Mit David Graeber zu sprechen, war nicht immer ganz einfach. Mein erstes Interview mit ihm führte ich auf den Strassen von Frankfurt, umgeben von Polizisten und Demonstranten. Tags zuvor hatten die Ordnungshüter das Camp der Occupy-Bewegung aufgelöst. Graeber war vor Ort, um den Protestierenden Mut zu machen.
Berühmt wurde Graeber zunächst jedoch nicht als Vordenker der Protestbewegung, die 2011 weltweit für Furore sorgte. Zuvor hatte er mit seinem Buch «Schulden, die ersten 5000 Jahre» die Aufmerksamkeit der Sozialwissenschaftler erregt.
Graeber war Ethnologe und lehrte zeitweise an den renommiertesten Universitäten der Welt, beispielsweise Yale, Cambridge und der London School of Economics.
Ganz in der Tradition der Ethnologen entstand sein Bestseller «Schulden» aus persönlicher Betroffenheit. Die Idee dazu kam ihm bei seiner Feldforschung in Madagaskar:
Mit Schulden hat Graeber den Scheinwerfer auf einen blinden Fleck der klassischen Ökonomie gerichtet. Diese betrachtet Geld als Schmiermittel, das die Wirtschaft in Gang hält, selbst jedoch keine Rolle spielt.
Graeber jedoch hat erkannt, dass Geld mehr ist als das. Geld ist auch Kredit, und Kredit ist ein zentrales Element jeder menschlichen Gesellschaft. In den Stammesgesellschaften verschulden sich Menschen regelmässig gegenseitig und werden so voneinander abhängig. Das sorgt für den Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.
In den ursprünglichen Stammesgesellschaften gab es keine zentral Macht. Mit dem Entstehen von Machtstrukturen ändert der Charakter des Kredits, er wird zu Schulden. Wer jetzt seine Schulden nicht mehr bezahlen kann, muss sein Kind, seine Frau oder sich selbst in Sklaverei begeben. «Schulden sind nie eine Sache der Reichen, sondern immer der Armen», stellte Graeber fest.
Schulden und Kredit sind das dominierende Thema der Ökonomie. Heute kennt jeder Teenager den Begriff Fiat Money und auf YouTube kann man jede Menge Videos dazu abrufen. Als Graeber vor rund zehn Jahren sein Buch veröffentlichte, war diese Diskussion noch einem kleinen Kreis von Spezialisten vorbehalten.
Genauso hat sich der Begriff «Bullshit-Jobs» durchgesetzt. Graeber hat ihn als eine Art Nebensatz in seinem Buch «The Democracy Project» in die Welt gesetzt. Unter Bullshit-Jobs versteht er nicht etwa eintönige Fliessbandarbeit oder hartes Malochen auf dem Bau.
Diese Arbeiten sind notwendig, Bullshit-Jobs sind es nicht. Es sind oft hoch spezialisierte Tätigkeiten, die von bestens ausgebildeten Menschen ausgeführt werden. Juristen beispielsweise, welche die ellenlangen Texte verfassen, die wir bei jedem Update anklicken und noch nie gelesen haben. Oder Marketingspezialisten, die uns Dinge andrehen, die wir nicht brauchen. Oder Manager, die uns überwachen.
Graeber erklärte dazu:
Mit dem Begriff Bullshit-Jobs hat Graeber einen wunden Nerv unserer Zeit getroffen. Er breitete sich sofort weltweit aus. Später hat Graeber seinen Nebensatz zu einem richtigen Buch ausgeweitet.
Noch bekannter als Bullshit-Jobs ist der Begriff, den Graeber für die Occupy-Wall-Street-Bewegung (OWS) geprägt hat: «Wir sind die 99 Prozent». Damit sind wir bei seiner Eigenschaft als einer der führenden Aktivisten angelangt.
OWS war entstanden aus der Wut der Menschen, weil die Banker der Wall Street nach der Finanzkrise von 2008 von der Notenbank unlimitierten Kredit erhalten hatten, während viele einfache Bürger aus ihren Häusern vertrieben wurden.
OWS-Aktivisten besetzten den Zuccotti-Park in der Nähe der Wall Street, führten regelmässig Demonstrationen durch und wiesen auf die eklatante Ungerechtigkeit der amerikanischen Gesellschaft hin: Ein Prozent besitzt alles, 99 Prozent nichts.
Die Bewegung wurde weltweit kopiert. Auch in Zürich besetzten Demonstranten zunächst den Paradeplatz und später den Lindenhof. Danach verschwand OWS genauso rasch wie sie aufgetaucht war. Graeber kümmerte dies wenig. Er erklärte:
Schliesslich war Graeber auch ein bekennender und stolzer Anarchist. Er entsprach jedoch in keiner Weise dem Stereotyp, das Trump und die Republikaner derzeit in die Welt setzen wollen. Er war weder gewalttätig noch fanatisch. Im Gegenteil, er verachtete Gewalt und besass Witz und Selbstironie. Und er kämpfte für eine Welt ohne Macht und Schulden. Eine Welt, die er wie folgt beschreibt:
David Graeber ist 59-jährig aus unbekannten Gründen in Venedig verstorben.
Sehr undifferenziert, die Verbreitung dieses Stereotyps Trump anzulasten. Es sind auch die Medien, die ihren Beitrag zum negativen, gewalttätigen Bild des Anarchisten beisteuern.
So reden alle zb von Anarchie wenn irgendwo dee Staat zusammenbricht und Gewalt und Chaos herrschen. Das bezeichnet man aber als Anomie, nicht als Anarchie
Also sich erst mal an der eigenen Nase nehmen, bevor man auf andere zeigt
*digital Marketing Spezialst <3