Dschihadisten dringen Richtung Bagdad vor, die staatliche Armee scheint machtlos, kurdische Truppen kontrollieren irakisches Gebiet - jeder verfolgt eigene Ziele. Ein Überblick über die Akteure des Konflikts.
Die Terrorgruppe ISIS gehört zu den radikalsten islamistischen Organisationen im Nahen Osten. Sie kämpft für einen sunnitischen Gottesstaat, der sich vom östlichen Mittelmeer bis zum Persischen Golf erstrecken soll. ISIS ging aus dem irakischen Widerstand der 2003 gegründeten Gruppe «Tawhid und Dschihad» hervor, die sich gegen die US-Invasion im Irak wandte. Die Gruppe griff im Irak nicht nur US-Soldaten an, sondern verübte auch Selbstmordanschläge auf Schiiten und Christen im Land.
An Macht gewann ISIS, als sie sich im Frühjahr 2013 in den syrischen Bürgerkrieg einmischte. Dort überwarf sie sich jedoch mit der aus syrischen Salafisten bestehenden Al-Nusra-Front, obwohl beide Gruppen damals dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahestanden. Auf ihrem aktuellen Irak-Feldzug erbeutete ISIS schweres Kriegsgerät und rund 500 Milliarden irakische Dinar (380 Millionen Franken). Das macht sie mittlerweile zur bestfinanzierten Terrorgruppe vor Al-Kaida.
In den Reihen der Gruppe kämpfen internationale Brigaden, darunter Muslime aus Nordafrika und den arabischen Golfstaaten sowie Konvertiten aus Europa und Nordamerika. Experten vermuten, ISIS bewegt sich mit rund 10'000 Mann im Irak. Die Organisation selbst spricht von 20'000 bis 30'000 Kämpfern.
Laut dem «International Institute for Strategic Studies» (IISS) ist die irakische Streitmacht rund 800'000 Mann stark, über 500'000 davon gehören allerdings der Reserve an. Die Regierung versucht dem ständigen Mangel an Nachwuchs mit der Bildung von Elite-Truppen, mehrheitlich von Schiiten gestellt, zu begegnen.
Die Armee untersteht Ministerpräsident Nuri al-Maliki, der neben seinem Amt als Regierungschef gleichsam Minister für Verteidigung und Inneres sowie Oberbefehlshaber der Armee und Geheimdienstchef ist. Kritiker werfen ihm Machthäufung und eine zentralistische Führung der Streitkräfte vor.
Mindestens zwei Divisionen - um die 30'000 Soldaten - sind bereits vor ISIS geflohen und haben sich als Zivilisten verkleidet. Al-Maliki lässt die übrigen Divisionen in Bagdad zusammenziehen.
Die als Peschmerga («Jene, die dem Tod ins Auge blicken») bezeichnete kurdische Armee gilt als wesentlich besser ausgerüstet und trainiert als die irakische. Sie ist der Autonomieregierung im Nordirak unterstellt. Bei der US-Invasion 2003 halfen kurdische Soldaten im Kampf gegen Saddam Husseins Truppen.
Die Peschmerga haben die Stadt Kirkuk im Nordirak eingenommen, nachdem diese von irakischen Truppen aufgegeben worden war. Nach aktuellen Medienberichten rückt die Armee weiter gen Süden vor. Die Kurden machen so ihren Anspruch auf kurdische Regionen ausserhalb ihres ursprünglichen Autonomiegebiets geltend.
Die Kämpfer gehen aus dem sunnitischen Sufi-Orden der Nakschbandija hervor. Während des letzten Irak-Krieges kämpfte die Miliz gegen die US-Truppen und verbündete sich mit Anhängern des gestürzten Machthabers Saddam Hussein. Heute kämpft sie gegen die irakische und kurdische Armee.
Die militanten Islamisten setzen sich für einen panarabischen Staat ein, ihr Logo verbindet das Gebiet von Marokko bis Irak mit einer Kalaschnikow und der irakischen Flagge. Extremismusexperten attestieren der Miliz Nähe zu Al-Kaida und ISIS.
Der Schiit ist seit 2006 Regierungschef des Iraks. Das Land führt er zunehmend autokratisch: Sunnitische Parteien werden im Parlament benachteiligt, das Verhältnis zum irakischen Präsidenten, dem Kurden Dschalal Talabani, ist gereizt. Im Angesicht der Bedrohung durch ISIS versuchte Al-Maliki, sich durch das Parlament besondere Vollmachten ausstellen zu lassen. Viele Politiker blieben der Abstimmung jedoch fern - und düpierten Al-Maliki.
Der im nordirakischen Samarra geborene Dschihadist befehligt seit 2010 ISIS. Das "Time"-Magazin bezeichnet ihn als "den neuen Bin Laden", die US-Regierung hat ein Kopfgeld in Höhe von 10 Millionen US-Dollar auf Al-Bagdadi ausgesetzt.
Seit 2013 lebt Al-Bagdadi mutmasslich in Syrien und leitet die dortigen Angriffe von ISIS auf syrische Rebellengruppen. Unter seinem Kommando hat ISIS Versorgungswege von Aleppo im Nordwesten Syriens bis nach Mossul und Falludscha im Irak in ihre Gewalt gebracht.
Der Grossajatollah ist die bedeutendste schiitische Autorität im Irak. Al-Sistani leitet die theologische Hochschule in Nadschaf. Er spricht sich gegen eine Vermischung von politischer und geistlicher Führung aus, anders als der radikale Prediger Muktada al-Sadr. Bei den jüngsten Entwicklungen hat er seine Anhänger dazu aufgerufen, schiitische Heiligtümer im Irak vor den Angriffen der sunnitischen ISIS-Extremisten zu schützen. (sda/dpa)