Zuerst Dinge kaufen und erst später darüber entscheiden, ob man sie auch bezahlen will – für Otto Normalverbraucher ist das keine gute Idee. Der Termin auf dem Betreibungsamt wäre so sicher wie das Amen in der Kirche. In der US-Politik ist diese Praxis jedoch gang und gäbe. Die Regierung gibt Geld aus, und das Abgeordnetenhaus entscheidet erst danach, ob dies auch rechtens war. In periodischen Abständen segnen die Repräsentanten die Schulden-Obergrenze ab und unterschreiben so den Scheck für getätigte Ausgaben der Regierung.
Die Schulden-Obergrenze ist mehr als ein etwas merkwürdiger Brauch der US-Politik. Sie kann brandgefährliche Folgen haben, vor allem, wenn die Opposition die Mehrheit im Abgeordnetenhaus besitzt. Dann kann sie die Regierung in Geiselhaft nehmen und weltweit die Wirtschaft und die Finanzmärkte ins Elend reiten. Genau dies wollen die Chaoten der Grand Old Party (GOP) tun. Aber der Reihe nach.
Die amerikanischen Staatsanleihen, Treasury Bonds (T-Bonds) genannt, sind das Schmiermittel der internationalen Finanzmärkte. Da die USA noch immer ihre Schulden beglichen haben, sind die T-Bonds so sicher wie Gold oder der Schweizer Franken, nur gibt es weit mehr davon. Sollten diese Schulden jedoch nicht mehr bedient werden, dann bricht Chaos auf den Finanzmärkten aus und die reale Wirtschaft gerät in grösste Schwierigkeiten – und zwar weltweit. Denn der Dollar ist nach wie vor die globale Leitwährung und die amerikanische Volkswirtschaft ist immer noch die grösste.
So gesehen ist das Verweigern der Anhebung der Schulden-Obergrenze eine äusserst wirksame Waffe derjenigen Partei, welche die Mehrheit im Abgeordnetenhaus innehat. Das ist derzeit die GOP, auch wenn ihre Mehrheit nur hauchdünn ist. Da die Demokraten den Senat und das Weisse Haus kontrollieren, ist die Schulden-Obergrenze für die Republikaner auch die einzig wirksame Waffe. Sie können im Abgeordnetenhaus Gesetze beschliessen, bis sie blau im Gesicht sind. Der Senat muss darauf nicht eingehen, und der Präsident kann notfalls sein Veto dagegen einlegen.
Finanzministerin Janet Yellen hat nun darauf hingewiesen, dass die USA bereits morgen den Punkt erreichen werden, an dem die Schulden-Obergrenze wieder einmal angehoben werden muss. Mit ein paar Tricks kann sie zwar dafür sorgen, dass die Schulden bis zum Juni noch bedient werden. Wird bis dahin jedoch keine Einigung im Abgeordnetenhaus erzielt, dann ist Ende Feuer, dann wird das Undenkbare nicht nur denkbar, sondern Tatsache.
Die Gefahr, dass die Republikaner die finanzielle Atombombe tatsächlich zünden wollen, ist real. Speaker Kevin McCarthy, ihr Anführer im Repräsentantenhaus, konnte sein Amt bekanntlich erst nach 15 Wahlgängen antreten. Zuvor musste er weitgehende Zusagen an den äussersten rechten Flügel der GOP machen, den sogenannten Freedom Caucus.
In dieser Gruppe versammeln sich chaotische Nihilisten wie Matt Gaetz oder Lauren Boebert und libertäre Überzeugungstäter wie Roy Chips. Beide Gruppen wollen eine zweite Amtszeit von Präsident Joe Biden oder einem anderen Demokraten um jeden Preis verhindern und nehmen auch schwerste wirtschaftliche Folgen in Kauf. Umso erschreckender ist die Tatsache, dass ihnen Speaker McCarthy anscheinend bereits zugesichert hat, dass er ihrem Willen folgen will.
Der aktuelle Kampf um die Schulden-Obergrenze ist die Fortsetzung eines Films, der bereits vor zwölf Jahren über die Leinwände geflimmert ist. Im Zuge der Tea Party eroberten die Republikaner damals eine bedeutende Mehrheit im Abgeordnetenhaus und zwangen Barack Obama zu wirtschaftlich unsinnigen Sparmassnahmen. Mit einem von der GOP erpressten Programm wurden 2011 die Ausgaben für Sozialprogramme und auch das Militär gekürzt. Die Folgen waren unerfreulich: Die amerikanische Wirtschaft erholte sich weit langsamer von der durch die Finanzkrise hervorgerufenen Rezession. Das US-Militär wurde massiv geschwächt.
Aktuell ist die Lage noch weit dramatischer. «Es gibt keinen vernünftigen Plan», sagt Jack Lew, ein ehemaliger hoher Beamter des Finanzministeriums in der «New York Times». «Es ist weit gefährlicher als je zuvor.»
Die Republikaner spielen nicht nur mit dem Feuer, sie sind auch Heuchler der übelsten Sorte. Sie können zwar darauf hinweisen, dass die Staatsschulden der USA mittlerweile die 30-Billionen-Dollar-Grenze deutlich überschritten und rund 100 Prozent des Bruttoinlandprodukts erreicht haben. Was sie jedoch tunlichst verschweigen, ist die Tatsache, dass Donald Trump massgeblich zu diesem Schuldenberg beigetragen hat. Dessen Steuergeschenke an die Superreichen haben rund zwei Billionen Dollar zum aktuellen Defizit beigetragen. Insgesamt hat sich das Staatsdefizit in Trumps Amtszeit um 4,7 Billionen Dollar erhöht, die Corona-Nothilfe nicht mit einberechnet.
Trumps Schulden-Orgie war bei der GOP nie ein Thema, die Schulden-Obergrenze wurde jeweils diskussionslos angehoben.
Das Weisse Haus hat bereits mitgeteilt, dass es auf keinen Fall auf die Erpressung der Republikaner eingehen werde. Es würden weder Sozialprogramme noch Militärausgaben gekürzt, heisst es. Ebenso werde an der Aufstockung der Steuerbehörde festgehalten. Was aber können Biden & Co. unternehmen, um die finanzielle Atombombe zu entschärfen?
Wie erwähnt, kann das Finanzdepartement mit Notmassnahmen zumindest eine Zeit lang einen Schuldenausfall verhindern. Erwogen wird ebenfalls eine Abstufung nach Relevanz der Schulden. Auch ein Vorschlag, wonach die Notenbank die T-Bonds aufkauft, deren Zinsen nicht mehr bedient werden, wird diskutiert. Das würde allerdings das Ende der unabhängigen Zentralbank bedeuten.
Immer wieder taucht auch die Eine-Billion-Dollar-Münze in der Diskussion auf. Theoretisch kann das Finanzministerium eine solche Münze kreieren, sie bei der Notenbank als Sicherheit hinterlegen und mit dem Kredit, den sie erhält, die Schulden bedienen. In der Praxis hat das Weisse Haus diese Option jedoch schon mehrmals ausgeschlossen.
Demokraten und die Regierung setzen vielmehr darauf, dass ein Teil der gemässigten Republikaner zur Vernunft kommt und einlenkt. Wenn nämlich die Schecks für die Altersrente und die medizinische Versorgung ausbleiben, wenn der grösste Teil der Verwaltung geschlossen werden muss, weil die Löhne nicht mehr bezahlt werden können, dann finden dies die meisten Amerikaner, selbst die Wähler der GOP, nicht mehr lustig.
Im Ukraine-Krieg droht Wladimir Putin mit einer realen Atombombe. Die Republikaner erpressen die Biden-Regierung mit einer finanziellen Atombombe. Beides ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch eine echte Gefahr. Sollten die USA zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht mehr in der Lage sein, ihre Schulden zu begleichen, dann hätte dies unabsehbare Folgen. Oder wie es Bill Dudley, der ehemalige Präsident der Federal Reserve Bank of New York, ausdrückt: «Man kann Humpty Dumpty (die Eierköpfe aus ‹Alice in Wonderland›) nicht mehr zusammensetzen, wenn man seine Schulden nicht mehr bedient.»
Die GOP arbeitet derweil kräftig daran mit, dass sich das zügig ändert.
Das war Trumps erste Amtshandlung. Das hart arbeitende Volk hemmungslos über den Tisch ziehen. Mit Steuergeschenken an die Reichen und Abzocker. Auf Kosten des hart arbeitenden Volkes.
Trump ist Rechtspopulist.
What else.