Für die traditionelle Wirtschaftspresse waren Krypto-Währungen lange ein Nebenschauplatz. Irgendwie exotisch, aber nicht wirklich relevant. Inzwischen ist der Markt für diese Währungen jedoch auf über zwei Billionen Dollar angeschwollen und kann daher nicht mehr länger ignoriert werden. Die führenden Wirtschaftsblätter der Welt wenden sich immer häufiger den Kryptos zu, der «Economist» widmet ihnen in der jüngsten Ausgabe gar die Titelstory.
Nicht immer kommen die Kryptos dabei gut weg. Am härtesten fasste jüngst die «Financial Times» (FT) Bitcoin & Co. an. In einer ausführlichen Story vergleichen die Autoren Siddhart Venkataramakrishnan und Robin Wigglesworth den Kult um die Kryptos mit QAnon. Aber der Reihe nach:
Als die mysteriöse Figur Satoshi Nakamoto im November 2008 ihr Whitepaper mit den theoretischen Grundlagen für Bitcoin veröffentlichte, löste sie in der Computer-Nerd-Szene eine Euphorie aus. Rasch entstand eine Subkultur, in der man sich gegenseitig pushte. Die FT zitiert Chris Rose, einen ehemaligen Krypto-Enthusiasten, wie folgt: «Es war ein für alle offenes System, intellektuell stimulierend. Online stritten sich Hardcore-Libertäre und Bank-hassende Linke aufs Heftigste.»
Bitcoin versprach weit mehr zu sein als einfach eine Währung. Vielmehr wurde es als Schlüssel gehypt, der die Türe zu einer Welt öffnen werde, in der Ungleichheit aufgehoben, Korruption verschwinden und unvorstellbarer Reichtum geschaffen würde.
Von diesen hehren Idealen ist heute wenig übriggeblieben. Kryptos seien ein Vehikel geworden für ein paar Clevere, die auf Kosten vieler Dummer über Nacht reich werden wollen, so die FT. Der Spruch «When Lambo» sei an Krypto-Veranstaltungen üblich geworden und bedeute so viel wie: «Wann bin ich reich genug, um mir einen Lamborghini leisten zu können?»
Stephen Diel, ein auf Kryptos spezialisierter Software-Ingenieur, erklärte in der FT denn auch:
Für die FT-Autoren sind Kryptos heute jedoch weit mehr als ein raffiniertes Pyramiden-Betrugsschema. Es ist ein Kult mit grösser Ähnlichkeit zu QAnon, der sattsam bekannten rechtsextremen Verschwörungs-Bewegung. Nochmals Diel:
Auch politisch haben die Kryptos inzwischen die Seiten gewechselt. Die ersten Bitcoin-Jünger, die Cypherpunks, waren Internet-Anarchisten. Jackson Palmer, einer der Gründer von Dogecoin – einer Witz-Krypto-Währung – beschreibt die aktuelle Szene wie folgt:
Soweit die FT. Doch auch in der «New York Times» bekommt Bitcoin sein Fett ab. Dort hat der renommierte Wirtschaftsredaktor Binyamin Applebaum kürzlich festgestellt:
Applebaum vergleicht Bitcoin mit den CDOs, den Finanzprodukten, welche die Finanzkrise 2008 ausgelöst haben, also als reines Vehikel zu verantwortungsloser Spekulation. «Die meisten Bitcoin-Besitzer betrachten sie denn auch nicht als eine Währung», so Applebaum. «Sie wollen bloss rasch reich werden, und das ist auch das Einzige, was Bitcoin zu leisten vermag.»
Für den «Economist» schliesslich sind die Tage des Bitcoin mehr oder weniger gezählt. «Bitcoin, die erste Blockchain, ist heute bloss noch eine Ablenkung. Stattdessen ist es Ethereum, ein 2015 geschaffenes Blockchain-Netzwerk, (…), das im Begriff ist, die kritische Masse zu erreichen», schreibt das Blatt.
Anders als Bitcoin – im Wesentlichen nichts anderes als eine Art digitales Gold – ist Ethereum ein System, auf dem andere Währungen aufgebaut sind. Mit diesen einzelnen Tokens können dank eingebauten smarten Verträgen einzelne Marktteilnehmer untereinander kommunizieren, ohne dabei auf Mittelsmänner angewiesen zu sein.
Auf diese Weise wird möglich, was neuerdings als «DeFi» bezeichnet wird. Der Ausdruck steht dabei für «decentralised finance», will heissen: Die Dienste der bisher mächtigen Banken und vor allem der Zentralbank werden überflüssig. In sogenannten DAOs (Dezentralisierten Autonomen Organisationen) verständigen sich die Marktteilnehmer untereinander und sind dabei dank den smarten Verträgen vor Betrug und Korruption geschützt.
DeFi und DAOs sind vorläufig hochfliegende Pläne einer Utopie. Um umgesetzt zu werden, müssen sie sich mit den heute bestehenden realen Instanzen wie den Notenbanken und den Finanzaufsichtsbehörden einigen. Das jedoch lehnen die DeFi-Puristen entschieden ab.
Doch genau darauf drängen die Beamten der Finanzaufsicht immer heftiger. Gary Gensler, der neue Chef des SEC, der amerikanischen Finanzaufsicht, spricht im Zusammenhang mit Kryptos von einem «wilden Westen», den es zu zähmen gilt. Man kann ihm dabei nur viel Glück wünschen.