China ist unter Präsident Xi Jinping wieder sehr viel autoritärer geworden. Hat das Folgen für die IT-Industrie?
Die Effekte sind schwer einzuschätzen. Was wir beobachten können, ist die Tatsache, dass der Handelskrieg mit den USA den Technologie-Transfer erschwert.
Was bedeutet das für die chinesischen Unternehmen?
Sie müssen mit höheren Kosten rechnen. Andererseits nützt ihnen diese Entwicklung. Sie können sich auf eine langfristige Unterstützung verlassen. Der Staat investiert entweder direkt in IT-Startups oder via Pensionskassen.
Tim Wu, ein bekannter amerikanischer IT-Experte, hat kürzlich in der «New York Times» gar geschrieben: Gerade wegen der massiven staatlichen Unterstützung würden die Chinesen bald führend sein auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. Teilen Sie diese Einschätzung?
Grundsätzlich ja.
Der Experte für künstliche Intelligenz, Kai-Fu Lee, stösst ins gleiche Horn. Er prophezeit ebenfalls, dass die Chinesen den Westen bald überflügeln werden.
Es ist schwierig, Kai-Fu Lee zu widersprechen, er ist eine solch gewichtige Stimme auf diesem Gebiet. Ich würde eine kleine Korrektur anbringen, nämlich, dass es noch Jahrzehnte dauern wird, bis das Rennen um die künstlichen Intelligenz entschieden ist, und dass wir daher noch viele Überraschungen erleben werden.
Was spricht für die These von Kai-Fu Lee?
Nebst der staatlichen Unterstützung können sich die chinesischen IT-Unternehmen auf die sogenannte «economics of scale» (die Möglichkeit, grosse Stückzahlen produzieren zu können, Anm. d. Verf.) verlassen. Dank 1,3 Milliarden Chinesen steht ihnen zudem ein riesiger Daten-Pool zur Verfügung.
Ist das unter dem Aspekt der Privatsphäre nicht fragwürdig?
Sicher, doch wir sollten nicht nur die negative Seite sehen. Das Auswerten der Daten sorgt auch für mehr Bequemlichkeit im Alltag der Chinesen.
Silicon Valley ist mittlerweile ein sehr teurer Produktionsstandort geworden. Schreckt dies innovative junge Startups ab?
Tatsächlich entstehen heute mehr sogenannte «Einhörner» (Unternehmen, die mehr wert sind als eine Milliarde Dollar, Anm. d. Verf.) ausserhalb der USA. Für Startups sind die hohen Kosten im Silicon Valley ein grosses Problem geworden, besonders in der frühen Phase. Sie müssen sich gegen die Tech-Giganten behaupten, die ganz andere Löhne bezahlen können. Aus diesem Grund entstehen neue Tech-Clusters, nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt.
Die Aufmerksamkeit richtet sich heute vor allem auf die «Einhörner». Doch was ist eigentlich so schlimm, wenn ein Startup für «nur» ein paar hundert Millionen von einem der Grossen übernommen wird? Ist das tatsächlich ein feiger Ausverkauf, wie man oft hört?
«Einhörner» sind vor allem für Wagnis-Kapitalisten interessant. Sie können so mit einem einzigen Unternehmen so viel verdienen, dass sie sich auch ein paar Flops leisten können.
Doch mehr als 90 Prozent aller Startups werden für weit weniger von Grossunternehmen übernommen. Ist das auch vernünftig?
Auf jeden Fall. Der Hype um die «Einhörner» ist übertrieben. Wenn Sie sich vor Augen führen, wie hoch die Kosten sind, um ein geeignetes Umfeld für Startups aufzubauen, dann ist es sehr viel sinnvoller, dafür zu sorgen, dass die Kleinen eine sinnvolle Perspektive haben.
Können Sie das an einem konkreten Beispiel erläutern?
Israel hat damit begonnen, systematisch kleinere Unternehmen zu fördern, die dann von den Grossen übernommen wurden. Auf diese Weise ist eine sehr potente IT-Industrie entstanden. Es ist daher keine Schande, dass man sein Unternehmen verkauft, bevor es sich zu einem «Einhorn» entwickelt hat. Milliardär zu werden ist schön, aber Millionär ist auch nicht schlecht.
Andererseits verstärkt sich so die Monopolisierung der IT-Industrie. Die fünf Grossen kaufen einfach alles auf, was sich bewegt. Verhindert das nicht langfristig die Innovation?
Die Gefahr besteht, und in anderen Industrien – etwa Öl, Eisenbahnen, Banken – ist das historisch gesehen auch passiert. Was wir heute jedoch mit Big Data erleben, ist in vielerlei Hinsicht etwas Neuartiges. Deshalb ist auch eine Hegemonie der Grossen (Apple, Amazon, Google, Facebook und Microsoft) entstanden.
In dieser Frage gibt es zwei diametral entgegengesetzte Standpunkte: Wir haben auf der einen Seite Peter Thiel, der für starke Monopole plädiert. Wir haben andererseits die demokratische Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren, welche die neuen IT-Monopolisten wieder zerschlagen will. Auf welcher Seite stehen Sie?
Als Investor kann ich schlecht gegen Monopole argumentieren. Sie garantieren mir nachhaltige Gewinne. Für die Gesellschaft als Ganzes hingegen ist ein gesunder Wettbewerb besser. Microsoft beispielsweise war in den Neunzigerjahren so mächtig, dass es die Entwicklung des Internets ein paar Jahre lang verhindern konnte.
Jedes Land, ja jede Region, wünscht sich ein eigenes Silicon Valley. Wie realistisch ist dieser Wunsch?
(Seufzt) Ja, diese Frage wird mir seit mehr als zehn Jahren gestellt. Ich habe in den USA, Asien und Europa gearbeitet und meine Firma investiert rund um den Globus. Silicon Valley ist mehr als ein paar Nerds. Ein erfolgreicher IT-Cluster ist eine Kombination von fünf Faktoren: Grösse eines Marktes, Zugang zu Kapital, Infrastruktur, staatliche Regulierung und Unternehmenskultur.
Was verstehen Sie unter Unternehmenskultur?
Im IT-Sektor ist alles immer in Bewegung. Scheitern ist daher normal. In mehreren Kulturen – beispielsweise in Japan – wird Scheitern nach wie vor als Schande betrachtet. In den USA hingegen nicht. Wer hinfällt, steht wieder auf und macht weiter. Scheitern ist keine Schande. Das ist ein wichtiges Element für den Erfolg von Silicon Valley.
Wie schneidet China bezüglich Ihrer fünf Kriterien ab?
Sehr gut: Der Markt ist riesig, die Regulierung vernünftig und Scheitern wird nicht stigmatisiert. USA und China sind riesige Länder.
Wie sieht es in kleineren Ländern aus?
Ich habe bereits Israel erwähnt. Es beweist, dass die Kleinen durchaus eine Chance haben.
In Europa wächst die Angst, dass es zwischen den USA und China zerrieben wird. Teilen Sie diese Angst?
In Europa haben wir zwar tüchtige Ingenieure. Was uns fehlt, sind Unternehmer. Ich bin jedoch optimistisch, dass wir in der nächsten Generation solche Unternehmer sehen werden.