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Eine gefährliche One-Man-Show

Swiss National Bank's (SNB) Chairman of the Governing Board Thomas Jordan arrives to attend a Swiss National Bank press conference, in Zurich, Switzerland, Thursday, March 23, 2023. (Michael Buho ...
Thomas Jordan lenkt seit elf Jahren die Geschicke der Nationalbank und damit der Schweiz.Bild: keystone

Eine gefährliche One-Man-Show

Nationalbank-Chef Thomas Jordan regiert allein. Kritiker warnen.
25.03.2023, 14:0925.03.2023, 14:41
florence vuichard / ch media
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Punkt zehn Uhr betritt der König die Bühne. Es ist alles vorbereitet, an diesem Donnerstagmorgen im Zürcher Nobelhotel Baur au Lac: das nationalbankblaue Bühnenbild, das überdimensionierte Podium und die mit grossem Abstand voneinander montierten Namensschilder.

Sicherheitsleute mit Knopf im Ohr und SNB-Security-Pin am Revers sorgen für einen geordneten Ablauf, zugelassen zum Mediengespräch zur «geldpolitischen Lagebeurteilung» ist nur, wer sich beim Eingang ein blaues Stoffbändchen ums Handgelenk binden lässt.

Es ist fast wie bei einem Konzert, Musik gibt es jedoch keine. Auf dem Programm steht die Frühjahrsaudienz bei Nationalbank-Präsident Thomas Jordan, der nunmehr seit fast elf Jahren die Geschicke der hiesigen Notenbank lenkt. Der trockene, immer seriös und zurückhaltend wirkende Nationalbanker war bei seiner Ernennung die perfekte Antwort auf den ebenso inszenierungsfreudigen wie streitbaren Philipp Hildebrand. Dieser war über die Devisengeschäfte seiner Frau gestolpert und musste Anfang 2012 zurücktreten.

Mehr Schweizer Bescheidenheit als Jordan geht vordergründig kaum. Aber der Schein trügt. Während seiner Regentschaft an der Spitze der Nationalbank (SNB) hat der heute 60-jährige Chef seine Macht kontinuierlich ausgebaut, hat um sich und seine Institution eine Aura der Unfehlbarkeit aufgebaut und regiert heute praktisch unkontrolliert. Zur gut kaschierten Abgehobenheit passt auch, dass Jordan mittlerweile in den Kanton Zug umgezogen ist. So spart der Mann, der sein Berufsleben lang von der öffentlichen Hand angestellt war und der mit einem Salär von gut einer Million Franken wohl der bestentlöhnte Notenbanker der Welt ist, beträchtlich Steuern.

Den Praktikanten als designierten Nachfolger installiert

Definitiv besiegelt wurde Jordans Alleinherrschaftsanspruch im Mai 2022 mit der Ernennung von Martin Schlegel als Vizepräsidenten und potenziell neuen SNB-Chef. Der Ökonom hat sich selbst als «Praktikant» von Jordan beschrieben. Eine gefährliche Situation für die Schweiz: Denn letztlich hängen alle am Tropf der Nationalbank.

Jordan ist, wie die «Bilanz» es formuliert, «der unbestritten mächtigste Mann des heimischen Wirtschaftsgeschehens». In der Tat: Seine Inflationsprognose hat Folgen für die hiesige Konjunktur, sein Zins lenkt die Geldströme der Anleger, seine Wechselkurspolitik bestimmt über das Schicksal der hiesigen Exportindustrie, sein Regulierungsregime steuert den Immobilienmarkt.

Und sein Wort hat Gewicht, wenn es wie in den vergangenen zehn Tagen darum geht beziehungsweise ging, ob und wie eine Bank gerettet werden soll. Die Schweiz hat sich mit Jordans Hilfe letztlich für den mit Staatsgeldern abgesicherten Zwangsverkauf der Credit Suisse an die UBS entschieden.

Mario Draghi, der frühere Chef der Europäischen Zentralbank und so etwas wie ein geldpolitischer Anti-Jordan, hätte es vielleicht mit seinem «Whatever it takes»-Rezept versucht, wie er es schon im Jahr 2012 für den Euro angewendet hatte. Vom Versprechen an die Finanzmärkte, alles Erdenkliche zu tun, um die Krise einzudämmen, hält Jordan bekannterweise nichts, weshalb dieses Rezept in der monokulturellen Nationalbank für den CS-Fall wohl auch gar nie diskutiert wurde.

Die Nationalbank sei heute eine One-Man-Show, heisst es immer öfter. Offen dazu stehen will niemand. Aber alle erzählen das Gleiche: Jordan lenkt, Schlegel assistiert und Andréa Maechler, die Nummer drei im dreiköpfigen Direktorium, geht – nachdem sie übergangen worden ist, als es darum ging, die Nachfolge von Jordan aufzugleisen. Der Rest der Belegschaft folgt, und die Politik schweigt.

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Martin Schlegel, Thomas Jordan und Andréa Maechler.Bild: keystone

Kritik ist grundsätzlich unerwünscht – egal, von wem sie kommt. Das musste gar der ehemalige Finanzminister Ueli Maurer erfahren, als er sich im Sommer 2019 erfrecht hatte, die Ausweitung der SNB-Bilanz als «an der Grenze des Erträglichen» zu bezeichnen. Die Zurechtweisung aus der Nationalbank-Zentrale liess nicht lange auf sich warten. Wer auch immer etwas zur Nationalbank sagt: Diese wittert immer gleich einen Angriff auf ihre Unabhängigkeit. Mittlerweile sagt gar niemand mehr irgendetwas. Auch die Wissenschaft schweigt.

Einzige Ausnahme ist Yvan Lengwiler. Der Basler Ökonomieprofessor hat als Antwort auf dieses ängstliche, kollektive Schweigen – und aus Sorge um die Institution der Nationalbank – gemeinsam mit zwei Mitstreitern im Dezember 2020 das SNB Observatory gegründet, eine Art Plattform mit Artikeln und Gedanken zur Nationalbank und zur Geldpolitik. «Die Unabhängigkeit der Nationalbank garantiert, dass dieser niemand Weisungen zur Geldpolitik geben kann. Aber sie bedeutet nicht, dass man nicht über Geldpolitik reden und debattieren kann», sagt Lengwiler. «Und sie bedeutet auch nicht, dass niemand mehr die Nationalbank kritisieren darf.»

Dringend gesucht: Ein starkes Gegengewicht

Eine Institution, die von einer einzigen Person abhänge, sei nicht «robust», betont Lengwiler. «Dann sind wir als Land abhängig von der Frage, wer gerade Präsident ist.» Der Ökonomieprofessor plädiert deshalb dafür, das Direktorium von heute drei auf mindestens fünf Personen zu erweitern. Nur so sei eine inhaltliche, kontroverse Debatte zur Geldpolitik innerhalb des Gremiums möglich. Das zeigt auch der Blick ins Ausland: Alle gewichtigen Notenbanken haben grössere Leitungsgremien.

Das Allerwichtigste sei laut Lengwiler jetzt, dass der durch Maechlers Abgang frei werdende Direktoriumsposten mit einer «starken, unabhängigen Person» besetzt werde, die von ausserhalb der Nationalbank komme. «Es braucht eine Person, die Thomas Jordan fachlich ebenbürtig ist und auf Augenhöhe diskutieren kann.» Eigentlich wäre nun wieder eine Frau am Zug, und zwar eine aus der Westschweiz oder allenfalls aus dem Tessin. «Ich habe viel Verständnis für dieses Ziel», sagt Lengwiler. «Aber weit wichtiger ist, dass jemand Einsitz nimmt, der einen Erfahrungsschatz mitbringt, der nicht in der Nationalbank gewachsen ist; jemand, der tatsächlich eine unabhängige Meinung vertreten kann – auch wenn das ein Deutschschweizer Mann ist. Es steht zu viel auf dem Spiel.»

Mit der Suche beauftragt ist der Bankrat, der derzeit von der früheren Bündner BDP-Regierungsrätin Barbara Janom Steiner präsidiert wird. Das Gremium, eine Ansammlung von «Frühpensionierungsstellen», wie es ein Kritiker ausdrückt, gilt als äusserst schwach. Theoretisch wäre der Bankrat der verlängerte Arm der Politik, er gilt aber faktisch als der verlängerte Arm des Direktoriums respektive von Jordan. Dieser sitzt fest im Sattel, der Bundesrat hat ihn Ende 2020 bis 2027 wiedergewählt. Bleibt er wirklich bis dann im Amt, wäre er ganze 20 Jahre Mitglied des SNB-Direktoriums.

Am Mediengespräch im Baur au Lac hat Jordan eine Botschaft: Die Vertrauenskrise auf den Finanzmärkten im Generellen und bei der Credit Suisse im Speziellen habe zu einer Liquiditätskrise geführt. Seine Nationalbank habe deshalb Liquidität zur Verfügung gestellt; immerhin 250 Milliarden Franken insgesamt. «Damit konnten wir grossen Schaden abwenden.» Sein Vorvorgänger Jean-Pierre Roth hatte anlässlich der Rettung der UBS 2008 mit seinem emotionalen «Wir sind da für die Ewigkeit»-Statement auch Sicherheit und Menschlichkeit ausgestrahlt. Das ist nicht Jordans Stil. Und dafür hat es in seiner Nationalbank auch keinen Platz mehr.

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Video: watson/Aya Baalbaki, Sina Alpiger
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78 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Demetria
25.03.2023 15:18registriert März 2020
Ah wie gut haben wir jetzt noch den richtigen Bösewicht gefunden, einen Sündenbock. Ich meine so eine Bande von anglophilen neoliberalen in der CS, inszenierungssüchtige alte Bankenchefs und der unfähigste Bundesrat in der Geschichte der Schweiz können ja nicht schuld sein am CS Debakel. Ich meine wir alle wissen doch, dass die FINMA immer ihr Bestes gegeben hat und nie weggesehen hat.
Aber klar, der Nationalbankchef der jetzt versucht die von Anderen verursachte Krise zu managen ist jetzt der Böse. Schon möglich, dass die Nationalbank nicht perfekt ist, aber hier gehts um die Fehler der CS!
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Nathan der Weise
25.03.2023 15:06registriert Juli 2018
Ich bin froh ist Jordan am Ruder und nicht ein Blackrockmanager
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Walfisch
25.03.2023 14:31registriert Februar 2023
Nun ja. Die SNB geschäftet doch erfolgreich? Also scheint die Strategie und das Knowhow zu stimmen. Diskutieren um des Diskutierens Willen macht keinen Sinn. Systeme mit vielen Meinungen sind nicht zwingend besser, siehe die Politik mit ihren endlosen Diskussionen und halbgaren Lösungen.
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