Die Wiederherstellung des Normalzustandes. So lässt sich die Situation in diesem Viertelfinale in einem Satz erklären. Die Zürcher haben den Irrtum vom Samstag, die 0:5-Heimniederlage zum Auftakt dieser Viertelfinalserie, mit einem 3:1 in Biel eindrücklich korrigiert. Nun wird alles so kommen wie erwartet. Statt mit 4:0 endet dieses Viertelfinale mit 4:1 oder halt mit 4:2 für den Titelverteidiger. Alles klar. Oder doch nicht ganz?
Nicht ganz. Diese kurze Analyse verschweigt die Dramatik eines grossen Spiels. Ja, die Bieler haben ihr bestes Heimspiel dieser Saison verloren. Wenn es denn jetzt einen Normalzustand gibt, dann aber vorerst auf ganz dünnem Eis. Das Resultat ist nur vom Ende her betrachtet zwingend oder logisch, und es ist reichlich arrogant, von einem erwarteten, verdienten Sieg des himmelhohen Favoriten zu berichten.
Mit ein bisschen Beistand der Hockeygötter hätten die Bieler auch diese zweite Partie für sich entscheiden und damit den Meister in eine Krise stürzen können. Sie hatten gute Chancen zum 1:0 und zum 1:1, sie waren nach dem Anschlusstreffer zum 1:2 im Schlussdrittel bis zum alles entscheidenden 1:3 sogar die klar bessere Mannschaft. Sie kassierten die Gegentreffer nicht auf zwingende Art und Weise.
Es passt zu diesem bitteren Abend für die Aussenseiter, dass das letztlich nicht mehr aufholbare 0:2 acht Sekunden vor Schluss einer Powerplay-Phase kam, die sie zuvor in einem heroischem Abwehrkampf unbeschadet überstanden hatten, 68 Sekunden lang sogar mit drei gegen fünf Feldspieler.
Biel scheiterte im zweiten Spiel an einer kleinen, aber entscheidenden Prise Talent und Ausgeglichenheit. Sie machten ihre spielerischen Nachteile durch Leidenschaft, Mut, Kraft und taktische Schlauheit beinahe wett. Aber eben nur beinahe.
War diese zweite Partie nun bereits der Kumulations-Punkt dieser Serie? Der Anfang vom Ende eines tapferen Aussenseiters? Wahrscheinlich schon. Was nämlich für die ZSC Lions spricht: Sie haben nach dem 0:5 am Samstag kapiert, worum es geht. Oder Trainer Marc Crawford hat es seinen Spielern beigebracht.
Die Zürcher haben sich nicht einfach auf ihr Talent verlassen. Sie sind vom hohen Ross der spielerischen Überlegenheit und Arroganz gestiegen. Sie haben sich in die Niederungen des «infanteristischen» einfachen Handwerkes begeben und die starken Bieler in einer intensiven Partie letztlich vom Eis gearbeitet. ZSC-Trainer Marc Crawford blieb dabei ruhig. Es gab diesmal auch keine verbale Auseinandersetzung mit Kevin Schläpfer – er hatte dazu keinen Grund. Und es wäre ein Fehler gewesen, zusätzlich die Emotionen anzuheizen.
Das Spiel des Favoriten war primär darauf ausgerichtet, das taktische Risiko zu minimieren und die Fehlerquote zu verringern. Die Scheibe wurde oft einfach tief in die gegnerische Zone geschossen um das Risiko von Scheibenverlusten und gegnerischen Kontern aus der Mittelzone heraus zu vermeiden. Diese Bescheidenheit des Favoriten ist bemerkenswert, war der Schlüssel zum Erfolg und kennzeichnet eine reife und gut gecoachte Mannschaft.
Diese Rechnung ist zu 100 Prozent aufgegangen. Am Samstag hatten die ZSC Lions so ziemlich die schlechteste Partie der Saison gespielt – und die Bieler ihre beste und sie siegten 5:0. Jetzt spielten die ZSC Lions eine solide, gute Partie und die Bieler immer noch eine der besten der Saison – und es reichte trotzdem nicht mehr.
Die grosse Frage ist jetzt: Hat der Aussenseiter die Energie, um noch weitere so grosse Spiele zu liefern? Vielleicht. Aber Biel müsste noch dreimal siegen und einmal erneut auswärts. Und um das zu schaffen, sind es wahrscheinlich doch zu viele «hätte» und «könnte» und «wenn» und «aber».
Und doch ist noch nicht aller Tage Abend: Der Normalzustand (die ZSC Lions in der Favoritenrolle) steht erst auf dünnem Eis. In Zeiten der Playoffs ist die Wahrheit von heute oft der Irrtum des nächsten Tages.