profitierte die Schweiz aber sicher nicht nur von Fortuna, sondern womöglich auch von smarteren Trainings- und Regenerationsmethoden. Eine Erfolgsformel, die sie in Saalbach 2025 erneut bestätigen will. Denn Erfolg ist selten Zufall. Wer Gold will, muss mehr tun als hoffen. Die Schweizer tun es.
Ich war gestern an einem Frauen-FIS-Slalom auf der Lenzerheide als Helfer im Einsatz. Beeindruckend, was die Ski-Ladies leisten! Und schon die Jahrgänge ab 2008 sind richtig stark unterwegs 💪