Sag das doch deinen Freunden!
Der «Economist» ist ein führendes Wirtschaftsmagazin und gilt als topseriös. In seiner jüngsten Ausgabe überrascht er mit einem Vorschlag, der – milde ausgedrückt – aufhorchen lässt. Um die immer schlimmer werdende Flaute der Weltwirtschaft zu beheben, sollte man den Einsatz von «Helikopter-Geld» erwägen. Will heissen: Das Magazin schlägt vor, Bargeld an alle Einwohner zu verteilen, um damit die Nachfrage zu beleben.
Das ist nicht unbedingt das, was man gemeinhin unter seriöser Geldpolitik versteht, aber wir leben in ungewöhnlichen Zeiten, und diese verlangen bekanntlich nach ungewöhnlichen Massnahmen. Denn dass die Weltwirtschaft aus dem Ruder läuft, ist unübersehbar geworden: Der Börsenstart ins neue Jahr war der schlechteste seit Menschengedenken. Schwellenländer wie China, Brasilien und Russland befinden sich in grossen Schwierigkeiten, der tiefe Ölpreis verunsichert die Märkte, die Banken sind erneut ins Wanken geraten, und der amerikanischen Wirtschaft geht die Luft aus. Kommt also die seit 2008 erwartete weltweite Depression doch noch?
Panik ist fehl am Platz, aber es lässt sich nicht leugnen, dass die Magie der Zentralbanker ihre Wirkung eingebüsst hat. Nach 2008 haben hauptsächlich die US-Notenbank, das Fed, und die Europäische Zentralbank (EZB) – nachdem Mario Draghi den glücklosen Jean-Claude Trichet ersetzt hatte – eine Depression verhindert. Mit einer Politik des billigen Geldes haben sie eine Deflationsspirale abgewehrt. Doch nun wirkt dieses Mittel nicht mehr. «Trotz des billigen Geldes ist die Anzahl der Kredite, die Geschäftsbanken verleihen, erbärmlich», klagt der «Economist».
Mit der Geldpolitik allein lässt sich der Karren nicht mehr aus dem Dreck ziehen. Darüber herrscht allgemeiner Konsens. Sonst liegen sich die Ökonomen einmal mehr in den Haaren und präsentieren sehr unterschiedliche Analysen: Harvard-Professor Kenneth Rogoff macht die zu hohen Staatsschulden für die Misere verantwortlich, der Wirtschaftshistoriker Robert Gordon mangelndes Wachstum der Produktivität, der ehemalige Fed-Präsident Ben Bernanke spricht von einer «Spar-Flut» und Nobelpreisträger Paul Krugman von einer «Liquiditätsfalle».
Eine umfassende Erklärung legt der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers in der neuesten Ausgabe von «Foreign Affairs» vor. Er spricht von einer «säkularen Stagnation», und meint damit Folgendes: In einer idealen Wirtschaftswelt mit Vollbeschäftigung wird die Höhe der realen Zinsen bestimmt vom angebotenen Spargeld und den nachgefragten Investitionen. Dieser Zinssatz gilt als «neutral». Von einer «säkularen Stagnation» spricht man, wenn dieser neutrale Zinssatz viel tiefer als üblich sinkt und mit den konventionellen Mitteln der Geldpolitik nicht mehr hergestellt werden kann. Das trifft heute zu. Weltweit liegen die Zinssätze auf rekordtiefem Niveau und rund 4,5 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der letzten 30 Jahre. In einigen Ländern gibt es gar Negativzinsen.
Wie kommt es dazu? Einerseits hat das Angebot an Spargeldern zugenommen. Dafür sorgen die wachsende Ungleichheit – reiche Menschen sparen viel mehr als arme –, die längere Lebenserwartung und die satten Gewinne von Unternehmen wie Apple und Google, die auf riesigen Cash-Bergen sitzen.
Die IT-Konzerne beeinflussen auch das Investitionsverhalten der anderen Unternehmen. Welche Hotelkette wagt es im Zeitalter von Airbnb noch, gross zu investieren? Wer baut angesichts des Erfolges von Amazon noch Shoppingcenters? «In einer Zeit des raschen technologischen Wandels kann es sinnvoll sein, Investitionen hinauszuschieben», stellt Summers fest.
In einer «säkularen Stagnation» herrscht deshalb der an sich absurde Zustand, dass zu viel und viel zu billiges Geld verzweifelt nach nicht vorhandenen Investitionsmöglichkeiten sucht. Dagegen können die Zentralbanker nichts ausrichten. Hier muss die Politik eingreifen, aber um Himmels Willen nicht mit einer Austeritätspolitik.
So sieht es auch der «Economist»: «Schwäbische Sparsamkeit richtet derzeit grossen Schaden an», schreibt das Blatt. «Nie war es billiger, Geld aufzunehmen. (...) Die Gründe, dieses Geld auch langfristig zu borgen und die zerfallende Infrastruktur und Gebäude zu erneuern, waren noch nie überzeugender.»
Die Zentralbanker haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass der Patient Weltwirtschaft überlebt hat. Für die Reha ist nun jedoch die Politik zuständig, denn selbst «Helikopter-Geld» könnte allenfalls eine verzweifelte Notmassnahme sein, um den Exitus zu verhindern. Auch die rekordtiefen Zinsen waren ursprünglich nicht für die Ewigkeit gedacht. Doch es zeigt sich nun, dass der Ausstieg sehr viel schwerer fällt als gedacht. Niemand rechnet heute damit, dass die Fed nach einer zögerlichen Zinserhöhung von 0,25 Prozent noch weiter an der Zinsschraube drehen wird.
Deshalb muss jetzt die Politik aktiv werden. Eine «säkulare Stagnation» ist kein Kindergeburtstag, sondern birgt grosse politische Gefahren. «Fallende Märkte und stagnierende Volkswirtschaften stärken die Populisten, das zeigt sich nach der Krise 2007-08», schreibt der «Economist». «Populisten haben ihre eigenen Rezepte für die Lösung von wirtschaftlichen Problemen, darunter protektionistische Zölle, willkürliche Steuern, Verstaatlichung und noch andere ruinöse Vorhaben.»