Die Schweiz hat sich daran gewöhnt, dass der starke Franken ständig noch stärker wird. Darum hat die jüngste Aufwertung nicht viel Aufsehen erregt. Nichts Neues, mehr vom Gleichen. Es gab ein kurzes Aufheulen von Swissmem, dem Verband der Technologiefirmen: «Die dramatische Aufwertung gefährdet die Industrie» - danach war es wieder still.
Dabei hat der Franken zuletzt so stark aufgewertet wie seit dem Jahr 2015 nicht mehr, als die Schweizerische Nationalbank (SNB) überraschend den Mindestkurs aufhob und sich der Franken schockartig aufwertete. Wie die Ökonomen der Bank J. Safra Sarasin in einer neuen Analyse schreiben, ist diese erneute Aufwertung des Frankens «Fluch und Segen» zugleich.
Ein Segen für den Immobilienmarkt, der von einer Krise wie in Deutschland verschont geblieben ist. Ein Fluch für die Industrie, und zwar so sehr, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) wohl vorübergehend schon gezwungen war, den Franken zu schwächen. Aber der Reihe nach.
Die Industrie befindet sich ohnehin seit längerem in einer Rezession, vermutlich schon seit dem Januar 2023. Damals wurde sie von einer «globalen Industrierezession» erfasst. In der Folge fiel der Einkaufsmanagerindex unter die Marke von 50 Punkten, was als Signal für eine sinkende Wertschöpfung gilt.
Die Aufwertung des Franken war lange Zeit noch kein Problem. Sie wurde durch eine andere Entwicklung kompensiert: In der Europäischen Union (EU) war die Inflation viel höher als in der Schweiz. So war es nicht so schlimm, wenn Schweizer Unternehmen in der EU wegen des starken Frankens höhere Preise verlangen mussten. Ihre Konkurrenten aus der EU mussten es auch. Alles wurde teurer. Schweizer Industrieunternehmen hatten keinen grossen Nachteil.
Aber irgendwann wurde der Franken zu stark, der Euro zu schwach. Schweizer Produkte wurden in der EU teurer, auch im Vergleich zu allen anderen Produkten. Diese reale Verteuerung betrug zeitweise über 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr, was seit dem Januar 2015 nicht mehr vorgekommen ist. Damals kapitulierte die SNB unter dem Druck der Devisenmärkte und gab den Mindestkurs zum Euro auf. Es kam zum Franken-Schock. Von einem Tag auf den anderen waren viele Industrieunternehmen in der EU nicht mehr wettbewerbsfähig.
Im Jahr 2024 ist diese reale Verteuerung weniger hoch ausgefallen als im Jahr 2015. Und es hat geholfen, dass der Franken langsamer stark geworden ist, unterbrochen von schwächeren Phasen. Dennoch war der Gegenwind zeitweise stark, wie die Safra-Experten schreiben, so stark, dass die SNB nicht länger zuschauen konnte. Sie musste wahrscheinlich den Franken schwächen.
Die SNB dürfte am Devisenmarkt interveniert haben, indem sie Franken auf den Markt geworfen und damit Euro gekauft hat. Dies geschah wohl im Januar, als der Euro weniger als 93 Rappen kostete. Seither ist der Euro wieder etwas stärker geworden, und die SNB hat sich zurückgezogen. Dennoch hat diese Episode gezeigt, dass es nicht mehr viel braucht, bis sie aktiv werden muss. Sollten dann Devisenkäufe nicht ausreichen, müsste sie wohl sogar den Leitzins senken. Bei ihrer nächsten Lagebeurteilung im März könnte es so weit sein.
Ein Fluch also für die Industrie - gleichzeitig war der starke Franken aber ein Segen für den Immobilienmarkt. Denn die Importe aus der EU wurden dadurch billiger und das gesamte Preisniveau stieg weniger stark an. Die Inflation blieb schwächer, als sie es sonst gewesen wäre, und die SNB musste weniger hart durchgreifen.
Die SNB erhöhte ihre Leitzinsen weniger stark - als sie es sonst hätte tun müssen und als es die Europäische Zentralbank (EZB) tat. 2,5 Prozentpunkte waren es bei der SNB, aber 4,5 bei der EZB. Der starke Franken war also ein wichtiger Grund dafür, dass das allgemeine Zinsniveau weniger anstieg als in der Eurozone - und damit auch die Hypothekarzinsen.
Für den Immobilienmarkt dürfte dies ein Segen gewesen sein. In der Safra-Analyse wird dieser Effekt zwar nicht thematisiert, aber dafür gefühlt in jeder zweiten Immobilien-Studie. Der vergleichsweise moderate Anstieg der Hypothekarzinsen gilt als wichtiger Grund für die stabilen oder sogar steigenden Preise von Wohnimmobilien. Bei einem stärkeren Zinsanstieg wäre es wohl anders gekommen, Nachfrage und Preisniveau hätten stärker nachgeben können.
Deutschland ist hierfür ein Beispiel. Dort hat das Kiel Institut für Weltwirtschaft kürzlich eine Mitteilung verschickt mit dem Titel: «Immobilienpreise sind 2023 in historisch einmaligem Ausmass gefallen».
So stark wie 2023 seien die Preise für Wohnimmobilien noch nie gefallen, seitdem vor 60 Jahren eine systematische Erfassung begonnen wurde. Verglichen mit den Verkaufspreisen von 2022 ging es bei Eigentumswohnungen um 8,9 Prozent hinunter, bei Einfamilienhäusern um 11,3 Prozent, bei Mehrfamilienhäusern sogar um 20,1 Prozent.
Diesem historischen Preisrückgang ging eine ebenso historische Preisrallye voraus. Seit etwa 2009 hatten sich die Preise je nach Segment verdrei- bis vervierfacht. Deshalb sei dieser Preisverfall nicht unbedingt eine Krise und nicht unbedingt «besorgniserregend», schreiben die Wirtschaftsforscher. Der Anstieg sei exorbitant gewesen, eine Korrektur nun «angebracht».
Die Frage ist, ob es dabei bleibt. Wenn Märkte übertreiben, kehren sie selten zur Vernunft zurück - sie untertreiben. Erst steigen die Preise in den Himmel, dann fallen sie ins Bodenlose.
V.a. wenn man das mit dem EU-Raum vergleicht.
Einmal mehr dürfen wir froh sein, nicht in der EU zu sein 👍🇨🇭
Die Inflation war aus einer Hand voll Gründen so tief. Ein Teil davon:
1) tiefe Staatsverschuldung
2) energieeffiziente Wirtschaft (wenig sensibel gegenüber Energiepreisschocks)
3) hohes Preisniveau - es ist bereits alles massiv teurer durch div. Zölle und Handelsbarrieren.
4) Stabilität durch gute Institutionen
Der 3. Punkt ist dabei keine gute Sache. Er führt dazu, dass wir Konsumenten in normalen Zeiten massiv überbezahlen.