Er ist der «Allgäu-Torero», gefeiert für seine Goldmedaillen. «Der verlorene Sohn», titelt der Spiegel, denn Johan Mühlegg gewinnt nicht für Deutschland. In Salt Lake City tritt der Langläufer 2002 nach einem heftigen Krach mit Trainern und Funktionären für Spanien an. «Weil Deutschland diesen komplizierten Mann nicht ertragen konnte», ärgert sich die Zeitschrift.
Einige Tage später dürften die Deutschen froh darüber sein, dass Mühlegg nicht mehr ihr Problem ist. Denn was viele vermuten, wird nach Auswertung einer Probe einwandfrei belegt: Der 31-Jährige ist gedopt. Mühlegg fliegt noch während der Olympischen Spiele auf, der grösste Dopingskandal seit Ben Johnson 1988 ist perfekt.
Es ist der Tiefpunkt einer einzigartigen Karriere. Johan Mühlegg gilt schon früh als grosses Talent, wird zwei Mal Junioren-Weltmeister. Doch ebenfalls schon früh verursacht er mächtig Ärger im Deutschen Skiverband (DSV).
Für den nicht erfolgten Durchbruch bei den Erwachsenen macht Mühlegg Hexerei verantwortlich. Bundestrainer Georg Zipfel bespreche die Elektrolyte-Getränke, «so dass mir übel davon wird, ich mich übergeben muss und am nächsten Tag todmüde bin», klagt Mühlegg 1994. Er wittert eine Verschwörung, denn «den anderen schadet es nicht».
Mühlegg sucht Zuflucht bei einer portugiesischen Putzfrau. Justina Agostinho, eine angebliche Wunderheilerin, weiht Mühlegg Trinkwasser. Weil er weiter gegen Trainer Zipfel schiesst, wirft ihn der DSV aus dem Kader. Zuhause setzt Mühlegg Frau und Kind vor die Tür, wegen «Spitzelkontakten» zum DSV. Im Weltcup versucht er sich derweil als Einzelkämpfer.
Nachdem er zwischenzeitlich begnadigt wird und wieder im Team dabei sein darf, kommt es 1998 zum endgültigen Zerwürfnis mit dem DSV. Mühlegg tritt fortan für Spanien an und gewinnt in der Saison 1999/2000 den Gesamtweltcup. Wunderheilerin Agostinho ist weiter an seiner Seite, auch als der «Loipen-Torero» an der WM 2001 Gold und Silber gewinnt.
In Salt Lake City tritt Mühlegg als Favorit an. Er weiss, dass ihm die schweren Strecken entgegen kommen. Wie kaum ein anderer Langläufer kann sich Mühlegg quälen, wenn eigentlich schon längst keine Kraft mehr vorhanden ist. Er gewinnt Gold über 30 Kilometer, wird auch Olympiasieger im Skiathlon und er triumphiert über 50 Kilometer. Mit einem Laufstil, der typisch spanisch an einen wilden Stier erinnert. Oder, um es mit Anita Weyermanns Worten zu sagen: «Gring ache u seckle!»
Die Zweifel an der Sauberkeit seiner Leistungen sind gross, denn Mühlegg ist den anderen meilenweit überlegen. So gewinnt er über 30 Kilometer Freistil mit mehr als zwei Minuten Vorsprung – eine Weltreise.
Die Herrlichkeit währt nicht lange. Kurz nach der dritten Goldmedaille liegt das Ergebnis einer unangemeldeten Trainingskontrolle während der Olympischen Spiele vor. Mühlegg wird des Blutdopings überführt, er hat Aranesp verwendet, eine Art Epo.
Wie das Doping-Mittel in sein Blut gekommen sei, wird Mühlegg gefragt. Der Bayer hat natürlich eine Erklärung bereit: «Ich habe die letzten fünf Tage eine spezielle Diät gemacht, zwei Tage nur Proteine und drei Tage nur Kohlenhydrate. Ausserdem hatte ich letzte Nacht Durchfall und die Höhenlage spielt auch eine Rolle», so der Überflieger.
Der medizinische Direktor des IOC kann nur lachen. «Eine Diät oder Durchfall beeinflussen den Hämoglobinwert nicht», weiss Patrick Schamasch. Mühlegg wirkt vor der Kamera im ZDF-Olympiastudio nicht mehr sehr zuversichtlich. Auf die Frage, ob er gedopt habe, antwortet er vielsagend: «Prinzipiell nicht, aber ich warte die B-Probe ab.» Am 26. Februar 2002, zwei Tage nach der Schlussfeier in Salt Lake City, bestätigt diese dann den Befund ein für allemal.
Johann Mühlegg kehrt nie wieder in den Weltcup zurück. Kurz bevor seine zweijährige Sperre abläuft, gibt er seinen Rücktritt vom Leistungssport bekannt. Angeblich läuft er noch ab und zu unter falschem Namen an Volksläufen in seiner bayrischen Heimat.
2014 stöbern schwedische Reporter Mühlegg in Brasilien auf. Er lebt in der Stadt Natal, arbeitet in der Immobilienbranche und will mit seiner Vergangenheit nichts mehr zu tun haben. «Ich habe das alles hinter mir gelassen.»