Als der britische Finanzminister George Osborne kürzlich sein Budget präsentierte und dabei traditionsgemäss ein rotes Köfferchen vor die Kameras hielt, sorgte er für eine Überraschung: Er plädierte für höhere Mindestlöhne. «Zusammen mit höheren Abzügen bei der Einkommenssteuer und Kinderbetreuung steuerte er seine Partei auf ein Terrain, das bisher selbst für Labour als zu riskant galt», stellte der «Economist» verblüfft fest.
Auf der anderen Seite des Atlantiks hat Hillary Clinton ihre erste wichtige Rede zur Lage der amerikanischen Wirtschaft gehalten. Dabei stellte auch sie höhere Mindestlöhne ins Zentrum ihrer Pläne für eine neue Wirtschaftsordnung. Das war mehr als eine Geste an den linken Flügel ihrer Partei. «Mrs. Clintons Rede widerspiegelt einen bedeutenden Wandel in unserem Verständnis, was die Lohnfrage betrifft», kommentiert Paul Krugman in der «New York Times».
Die Mindestlohnfrage galt bisher als traditioneller Zankapfel zwischen links und rechts. Höhere Mindestlöhne stärken die Binnennachfrage und sind daher gut für die Wirtschaft, hiess es im linken Lager. Höhere Mindestlöhne zerstören Jobs und sind schlecht für die Wirtschaft, konterte das rechte.
Auch die Abstimmung über höhere Mindestlöhne vor einem Jahr in der Schweiz verlief entlang dieser Front – und das konservative Lager gewann deutlich. Doch inzwischen ist die Abgrenzung unscharf geworden. Nicht nur der konservative Osborne entdeckt den Mindestlohn. In den USA haben verschiedene Städte wie Seattle, San Francisco und Los Angeles per Gesetz Mindestlöhne eingeführt, die doppelt so hoch sind wie die national vorgeschriebenen. Unternehmen wie McDonald’s und Walmart – die grössten Arbeitgeber – haben ihre Mindestsätze ebenfalls erhöht.
Wie lässt sich dieser Sinneswandel erklären? Es ist nicht so, dass die Kapitalisten plötzlich ihr Herz entdeckt hätten. Aber die intelligenten unter ihnen haben gemerkt, dass der technische Fortschritt im Begriff ist, unsere Arbeitswelt grundsätzlich umzukrempeln.
Roboter und intelligente Software sind auf dem Vormarsch. Nicht nur bei einfachen Arbeiten ersetzen sie die menschliche Arbeitskraft, sondern selbst dort, wo man es bisher für unmöglich hielt. In Japan ist ein Roboter entwickelt worden, der Erdbeeren pflücken kann. Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Martin Ford stellt in seinem Buch «Rise of Robots» fest: «Das Einbinden der neuen Technologien in die Geschäftsmodelle führt dazu, dass praktisch alle Branchen weniger arbeitsintensiv werden – und dieser Wandel könnte sehr schnell erfolgen.»
Bis anhin haben die klassischen Ökonomen auf diese Entwicklung stets mit der so genannten «lump of labour fallacy» geantwortet. Sie besagt Folgendes: Der technische Fortschritt zerstört zwar tatsächlich traditionelle Arbeitsplätze, aber er schafft gleichzeitig auch neue. Es ist daher ein Trugschluss, zu glauben, die Menge der Arbeit bleibe immer gleich. Es entstehen laufend neue Jobs und neue Berufe. Software-Ingenieure und «Nailstudios» beispielsweise kannte man vor 100 Jahren noch nicht.
Die These der «lump of labour fallacy» wird der jüngsten Entwicklung jedoch nicht mehr gerecht. Das lässt sich mit den so genannten Opportunitätskosten erklären (keine Angst, dieser Begriff ist einfach zu begreifen): Stellt euch vor, Roger Federer wäre nicht nur ein genialer Tennisspieler, sondern auch ein exzellenter Koch. Unter den bestehenden Bedingungen ist es sinnvoll, dass er einen Koch anstellt. Er kann ja nicht gleichzeitig kochen und trainieren. Gemeinsam schaffen Federer und der Koch mehr Wohlstand.
Intelligente Software wird dies ändern, denn sie kann unendlich geklont werden. Als Roboter könnte Federer sowohl kochen als auch Tennis spielen, der Koch würde daher überflüssig. Der technische Fortschritt verringert somit tatsächlich die Anzahl der Arbeitsplätze. «Das Gesetz des komparativen Vorteils muss daher bald neu überdacht werden», stellt Ford fest.
Heute schon können wir die ersten Symptome dieser Entwicklung beobachten. Migros und Coop forcieren das Self-Check-out. Die beiden Grossverteiler betonen zwar, dass sie deswegen keine Jobs abbauen, doch wer mag es glauben? In zehn Jahren wird es wahrscheinlich etwa gleich viel mit einem Menschen bestückte Kassen im Supermarkt haben wie Tageszeitungen: nämlich keine mehr.
In vielen Ländern herrscht heute schon ein beträchtlicher Überschuss an Arbeitskräften. Als McDonald’s vor ein paar Jahren 50'000 neue Jobs ausgeschrieben hatte, meldeten sich an einem Tag mehr als eine Million Interessenten. Einen Job bei McDonald’s zu ergattern, sei inzwischen schwieriger geworden als einen Studienplatz in Harvard zu erhalten, kommentiert Ford sarkastisch.
Nicht nur die ungelernten Arbeitskräfte sind von dieser Entwicklung betroffen. Obwohl die Banken wieder kräftige Gewinne schreiben, ist an der Wall Street die Anzahl der Banker von 150'000 auf 100'000 gesunken. Das ist erst der Anfang. Der Ökonom Tyler Cowen geht in seinem Buch «Average is Over» davon aus, dass die digitale Wirtschaft für rund 80 Prozent der Arbeitnehmer keine vernünftige Arbeit mehr haben wird. «Wir werden bald viele Yoga-Lehrer mit einem Doktortitel haben», kommentiert Cowen süffisant.
Wer glaubt, Naturwissenschaften seien die Lösung, der könnte ebenfalls eine böse Überraschung erleben. «Der weit verbreitete Glaube, ein Ingenieurstudium oder Computerwissenschaften seien gleichbedeutend mit einer Jobgarantie, ist ein Mythos», stellt Ford fest. «Es wird immer offensichtlicher, dass immer mehr Menschen, die glauben, ausbildungstechnisch alles richtig gemacht zu haben, Schwierigkeiten haben, in der Wirtschaft Fuss zu fassen.»
Das Überangebot auf dem Arbeitsmarkt führt zu stagnierenden, ja fallenden Gehältern. Mit steigenden Mindestlöhnen soll dieser Tendenz entgegengesteuert werden. Selbst klassische Ökonomen und konservative Politiker beginnen, dies zu begreifen. Eine verarmte Bevölkerung kann schlecht konsumieren.
Ob sich allerdings damit das Problem lösen lässt, ist fraglich. Sollte die zunehmende Technisierung der Arbeitswelt zur Verarmung der Menschen führen, dann muss eine Lösung gefunden werden, wie der durch die Technisierung geschaffene Wohlstand auch gerecht verteilt werden kann.
Wer die Zeichen nicht erkennt wie Selfservice Kassen, Onlinebanking, Roboterarbeit, etc., der hat einfach zu viel Sand im Kopf, vom Kopf im Sand.
Vor kurzer Zeit konnte sich die Mehrheit auch nicht vorstellen, dass die Schweiz ihr Schwarzgeldmodell mit Beratungen von gesetzeswidrigen Steuerhinterziehungen in anderen Ländern aufgeben wird/muss. Die Aussage von alt BR Merz «ihr werdet euch die Zähne am Bankgeheimnis ausbeissen» ist zur Lächerlichkeit verkommen. Ein internationaler Informationsaustausch wird Standard sein. So dass alle nach ihren wirtschaftlichen Kräften Steuern bezahlen. Eigentlich eine Normalität in einer christlichen, solidarischen und liberalen Gesellschaft.