Nie mehr werden die Anwesenden diesen Aufschrei vergessen, der gleichzeitig aus rund 50'000 Kehlen kommt. Am frühen Sonntagmorgen des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest greifen im fünften Gang der Titelverteidiger Jörg Abderhalden und der am Samstag ungeschlagene Emporkömmling Kilian Wenger zusammen.
Das Publikum sehnt sich offensichtlich nach einem neuen König; drei Amtszeiten des Toggenburgers Abderhalden sind ihm genug. Entsprechend laut wird es in der imposanten Arena in Frauenfeld, als Wenger im Bodenkampf seinen Kontrahenten mit dem Rücken ins Sägemehl drückt.
Abderhalden zeigt nach der Niederlage eine starke Reaktion und beendet das Eidgenössische noch als Zweiter. Doch Wenger ist an den beiden heissen Sommertagen keiner gewachsen. Der Sennenschwinger aus dem Horboden im Diemtigtal ist so überlegen, dass er vor dem Schlussgang nicht mehr eingeholt werden kann.
Dennoch ist Wenger der Königstitel noch nicht sicher. Im Falle einer Niederlage gegen Martin Grab würden die Funktionäre darüber entscheiden, ob er trotzdem eines Königs würdig ist. Der 20-Jährige erstickt jede Diskussion im Ansatz und besiegt auch den Innerschweizer Routinier.
Nach dem Schlussgang machen Gerüchte die Runde, man habe Grab angewiesen, ja nicht zu gewinnen. So gross wie das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest inzwischen geworden ist, kann es sich der Sport nicht mehr leisten, aufgrund eines für Aussenstehende undurchsichtigen Reglements keinen König zu krönen, sondern bloss einen Sieger zu küren.
Grab selber sagt darauf in der «Neuen Luzerner Zeitung», natürlich habe er den Gang gewinnen wollen. Aber die Situation sei schon speziell gewesen, da er ja gar keine Chance mehr auf den Festsieg gehabt habe. «Ich glaube, auch die Organisatoren sind sicher zufrieden, dass es so herausgekommen ist», so Grab zweideutig. Zudem lässt sich ein einflussreicher Funktionär aus Wengers Berner Teilverband von «20 Minuten Online» anonym zitieren: «Wir Berner sind ja nicht blöd. Es konnte nichts passieren. Grab ist ein fairer Schwinger, der wusste, um was es geht.»
Was wirklich alles besprochen wurde in Hinterzimmern der Kaserne Frauenfeld, auf deren Areal das Fest stattfand, wird wohl nie ans Licht kommen. Kilian Wenger brauchen die Diskussionen damals ohnehin nicht gross zu kümmern. Von einem Tag auf den anderen wird aus dem nur Insidern bekannten Talent der beste Schwinger des Landes. Er ist jung, schüchtern, anständig – ein 1,90 m grosser Schwiegermuttertraum.
Wenger, der ausgebildete Metzger und Zimmermann, zählt als König seit Frauenfeld automatisch an jedem Fest zu den Topfavoriten. Nicht immer kann er diesem Druck standhalten. 2013 beim Eidgenössischen in Burgdorf klassiert er sich nur auf Rang 8, muss die Krone an seinen Berner Kollegen Matthias Sempach weiterreichen.
Auch 2016, 2019 und 2022 reicht es ihm, auch wegen einigen Verletzungen, nicht mehr ganz an die Spitze. Einen eidgenössischen Kranz gewinnt er aber jedes Mal. Und mit 23 Kranzfestsiegen und 110 Kränzen gehört Wenger eindeutig zu den ganz Bösen, als er im Sommer 2024 sein Karriereende bekannt gibt.
Zum Wiedersehen mit Jörg Abderhalden kommt es später unter anderem am Grill: Gemeinsam mit seinem Jugend-Idol steht Wenger für Werbe-Aufnahmen vor der Kamera. Ein Cervelat bringt in der Schweiz selbst einen König und den Mann, der ihn gestürzt hat, wieder zusammen …