Und wieder fällt eine Lichtgestalt im Kryptobusiness. Erwischt hat es gestern mit Changpeng Zhao, besser bekannt als «CZ», den CEO von Binance. Der kanadisch-chinesische Programmierer und Gründer der grössten Kryptobörse der Welt tritt von seinem Chefposten zurück. Dies, nachdem er sich gestern schuldig bekannt hatte, gegen verschiedene US-Geldwäsche– und Sanktionsregeln verstossen zu haben.
4,3 Milliarden Dollar Busse wird Binance diese Verstösse kosten. Neuer CEO wird Richard Teng. CZ bleibt Haupteigentümer.
Wie der Branchenprimus die Mega-Busse verkraftet, steht in den Sternen. Die nackten Zahlen sind widersprüchlich: Binance verfügt weltweit über 120 Millionen User. 2022, einem schlechten Jahr für das Kryptobusiness, verzeichnete die Börse einen Umsatz von 12 Milliarden Dollar. Das gestrige Handelsvolumen betrug beeindruckende 14,5 Milliarden Dollar.
Gleichzeitig löste die schlechte Nachricht einen Bankrun aus. Laut DefiLlama (CEX-Transparency) zogen Kunden in den vergangenen 24 Stunden 1,218 Milliarden Dollar ab (Stand 22.11.16:29 Uhr). Binance gibt an, selbst im Besitz von Kryptowährungen im Wert von fast 70 Milliarden zu sein.
Trotzdem bleibt die Liquidität des Kryptogiganten ohne Hauptsitz ein Mysterium. Im Juli 2023 berichtete Reuters von Massenentlassungen – CZ widersprach. Der häufig geäusserte Verdacht, dass Binance wie FTX Eigen- und Kundenmittel vermischt haben soll, erhärtete sich bisher nicht.
Gleichzeitig mit CZs Geständnis feuerte die US-Börsenaufsicht (SEC) eine nächste Breitseite ab. Die jüngste Klage richtet sich (erneut) an die drittgrösste Kryptobörse Kraken. Die Vorwürfe: nicht registrierter Wertpapierhandel und die Vermischung von Kunden- und Unternehmensvermögen. Mit denselben Klagen wurden auch schon Binance und Coinbase eingedeckt. Selbstredend kritisierte Kraken das Vorgehen des SEC – eine erste Klage gegen Kraken legten die beiden Parteien vor neun Monaten bei.
Die Absicht der US-Behörden ist klar. Sie suchen nach einem Mittel, den Kryptowildwuchs zu stoppen. Das einstmals zarte Pflänzchen hat sich zu einem zähen Unkraut entwickelt, mit Auswüchsen, die behördlich nicht mehr kontrollierbar sind. Der Angriff auf die Börsen packt das Übel bei der Wurzel. Zentrale Kryptobörsen (CEX) wie Binance, Coinbase und Kraken sind die wichtigsten On- und Offramps. Will heissen: Hier wechseln Herr und Frau Normalo ihr Fiat-Geld in Kryptos (und umgekehrt). Wer die Häfen kontrolliert, kontrolliert auch das Meer.
Mit ihren Klagen bauen die US-Behörden eine Drohkulisse auf. Börsen werden sich in Zukunft zweimal überlegen, welche neuen Coins sie zum Handel anbieten. Dies wird zur Folge haben, dass die Fülle abnimmt. Ausserdem sind drohende Klagen Gift für Neuentwicklungen. Diese schossen im bisher fast rechtsfreien Raum wie Pilze aus dem Boden. Die meisten waren toxisch und nur wenige geniessbar. Die Aussicht auf ein rigoroses Durchgreifen der Behörden wird viele Schnapsideen Projekte bereits im Keim ersticken lassen. Künftig werden die Teams offizielle Formulare ausfüllen müssen, Lizenzen beantragen, auf Unterschriften hoffen. Fertig Wildwest. Die Kavallerie ist eingeritten. Oder in anderen Worten: Kryptos Sturm- und Drangzeit ist vorbei, die Pubertät überstanden. Jetzt beginnt langsam das Erwachsenenleben mit verbindlichen Gesetzen und einer gewissen Rechtssicherheit.
Laut Gerichtsdokumenten soll CZ seinen Mitarbeitern mitgeteilt haben, es sei besser, um Vergebung zu bitten, als um Erlaubnis zu fragen. Eine Philosophie, die exemplarisch steht für die Vorgehensweise der Szene. Freibeuter zu sein, galt als cool. «Die heutige Message ist klar», kommentierte US-Generalstaatsanwalt Merrick Garland die jüngsten Ereignisse, «wer neue Technologien nutzt, um gegen das Gesetz zu verstossen, ist kein Disruptor, sondern ein Krimineller.»
Als wirklich uncool galt lange Zeit Brian Armstrong. Obwohl auch er schon im Visier der Behörden stand, bemüht sich der Co-Gründer von Coinbase seit längerer Zeit aktiv um den Segen der (US-)Behörden. Der uncoole Move dürfte sich nun aber auszahlen. Mit grösster Wahrscheinlichkeit wird seine Börse bei den geplanten ETFs von Blackrock zum Handkuss kommen. Ausserdem werden die von Binance geflüchteten Trader einen neuen Hafen suchen müssen. Es geht um Milliarden.
Ebenfalls profitieren dürfte längerfristig Bitcoin. Die aktuelle Marktdominanz beträgt knapp 50 Prozent. Vergangenen September waren es nur noch 39 Prozent gewesen. Als sicherster Anlagewert in der Szene bietet sich die Mutter aller Kryptowährungen als Auffangbecken für frei werdendes Kapital an; auch deshalb, weil die ETFs – niemand zweifelt mehr ernsthaft daran, dass sie kommen – noch einmal zusätzlichen Schub geben werden.
Mutmasslich schwieriger wird das Marktumfeld für Ethereum. Das Hauptmerkmal der klaren Nummer Zwei sind die sogenannten Smartcontracts. Mit diesen lässt sich «Geld programmieren». Die Funktion befeuert Innovationen – auch wenn sich viele davon als Rohrkrepierer erweisen. Ein reguliertes Umfeld wirkt innovationshemmend.
Dasselbe, aber in drastischerem Ausmass, lässt sich für andere Marktgrössen wie Cardano, Solana und Polygon sagen. Interessant: In seiner jüngsten Klage gegen Kraken definiert das SEC (unter anderem) diese drei Kryptowährungen explizit als Wertpapiere – Bitcoin und Ethereum hingegen nicht.
Ebenfalls Auftrieb dürften indes dezentrale Börsen (DEX) erhalten. Sie zu regulieren dürfte weit schwieriger werden als bei ihren zentralen Schwestern. Die erfolgreichsten (dYdX, Uniswap) verfügen bereits heute über tägliche Handelsvolumen jenseits der Milliardengrenze – funktionieren allerdings weniger als klassische On- und Offramps für Fiat-Geld.
SEC und Konsorten ticken nicht richtig.
Anstatt klaren Regeln, welche mit den Branchengrössen, Experten usw. ausgearbeitet werden, fliegen da regelmässig Breitseiten. Teilweise auch unbegründet und in bester "Oberboomermentalität".
Habe ich Krypto? Ja.
Glaube ich an einen mittel- bis längerfristigen Erfolg?
Nur wenn der Wildwuchs eingedämmt und ordentlich reglementiert werden kann. Sehe das Problem nicht, bei neuen Finanzprodukten findet sich ja auch immer ein Weg....