Für Profis ist der Zinssatz der zehnjährigen amerikanischen Staatsanleihen so etwas wie ein Leuchtturm im Finanzmeer. Er beeinflusst das Verhalten der Konsumenten, der Investoren und der Regierungen weltweit.
Am letzten Montag ist der Zinssatz der US-Bonds auf 2,73 Prozent gestiegen, dem höchsten Stand seit April 2014. Die Reaktion folgte auf dem Fuss: Zum ersten Mal seit zwei Jahren verloren die Kurse an den US-Aktienmärkten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen.
Die einen bezeichnen das als eine längst fällige und willkommene Kurskorrektur, die neue Einstiegsmöglichkeiten eröffnet. Andere hingegen sehen darin eine wachsende Gefahr. Sie glauben die Vorboten einer Zinswende zur erkennen – und das hätte dann gröbere Konsequenzen.
Wir leben in einer Zeit, in der alle Vermögensklassen überbewertet sind, teilweise grotesk. Der Grund für die allgemeine Überbewertung ist das billige Geld. Dank sinkenden Zinsen haben die Obligationenmärkte eine Rekordhausse hinter sich. Staaten und Unternehmen konnten immer günstiger Geld aufnehmen und haben das auch reichlich getan.
Gleichzeitig ist der Wert der bestehenden Anleihen bei sinkenden Zinsen gestiegen. Steigen die Zinsen, dann kehrt sich das um: Schulden zu machen wird teuerer und der Kurs der bestehenden Anleihen sinkt, weil die neuen eine höhere Rendite versprechen. Die Zinswende an den Obligationenmärkten ist daher eine sehr heikle Angelegenheit. Erfolgt sie abrupt, dann löst dies Schockwellen mit unkontrollierbaren Folgen aus.
Einen Vorgeschmack auf einen solchen Schock erlebten die Märkte im Jahr 2013. Der damalige Präsident der US-Notenbank, Ben Bernanke, glaubte, die Situation sei reif für eine schrittweise Erhöhung der Leitzinsen und leitete das so genannte «Tapering» ein. Die Folge war ein Mini-Crash, Bernanke brach die Übung ab.
Die amerikanische Wirtschaft hat sich mittlerweile erholt. Deshalb hat auch auch Bernankes Nachfolgerin Janet Yellen die Leitzinsen im Viertelprozent-Takt erhöht, wohl wissend, dass ein zu forsches Vorgehen erneut eine Panik auslösen könnte. Wohl wissend auch, dass die Zinswende Grenzen hat und die Wirtschaft noch lange auf relativ billiges Geld angewiesen sein wird.
Diese vorsichtige Politik könnte jedoch an ihre Grenzen stossen. Grund dafür ist die Inflation. Jahrelang haben vor allem konservative Ökonomen vor einer imaginären Inflationsgefahr gewarnt. Jetzt könnte sie tatsächlich eintreten. Ein Grund sind die steigenden Rohstoff-, vor allem die Ölpreise. Der Preis für ein Fass Öl ist wieder auf beinahe 70 Dollar gestiegen. Selbst wenn Energiepreise aus der Kerninflation herausgerechnet werden, kann diese Teuerung nicht vollkommen ignoriert werden.
Den zweiten Grund kennen junge Ökonomen höchstens aus dem Lehrbuch: die so genannten «Zweitrunden-Effekte». Darunter versteht man Folgendes: Bei wachsender Teuerung verlangen Hersteller höhere Preise und Arbeitnehmer höhere Löhne. Die Inflation macht sich selbstständig, und die Zentralbanken können diesen Teufelskreislauf nur mit einer massiven Erhöhung der Leitzinsen durchbrechen.
In den 1970er Jahren hat diese Politik der Notenbanken zu einer schweren Rezession geführt. Derzeit besteht noch keine Inflationsgefahr. Doch der weltweite Boom hat die Voraussetzungen dafür geschaffen. In Deutschland beispielsweise ist der Markt für Facharbeiter vollkommen ausgetrocknet, Unternehmen lehnen Aufträge ab, weil ihnen das Personal fehlt. Logisch, dass die Gewerkschaften happige Lohnerhöhungen fordern, die IG Metall beispielsweise will sechs Prozent.
Billiges Geld hat die Weltwirtschaft nach der Finanzkrise vor einer Depression gerettet. Jetzt aber sorgt billiges Geld für eine Überbewertung aller Vermögensklassen, die nicht nachhaltig sein kann. Die Märkte sind anfällig geworden für politische und ökonomische Schocks – und wir sind bis zu einem gewissen Grad Geiseln dieser Märkte geworden.