Die Geschichte ist kurz erzählt: Eine junge Mutter in den USA geht mit ihrem kleinen Sohn im Walmart shoppen. Der Kleine sitzt im Einkaufswagen, langweilt sich, reicht in die Handtasche der Mutter, sucht vermutlich etwas zum Spielen. Doch zu fassen bekommt er eine Schusswaffe.
Irgendwie löst sich die Sicherung der Waffe, ein Schuss fällt, die Mutter bricht zusammen, stirbt wenig später noch im Supermarkt. Die Polizei spricht von einem tragischen Unfall – der kleine Halbwaise ist zwei Jahre alt.
Es ist eine sehr amerikanische Geschichte, die sich in Hayden – einem kleinen Nest im «Kartoffelstaat» Idaho, unweit der kanadischen Grenze – abspielt. Die Einzelheiten seien «erschütternd gewöhnlich», kommentiert die «New York Times» mit kritischem Unterton. Tatsächlich ist es längst nicht der erste Vorfall, bei dem Kinder mit einer Waffe den Tod bringen.
#BREAKING: KCSO identifies woman shot at Hayden Wal-Mart by her 2yo son as Veronica Rutledge from Blackfoot, ID. pic.twitter.com/KaWKDxsIk4
— Patrick Erickson KHQ (@patrickerickson) 31. Dezember 2014
Erst im Sommer hantierte eine Neunjährige auf einem Schiessstand mit einer Maschinenpistole – die Kleine konnte die schwere Waffe nicht unter Kontrolle halten, ein Ausbilder starb.
Wenige Monate zuvor hatte eine Vierjährige in Detroit ein ungesichertes Gewehr unter einem Bett gefunden – diesmal war der gleichaltrige Cousin gestorben. Die Liste lässt sich fortsetzen.
Was irritiert: Grosse, landesweite Schlagzeilen macht der Unfall in Idaho nicht. Noch sind die grossen TV-Sender mit dem Flugzeugabsturz in Asien beschäftigt oder wenden sich dem aufziehenden Streit zwischen Kongress und Weissem Haus in Washington zu.
Das Land, in dem Pistolen, Sturmgewehre und Revolver zumeist frei und ohne grösseren Aufwand zu kaufen sind, in dem der Waffenbesitz zum verbrieften Recht der Bürger gehört, hat sich längst an die täglichen Nachrichten über Schusswaffenopfer gewöhnt.
Auch für die örtliche Polizei in Hayden ist der Vorfall nur eine kurze Mitteilung wert. Gerade mal elf Zeilen ist das Statement von Sheriff Ben Wolfinger lang. Der entscheidende Satz: «Die Schüsse sind offenbar ein Unfall.»
Die 29 Jahre alte Mutter habe eine Genehmigung besessen, auch verborgene Waffen zu tragen, heisst es. Im Klartext bedeutet das: Es liegt kein Verbrechen vor, rechtlich ist alles in Ordnung, die Polizei braucht nicht grösser zu ermitteln, der Fall kommt zu den Akten. Der Supermarkt bleibt für einen Tag geschlossen.
«Wahrscheinlich ist ihm nicht einmal bewusst, was passiert ist», meint ein Ermittler mit Blick auf den kleinen Halbwaisen. Dass jemand in dieser ländlichen Gegend Waffen trägt, sei völlig normal, fügt der Polizist hinzu.
Es muss schon mehr Opfer und spektakulärere Vorfälle geben, um die Amerikaner zu erschüttern. Als vor zwei Jahren in Newtown im Staat Connecticut ein Amokläufer 20 Schulkinder und sechs Erwachsene erschoss – da schien Amerika eine kurze Zeit erschüttert. Sogar der Präsident äusserte sich damals zerknirscht.
Barack Obama versprach, für strengere Waffengesetze zu sorgen. Nichts sei wichtiger als die Sicherheit und das Leben der Kinder. Wenigstens die schlimmsten Waffen sollten vom Markt, wenigstens sollte nicht länger jedermann halbautomatische Sturmgewehre kaufen können.
Doch auch die von Obama initiierte Minireform ging innerhalb von Wochen sang- und klanglos im Parlamentsgetriebe unter. Es waren auch Demokraten aus dem Regierungslager, die sich der Macht der Waffenlobby beugten.
Seit dem vorweihnachtlichen Amoklauf in Newtown 2012 vermochte kein Tod mit Schusswaffen die Debatte über strengere Waffengesetze anzuheizen. Auch die Todesschüsse des Zweijährigen auf seine Mutter dürften daran kaum etwas ändern. (sda/dpa)