In Zürich, Basel und Bern stürmen Konsumenten kreischend die Läden der Billigmodeketten, um Blusen, Hosen, T-Shirts und Röcke zu Schnäppchenpreisen zu ergattern. In Bangladesch, Pakistan und China kämpfen die Frauen, die diese Wegwerfmode in stickigen Betonbunkern zu Hungerlöhnen herstellen, ums nackte Überleben. Das globale Bekleidungsgeschäft ist – man kann es nicht anders ausdrücken – ein dreckiges Business. Trotzdem haben wir noch nicht das geringste Bewusstsein dafür entwickelt, dass im Westen und im Osten mit dieser Arbeitsteilung nur Verlierer produziert werden.
Unsere Jagd nach Schnäppchen ist nicht nur rücksichtslos und egoistisch, wir leisten darüber hinaus einem Wirtschaftsmodell Vorschub, das volkswirtschaftlich nicht den geringsten Nutzen bringt, das an der Umwelt massiven Schaden anrichtet und das die Näherinnen in den Entwicklungsländern versklavt. Der kürzlich aufgedeckte Fall Primark – in Kleidungsstücke wurden Hilferufe eingenäht – macht ein Mal mehr deutlich, dass Modegiganten Horden von Näherinnen ausbeuten und sich einen Dreck um gerechte Löhne scheren.
Ob die Hilferufe nun von findigen Menschenrechtsaktivisten eingenäht worden sind, um auf die miserablen Arbeitsbedingungen der Näherinnen aufmerksam zu machen, oder ob die Botschaften echt sind, spielt keine Rolle. Es geht darum, dass wir endlich die Finger von der Wegwerfmode lassen.
Die moderne Sklavenarbeit wird selbstverständlich mit dem Arbeitsplatzargument verteidigt. Es lässt sich in der Tat nicht bestreiten, dass ein Land wie Bangladesch auf die Textilindustrie angewiesen ist. Doch was haben die Menschen davon, wenn sie zwar einen Job haben, jedoch damit ein Einkommen erzielen, das deutlich unter dem Existenzminimum liegt? Hungerlöhne sind in diesen Ländern nicht metaphorisch gemeint. Mangelernährung ist weit verbreitet, Zugang zu einer medizinischen Versorgung gibt es nicht.
Es wirkt geradezu wie ein Hohn, dass viele dieser Länder sich damit brüsten, einen Mindestlohn zu kennen. Untersuchungen der Asia Floor Wage Allianz aus dem Jahr 2013 haben ergeben, dass die Kluft zwischen gesetzlichen Mindestlöhnen und Existenzlöhnen gross ist. Weil die Inflation teils zugenommen hat und diese Mindestlöhnen stagnieren, ist die Diskrepanz noch grösser geworden. Das bedeutet, dass die Näherinnen nicht in der Lage sind, ihre grundlegenden Bedürfnisse sowie jene ihrer Familien zu decken.
Die Argumente und Rechtfertigungen der Bekleidungsindustrie sind paradox: Einerseits wird die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer mit der Schaffung der so entstehenden Arbeitsplätze gerechtfertigt. Andererseits ist offensichtlich, dass daraus kein wirtschaftlicher Nutzen für die betroffenen Frauen entsteht. Die Näherinnen, die oft ganze Familien ernähren müssen, haben vom Aufschwung der Textilindustrie nur geringfügig profitiert. Weder das für unser Verständnis lächerliche Arbeitsrecht wurde zu ihren Gunsten revidiert, noch erhielten sie mehr politische Rechte, um sich gegen die Ausbeutung wehren zu können.
Gemäss UNO-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte sind die Staaten verpflichtet, den gesetzlichen Mindestlohn dem Existenzminimum entsprechend anzupassen. Das passiert weder in Bangladesch noch in anderen Textilhochburgen, wo der gesetzliche Mindestlohn unter dem Existenzminimum liegt. Deshalb würden die Unternehmen in der Pflicht stehen, die Löhne anzupassen. Das kümmert sie jedoch nicht.
Stattdessen gibt der Primark-Geschäftsführer Paul Merchant unumwunden zu: «Wir sind besessen vom Preis-Leistungs-Verhältnis.» Diese Besessenheit führt zwangsläufig zu den Hungerlöhnen. Und die Mode-Multis haben die Macht, ihre Besessenheit auch durchzusetzen. Allein die Androhung einer Produktionsverlagerung genügt, damit die Regierungen in den entsprechenden Produktionsländern ihre Arbeits- und Handelspolitik den Erwartungen und den Billigmodeketten anpassen.
Die Entwicklungsländer machen sich so zur Geisel der globalen Wirtschaft. Die Unternehmen wiederum verweisen auf die Gesetzgebung: Man halte sich an das geltende Recht, heisst es. Damit schieben die Modegiganten die Verantwortung ab – meist an einen Staat, dessen Rechtsprechung mittelalterliche Züge aufweist.
Um diese Verelendungsspirale zu durchbrechen, müssen die Konsumenten Verantwortung übernehmen. Anstatt das x-te T-Shirt für den Preis einer Stange Bier zu ergattern, sollten wir einmal darüber nachdenken, ob es wirklich Sinn macht, dass eine Jeanshose um den Globus geschifft werden muss, damit wir sie – künstlich abgewetzt und zerrissen – an der Grillparty tragen können. Nur wenn wir mit diesem Unsinn aufhören, können wir verantwortungslose Modemultis wie Primark in die Knie zwingen.