Sag das doch deinen Freunden!
Die Detroit Motorshow ist das traditionelle Jahrestreffen der Autoindustrie. Doch der Glamour blättert ab. Immer häufiger stellen die Hersteller ihre neuesten Modelle an der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas vor. Ferrari, Rolls Royce und andere Luxusmarken weichen auf teure Privatshows aus. Detroit wird zur Provinz, nicht weil die Stadt pleite ist, sondern weil das traditionelle Motown-Image immer weniger zur Industrie im digitalen Zeitalter passt: Das moderne Auto fährt ohne Lenker und elektrisch, es verwandelt sich immer mehr in ein Smartphone auf Rädern.
Die CES ist deshalb zu einer viel geeigneteren Bühne für das Auto der Zukunft geworden – sofern man in Zukunft überhaupt noch von Autos im traditionellen Sinn sprechen wird. Selbst die Industrieinsider sind nicht mehr so sicher. Gill Pratt, Chef der Abteilung für künstliche Intelligenz bei Toyota – dem grössten Autohersteller der Welt – meldet seine Zweifel an:
Das mag leicht übertrieben sein. Sicher ist indes, dass die Autoindustrie durchgeschüttelt wird wie noch nie. Wie für die Medien und die Banken ist «Disruption» für Automanager kein Fremdwort mehr, sondern eine alltägliche Realität. Um mithalten zu können, hat Toyota deshalb Google eine Reihe von Experten in Sachen künstlicher Intelligenz abgeworben und in Kalifornien ein Testlabor für das Auto der Zukunft eingerichtet.
General Motors bewegt sich in die gleiche Richtung. Sein jüngstes Elektroauto Bolt hat der einstige Weltmarktleader ebenfalls an der CES vorgestellt. Dabei hat er auch mitgeteilt, sich mit 500 Millionen Dollar am Car-Sharing-Unternehmen Lyft zu beteiligen. Allgemein erwartet wird, dass Ford und Google demnächst ihre Zusammenarbeit bekannt geben werden. Die deutschen Hersteller haben derweil gemeinsam Here, einen Hersteller von digitalen Karten, von Nokia gekauft.
Spektakuläre Ankündigungen über künftige Wunderdinge sind in der Autobranche keine Seltenheit. Früher wurden sie belächelt und sofort wieder vergessen, jetzt werden sie ernst genommen. Die Investmentbank Morgan Stanley hat soeben einen Report über die Industrie verfasst und kommt zum Schluss, der Wandel werde «weit früher, schneller und kräftiger» erfolgen als bisher erwartet.
Das ist keine Panikmache. So hat Elon Musk bekannt gegeben, dass die Tesla-Besitzer sich schon bald von ihrem Auto werden abholen lassen können. «Es mag vielleicht zu optimistisch tönen, aber ich denke, dass es schon in zwei Jahren möglich sein wird, sein Auto quer durchs ganze Land lotsen zu können», wird Musk in der «Financial Times» zitiert. «Wenn Sie sich in New York aufhalten und Ihr Auto in Los Angeles, dann wird es einen Weg finden, Sie dort zu treffen, wo Ihr Smartphone ist.»
Wer diesen Service wünscht, muss sich keinen neuen Tesla kaufen. Die bestehenden Modelle werden mit Software schrittweise nachgerüstet. Allerdings müssen nicht nur die technischen, sondern auch die rechtlichen Anforderungen dazu geschaffen werden. Technisch scheint alles im grünen Bereich zu sein. Mit einem von Software gelenkten Tesla hat es bisher noch nie einen Unfall gegeben, obwohl die Jungs «ziemlich verrückte Dinge getan haben wie auf den Hintersitzen herumzutollen», wie Musk bekennt.
Nicht nur die Technik, auch das Kundenverhalten verändert sich. Das Auto ist im Begriff, seine Funktion als Statussymbol einzubüssen, vor allem bei jungen, urbanen Menschen. Die Barclays Bank geht in einer Studie davon aus, dass in den USA bis 2040 die durchschnittliche Anzahl pro Haushalt von aktuell 2,1 auf 1,4 Wagen sinken wird.
«Ein selbst gelenktes Auto kann die Erwerbstätigen des Hauses am Morgen zur Arbeit fahren, dann zurückkehren und die Kinder zur Schule bringen», schreibt der «Economist». Das wird den Markt auf den Kopf stellen. Barclays geht davon aus, dass die rund elf Millionen pro Jahr verkauften Autos für den persönlichen Gebrauch auf 3,8 Millionen selbst gelenkte und geteilte Autos sinken werden.
Allerdings: Es könnte auch ganz anders kommen. Die Individualisierung verwandelt das Auto in eine Art Wohnzimmer, und die gute Stube teilt man nicht gerne mit Fremden. Auf diese Tatsache weist Carlos Goshn, Chef von Renault/Nissan hin. «Die aktuellen Technotrends sind sehr widersprüchlich», erklärt er. «Wenn das Auto eine Erweiterung des Eigenheims oder des Büros wird, dann spricht dies wahrscheinlich gegen das Teilen.»
Wie auch immer: Fest steht, dass die Autoindustrie vor völlig neuen Herausforderungen steht, die sie nur in Zusammenarbeit mit den IT-Unternehmen wird lösen können. Wer dabei obenaus schwingt, wird sich weisen. Oder wie der «Economist» es ausdrückt: «Wer weiss, ob wir künftig in ein Auto steigen werden, wo auf dem Armaturenbrett steht ‹Ford (powered by Google)› oder ‹Google (powered by Ford)›?»