Während ich diese ersten Zeilen schreibe, erreicht der Bitcoin-Preis gerade einen neuen Höchststand. Der Wahn kennt keine Grenzen.
Der Grund dafür ist einfach: Die Krypto-Spekulanten haben einen neuen Weg gefunden, wie man mit der ältesten aller Kryptowährungen noch schneller Geld verdienen kann. Das neue Wundermittel heisst «Hard-Fork» – und es ist äusserst gefährlich.
Um zu begreifen, was eine Hard-Fork ist, muss man zwei Dinge berücksichtigen:
Bitcoin stellt sich folgendes Problem: Seit Jahren liegen sich die verschiedenen Interessenvertreter in den Haaren. Sie sind sich nicht über den Umfang und den Inhalt der dringend benötigten Updates einig. Der Streit eskalierte derart, dass sich eine Gruppierung im Sommer entschied, «ihr eigenes Ding zu machen». Sie nannten es Bitcoin Cash.
Und wie macht man «sein eigenes Ding» in der Kryptowelt? Man spaltet sich ab. Diese Abspaltung nennt sich eine Hard-Fork – aus einer Währung mach zwei. Der eigentliche Trick dabei ist, dass Besitzer der einen Währung bei einer Hard-Fork automatisch auch Besitzer der anderen Währung werden. Die Glücklichen! Sie haben soeben «Gratisgeld» erhalten!
«Halt! So einfach ist es nicht!», werden schlaue User jetzt zurecht monieren, «nach Adam Riese müsste ja nach der Abspaltung der Wert der alten Währung um den Betrag der neuen Währung abnehmen!»
Diese Überlegung ist richtig. Rational und logisch denkende Menschen würden so etwas erwarten.
Aber die Kryptowelt ist nicht rational und logisch. Die Kryptowelt ist komplett gaga (und deshalb auch so faszinierend).
Nur so kann man sich erklären, dass der Wert von Bitcoin nach der Abspaltung von Bitcoin Cash im August nicht ab-, sondern zunahm. Und nicht nur das. Auch der Wert von Bitcoin Cash stieg mittelfristig (und auch jetzt ist er wieder am Steigen).
Die Hard-Fork entpuppte sich als «Gelderfindungsmaschine».
Wenn Geld erfolgreich «erfunden» wird, dann ruft das Nachahmer auf den Plan. Als erstes meldete sich ein Team mit dem Projekt Bitcoin Gold.
Wer auch nur 15 Minuten im Netz recherchierte, stiess auf Indizien, dass es sich hierbei nicht um eine Abspaltung aufgrund philosophischer Differenzen handelte. Bitcoin Gold spaltete sich ab, weil seine Erfinder schnelles Geld machen wollten. Es war reine Gier.
Trotzdem stieg der Bitcoinpreis. Die Aussicht auf einen «gratis Coin» und «Gratisgeld» lockte die Spekulanten an wie ein Kuhfladen die Schmeissfliegen. Die Gelderfindungsmaschine hatte sich bestätigt.
Die jüngste Kursexplosion ist auf die geplante Hard-Fork vom 16. November zurückzuführen. Ihr Ursprung gründet im zerrütteten Verhältnis zwischen den Kernentwicklern von Bitcoin und den Minern. Die einen wollen doppelt so grosse Blöcke in der Blockchain, die anderen wollen darauf verzichten oder damit noch zuwarten – die genauen Details möchte ich euch ersparen.
Der springende Punkt ist, dass sowohl Entwickler wie auch Miner für das Netzwerk eine enorm wichtige Funktion einnehmen: Die Entwickler sorgen dafür, dass Bitcoin technisch weiterkommt, die Miner halten mit ihrer Infrastruktur das Netzwerk in Takt. Beide Gruppen sind aufeinander angewiesen. Der Graben zwischen den beiden Lagern ist aber derart tief, dass eine Einigung kaum mehr möglich scheint. Die logische Folge: Beide Gruppen wollen nun ihre eigene Blockchain weiterführen – und beide beanspruchen für sich den so wertvollen Namen Bitcoin.
Bitcoin entstand aufgrund des Wunsches nach einer dezentralen Währung ohne Mittelmänner. Ihre Urväter waren Idealisten mit einer komplett revolutionären Idee, die sich auch gegen das Bankenestablishment richtet. Bitcoin wurde als «demokratisches Geld» gefeiert.
Nun steht diese Philosophie auf dem Prüfstand. Sich beim geringsten Widerstand mit einer Hard-Fork abzuspalten, ist zwar kurzfristig lukrativ, nicht aber demokratisch. Doch die Kräfte, die sich um die Ursprungsidee scheren, werden langsam aber sicher zur Minderheit.
Die Krypto-Geek-Party wurde von einer wilden Bande Hyperkapitalisten gecrasht. Sie interessiert sich nicht für idealistisches Geschwurbel, sie will eine schnelle und fette Rendite. Bitcoin hat für sie keinen emotionalen oder idealistischen Wert. Jedes Mittel ist recht, jede Hard-Fork willkommen. Dass der leckere Bitcoin-Kuchen langsam in einzelne Brosamen zerfällt, ist ihr egal.
Derweil schläft die Konkurrenz nicht. Technische Updates werden anderswo schneller implementiert. Mitunter auch deshalb, weil sie zentral verwaltet werden und der Entscheidungsfindungsprozess keine demokratischen Hürden nehmen muss. Das System Bitcoin droht sich selbst zu zerfleischen.
Bisher ist es Bitcoin immer wieder gelungen, sämtliche negativen Prognosen Lügen zu strafen – es ist ein bisschen wie Magie. Diese kann aber auch ins Auge gehen, wie wir spätestens seit Goethes Zauberlehrling wissen. Dieser versuchte es ebenfalls mit der Hard-Fork und zerlegte den Wasser-tragenden Besen mit einer Axt. Seine Probleme waren damit aber nicht gelöst – im Gegenteil.
Möchten Sie die technischen Details uns Leser*innen ersparen oder Ihnen selber? 😬 Wenn pro Woche zwei Artikel auf der Frontpage zu diesem Thema landen, wären verständlich aufbereitete Details weitaus spannender als Spekulationen und waghalsige Interpretationen. So könnten wir uns vielleicht selber ein Bild machen. 😃
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