Grossbritannien nennt sich auch das Vereinigte Königreich. Beide Begriffe stehen auf wackligen Füssen. Die Zeiten als Weltmacht sind längst Nostalgie, und in Sachen Vereinigung stehen die Zeichen auf Sturm.
Nicht nur die Konservativen in London haben die Champagner-Korken knallen lassen und Boris Johnson bejubelt. 534 Kilometer weiter nördlich in Edinburgh wurde ebenfalls gefeiert. Nicola Sturgeon hat mit der Scottish National Party 48 von 59 Parlamentssitzen errungen.
Das bedeutet, dass die Insel nun in zwei Lager geteilt ist: Auf der einen Seite ein von den Tories beherrschtes Pro-Brexit-England, auf der anderen ein Pro-Europa dominiertes Schottland.
Engländer und Schotten sind sich seit jeher nicht grün. Braveheart und Mary Queen of Scots lassen grüssen. Der deutliche Wahlsieg der Konservativen wird die Feindschaft weiter befeuern. Johnson wird nun alles daran setzen, sein wichtigstes Wahlversprechen einzulösen, nämlich den Brexit möglichst rasch über die Bühne zu bringen.
Damit stösst er die Mehrheit der Schotten vor den Kopf. «Mitten in den Siegesfeiern könnten die Konservativen nun fürchten, dass sie zwar den Brexit gewonnen, aber das Vereinigte Königreich verloren haben», kommentiert Robert Shrimsley in der «Financial Times».
Die Furcht ist berechtigt. Im September 2014 hat sich beinahe die Hälfte der Schotten in einer Volksabstimmung für einen Austritt aus dem Vereinigten Königreich ausgesprochen. Der knappe Sieg der Austrittsgegner kam nur zustande, weil der damalige Premierminister David Cameron grosse Zugeständnisse an die Adresse der Schotten gemacht hatte.
Der Brexit war damals noch kein Thema. Cameron wiegte sich in der Illusion, dieses lästige Referendum locker über die Volksabstimmungs-Bühne zu bringen und dann weiterzumachen. Jetzt aber herrschen völlig andere Verhältnisse: Trotz ihres Namens sind die schottischen Nationalisten vehemente EU-Befürworter.
Nicola Sturgeon hat bereits mehrmals mit einem zweiten Referendum gedroht. «Die nächsten paar Jahre werden dominiert werden von einen Zusammenbruch des Vereinigten Königreichs und dem Kampf, Schottland in der Union zu behalten», stellt Shrimsley fest.
Nicht nur die Schotten spielen mit Austrittsgedanken. Die Tatsache, dass Johnson die Nordiren in der Frage des sogenannten Backstops (fragt nicht) mit der EU brutal im Stich liess, hat auch in Belfast sehr schlechte Gefühle hinterlassen. Und die Religionsfrage hat selbst auf der Grünen Insel an Bedeutung verloren. Gut möglich, dass Katholiken und Protestanten die Kirche Kirche sein lassen und sich wieder zusammenschliessen – was übrigens auch logisch wäre.
Sollten Schotten und Iren das Vereinigte Königreich verlassen, dann könnten selbst die Waliser auf den Geschmack kommen und es ihnen gleich tun wollen. Im Extremfall hätte Grossbritannien dann nicht nur vier Fussball-Nationalmannschaften, sonder drei neue Nationalstaaten.
Das Regieren wird Johnson nicht leicht fallen. «Get Brexit done» eignet sich prima als Wahlkampf-Slogan, ist jedoch teuflisch schwierig, in die Praxis umzusetzen. Der Brexit wird nun kommen – ein zweites Referendum ist endgültig vom Tisch –, aber wie, das wird sich in zähen Verhandlungen erst zeigen müssen.
Der klare Wahlsieg hat für Johnson einen weiteren Haken. Die Tories haben nun einen Teil der traditionellen Labour-Wähler am Hals. In den Industriestädten des Nordens sind frustrierte Arbeiter und Brexit-Befürworter gleich scharenweise zu den Konservativen übergelaufen.
Die neue Kundschaft mit den alten Rezepten von Margaret Thatcher bedienen zu wollen, wäre keine gute Idee. Johnson muss auch sein zweites Wahlversprechen einlösen, nämlich: die gescheiterte Austeritäts-Politik der Konservativen korrigieren und massiv in die Infrastruktur investieren. Daran werden wiederum die traditionellen Tories wenig Freude haben.
Labour ist der grosse Verlierer, und das zu Recht. Wie die Linken je auf den Gedanken kommen konnten, einen Mann wie Jeremy Corbyn auf den Chefsessel zu hieven, wird auf ewig ihr Geheimnis bleiben.
Nun ist Corbyn weg. Spuren hat er keine hinterlassen. «Nur ein paar schwache Echos seiner loyalsten Anhänger sind zu hören», kommentiert John Grace im «Guardian». «Auch sie werden früher oder später realisieren, dass sie in den Wind gepisst haben.»