Seit knapp einem halben Jahrhundert zischt und spritzt es beim Drehen: Die PET-Plastikflasche wird im kommenden Jahr 50. Doch die einstige Allzweckwaffe der Getränkeindustrie hat sich längst zu ihrem grössten Imageproblem entwickelt. Einer der Marktführer hat besonders mit schlechter Presse und steigendem Druck aus Politik und Gesellschaft zu kämpfen.
Obwohl der Coca-Cola -Konzern mit seinen Softdrink- und Wassermarken von Coke über Apollinaris bis Capri-Sonne weniger Umsatz macht als die Konkurrenz von Pepsi, scheint das globale Plastikproblem vor allem ein rot-weisses zu sein.
Das vierte Jahr in Folge krönte die Initiative «Break Free From Plastic» den Brause-Produzenten 2021 zum schlimmsten Plastikverschmutzer weltweit. Ein Blick an die Küsten der Erde zeigt, was das konkret bedeutet.
An Stränden in 45 Ländern fanden Freiwillige der Initiative insgesamt rund 330'500 einzelne Stücke Plastikmüll: 20'000 davon stammten von Flaschen und Deckeln aus dem Coca-Cola-Sortiment – mehr als von Pepsi, Unilever und Nestlé zusammen. Und auch bei der Verstreuung des Mülls heimste der Cola-Konzern den Negativrekord zum wiederholten Mal ein: An die Küsten von 39 Ländern schaffte es kein anderer Hersteller.
Doch was an den Ufern angespült wird, ist nur eine Stichprobe der Müllmassen, die in den Ozeanen treiben. Schon jetzt schwimmen dort bis zu 199 Millionen Tonnen Plastikteile – 99 Prozent davon unterhalb der Wasseroberfläche, wo sie zahlreichen Meerestieren zum Verhängnis werden.
Plastikmüll als Gefahr: Im Gegensatz zu Papiermüll oder Essensresten wird Kunststoffabfall nicht zersetzt, sondern bröckelt auseinander. Aus grossen Plastikstücken werden kleine – auch im Meer, wo Schildkröten, Fische und Krebse diese häufig mit ihrer natürlichen Nahrung verwechseln. Für viele Meerestiere ein Irrtum, der sie mit plastikgefüllten Mägen verhungern lässt, ihren Verdauungstrakt beschädigt oder sie beim Schwimmen behindert. Dazu kommen jährlich rund eine Million verendeter Seevögel, die Plastikteile gefressen oder sich darin verheddert haben. Und auch der Mensch bleibt nicht verschont: Studien zeigen, dass bis zu einem Drittel der für den Verzehr gefangenen Fische mit Plastik kontaminiert sind. Sind die Krümel zu klein, um sie mit blossem Auge zu erkennen, landen sie samt Fischfilet auf dem Tisch und im Magen. Die winzigsten Partikel können sogar in Körperzellen eindringen. Welche gesundheitlichen Folgen das haben kann, ist noch kaum erforscht; einige Experten, darunter die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, zeigen sich jedoch besorgt.
Jährlich kommen aktuell rund 14 Millionen Tonnen neue Plastikabfälle hinzu. Das entspricht mindestens zwei Müllautos pro Minute, rechnet die Meeresschutzorganisation Oceana vor. Zwar planen die Vereinten Nationen verbindliche Ziele im Kampf gegen die Plastikflut, doch noch schwillt sie stetig weiter an.
Bereits 2050 könnte die Menge an Kunststoffmüll in den Meeren dem Gewicht nach grösser sein als die der Fische. Ein Hauptgrund: Obwohl es in vielen Regionen kaum funktionierendes Abfallmanagement – geschweige denn Pfandsysteme – gibt, werden immer mehr Plastikprodukte produziert. Auch bei Coca-Cola.
Der amerikanische Getränkeriese bringt im Jahr global drei Millionen Tonnen Kunststoffverpackungen in Umlauf. Das entspricht rund 200'000 neuen Plastikflaschen pro Minute. Das Nachhaltigkeitsmotto des Konzerns lautet dennoch: «Eine Welt ohne Müll».
Vor vier Jahren rief Cola-Konzernchef James Quincey dieses Ziel aus und verpflichtete damit nicht nur die eigene Firma, sondern auch Konkurrenz und Verbraucher. Die konkreten Schritte im eigenen Haus sind allerdings weniger ambitioniert, als der Slogan vermuten lässt.
Ab 2030 will das Unternehmen für jede verkaufte Flasche eine zurücknehmen, um sie zu recyceln. Was engagiert klingt, scheint in Europa allerdings vor allem auf einen Zwang durch den Gesetzgeber zurückzugehen.
So schreibt die EU vor, dass ab 2029 ohnehin mindestens 90 Prozent aller Plastikflaschen wieder zurückgenommen werden müssen. In Deutschland ist das laut Auskunft von Coca-Cola längst geschafft; hier kämen 97 Prozent der eigenen Flaschen zurück, die meisten sogar mit Deckel.
Damit es noch mehr werden, druckt der Konzern europaweit seit einigen Monaten «Lass mich dran» auf die jüngste Generation seiner Getränkedeckel. Mithilfe eines dünnen Plastikstegs sollen diese nun beim Trinken am Flaschenhals bleiben. Auch dies ist eine Reaktion auf Vorgaben der EU, die lose Kunststoffdeckel ab Mitte 2024 verbietet.
In anderen europäischen Ländern ist der Recycling-Herausforderung für Plastikflaschen aber weiterhin gewaltig. Weniger als die Hälfte der EU-Staaten haben überhaupt Pfandsysteme, das Gros leerer Kunststofflaschen landet in der Müllverbrennung, in der Hecke – oder über Umwege im Meer.
Ausserhalb Europas stellt sich die Recycling -Lage noch düsterer dar. Im globalen Durchschnitt sieht der Konzern nur einen geringen Anteil seiner Flaschen wieder. Für Coca-Cola ist das ein Problem.
Denn das zweite grosse Nachhaltigkeitsversprechen des Unternehmens gilt den Inhaltsstoffen seiner Plastikflaschen: Ab soll 2030 jede neue Flasche mindestens zur Hälfte aus recyceltem Plastik hergestellt werden. Doch dieser Plan lässt sich nur dann umsetzen, wenn weltweit genug Coca-Cola-Flaschen wieder beim Hersteller landen – und überhaupt recyclingfähig sind. Danach sieht es aktuell nicht aus.
Während Coca-Cola in Europa zwar ab 2025 nur noch Verpackungen nutzen will, die sich recyceln lassen, peilt der Konzern global vorerst nur an, ein Viertel der eigenen Plastikprodukte recyclingfähig zu gestalten. Und das auch erst ab 2030. Hinzu kommt: Es dürfte zu wenige Pfandsysteme geben, um genügend Flaschen fürs Recycling zurückzubekommen. Eine Zwickmühle, in die sich der Coca-Cola-Konzern wohl selbst hineinmanövriert hat.
Über Jahrzehnte hat das Unternehmen viel Geld und Mühe investiert, um verpflichtende Pfandsysteme in zahlreichen Staaten zu verhindern – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Noch vor Kurzem war das auch in Europa die inoffizielle Strategie.
Ein Jahr, bevor der CEO seine Vision einer «Welt ohne Müll“ verkünden würde, tauchte ein internes Dokument aus dem Brüsseler EU-Büro von Coca-Cola auf: »Fight back", so die Anweisung für die Konzernlobbyisten – mit höchster Priorität zurückschlagen. Wogegen? Eine absehbare Einführung von Pfandsystemen in allen Mitgliedsstaaten. Für die EU-Pläne zu höheren Rücknahme- und Recyclinganteilen sowie Mindestmengen für Mehrwertflaschen galt dieselbe Strategie.
Das Strategiepapier stammte aus 2015 und sorgte, als es 2017 auftauchte, erwartungsgemäss für Furore. Coca-Cola beharrte damals darauf, das Dokument reflektiere längst nicht mehr die politische Ausrichtung des Konzerns.
Zwei Jahre später, 2019, zeigte eine geleakte Tonaufnahme aus der US-Stadt Atlanta, wie die Vertreterin eines Recyclingpartners von Coca-Cola im Namen des Getränkeherstellers erfolgreich ein Pfandsystem für die US-amerikanische Stadt abwehrte. Recycling ja, aber nicht über einen Preisaufschlag auf die Flaschen.
«Pfandsysteme erfordern den Aufbau einer Rücknahmeinfrastruktur im Handel», erklärt Thomas Fischer , Leiter des Bereichs Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthife. Darauf hätten viele grosse Abfüller keine Lust. Von Coca-Cola heisst es auf Anfrage: «Wir haben stets versucht, die Einführung von Sammelsysteme dort zu unterstützen, wo es Sinn macht.»
Fischer will das nicht gelten lassen. «Am liebsten wollen sie gar keine Verantwortung für die von ihnen verkauften Getränkeverpackungen übernehmen», so Fischer. Wo Coca-Cola sich inzwischen für Pfandsysteme ausspreche, seien diese ohnehin durch Gesetze vorgeschrieben oder unumgänglich.
In Ländern, in denen der gesetzliche Druck fehle, bleibe nicht viel übrig von den Versprechungen, sagt Fischer. Dabei war es der Brause-Konzern selbst, der die Pfandidee einst in Amerika etablierte.
Für eine Cola in der Glasflasche mussten durstige Amerikaner die Hälfte des Getränkepreises als Pfand obendrauf zahlen. 96 Prozent der Flaschen kamen so schon 1948 zum Befüller zurück. Mit dem Wechsel zu günstigeren Plastikflaschen in den 50er Jahren wickelte das Unternehmen sein erfolgreiches System wieder ab.
Die Behälter hatten für Coca-Cola keinen wirtschaftlichen Wert mehr für den Hersteller. Die Erfindung der PET-Flasche Anfang der 70er sollte das zunehmende Müllproblem eskalieren lassen. Doch der Konzern suchte die Verantwortung dafür bei den Verbrauchern.
In Fernsehspots aus der Zeit verglich die von Coca-Cola mitfinanzierte Organisation «Keep America Beautiful» die Amerikanerinnen und Amerikaner mit Schweinen und liess angesichts wachsender Müllberge einem indigenen Mann eine stumme Träne über die Wange laufen.
Gleichzeitig arbeiteten Lobbyisten des Getränkeherstellers in den USA gegen Umweltschutzgesetze und neuerliche Pfandsysteme. Jahrzehnte später sollten die fehlenden Rücknahmesysteme Coca-Cola selbst wiederholt ins Stolpern bringen. Und scheinen dies bis heute zu tun.
Anfang der 1990er machte Coca-Cola eine ähnlich bombastische Ankündigung wie die einer «Welt ohne Müll»: Die eigenen Plastikflaschen sollten bis Ende des Jahrzehnts zu einem Viertel aus recyceltem Material bestehen. 1991 brachte Coca-Cola tatsächlich in einigen Märkten solche Flaschen in den Handel – drei Jahre später war wieder Schluss. Aus Kostengründen, so das Unternehmen.
Auch nachfolgende Recyclingversprechen waren nicht einzuhalten: Statt 10 Prozent Recyclinganteil in jeder US-Flasche bis zum Jahr 2005 brachte man es nur auf 4 Prozent. Die nächste Zusage aus dem Jahr 2008, man wolle nun bis 2015 die 25 Prozent knacken, wurde ebenfalls nicht eingelöst: Drei Jahre nach dem auserkorenen Zieljahr lag der Anteil bei 9 Prozent. Die Vermutung liegt nah, dass Coca-Cola mangels Pfandsystemen nicht ausreichend eigene Flaschen zurückbekam.
Ohne ausreichend eigenes Recyclinggranulat hätte das Unternehmen vergleichbares Material extern besorgen müssen. Die hohe Nachfrage nach recyceltem Rohplastik aus verschiedenen Branchen und das geringe Angebot machen solche Einkaufstouren aber sehr teuer.
Auch die grösste Flaschenrecyclinganlage der Welt, die sich Coca-Cola 2009 im US-Staat South Carolina bauen liess, schuf keine Abhilfe: Zwei Jahre nach ihrer Eröffnung musste die Fabrik zeitweise stillgelegt werden. Es fehlte das Wichtigste: die Flaschen.
Einweg, Mehrweg, Irrweg? Einst waren Glasflaschen zum Wiederbefüllen die Norm, heute dominieren Einwegflaschen aus Plastik. Global lag der Anteil wiederbefüllbarer Flaschen am Absatz von Coca-Cola zuletzt bei weniger als 25 Prozent - diese Marke will das Unternehmen im Jahr 2030 zwar wieder knacken. Doch im Umkehrschluss bedeutet das: Drei Viertel der jährlich verkauften 121 Milliarden Flaschen des Unternehmens sind nicht wiederbefüllbare Einwegflaschen aus Plastik. Statt zurück in die Abfüllanlagen, wo sie gesäubert und wiederverwendet werden, wird daraus im besten Fall Plastikgranulat für neue Flaschen. Viele schaffen es aber nicht zurück in den Wertstoffkreislauf und enden in Müllverbrennungsanlagen oder in der Natur.
In jüngster Zeit setzt Coca-Cola sich zumindest in einigen Ländern aktiv für die Einführung von Pfandsystemen ein, zuletzt unter anderem in den Niederlanden und in Grossbritannien. Sei es wegen steigenden Drucks aus Gesellschaft und Politik, wie Thomas Fischer vermutet, oder wegen des Mangels an Recyclingmaterial.
Erst vor wenigen Tagen veröffentlichten zwei Schweizer Wissenschaftler allerdings eine Studie, die den aktuellsten Nachhaltigkeitsplänen von Coca-Cola einen herben Dämpfer verpassen dürfte. Catharina Bening und Sebastian Kahlert von der ETH Zürich stellen darin fest: Selbst im recht pfandfreundlichen Europa ist bei Weitem nicht genug Rezyklat verfügbar, um die Versprechen der grössten Plastikproduzenten zu erfüllen.
Neben den Zusagen von Coca-Cola haben sie dafür unter anderem auch die Nachhaltigkeitsstrategien von Adidas , Ikea und H&M zugrunde gelegt. Die Studie zeigt: Um die Ziele aller ausgewerteten Unternehmen bis 2025 zu erreichen, müsste die Herstellung von recyceltem Plastikgranulat um mehr als die Hälfte gesteigert werden. «Allein durch Beschwörungen kriegt man kein Plastik recycelt», mahnen die Forscher.
Doch auch wenn der Coca-Cola-Konzern es erstmals schaffen sollte, seine Vorhaben beim Recycling von Einwegplastikflaschen umzusetzen: Den Greenwashing-Vorwurf kann das Unternehmen nicht abschütteln.
«Recycling ist gut, Abfallvermeidung durch Wiederverwendung ist besser», sagt Thomas Fischer, Leiter des Bereichs Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe. Dass Coca-Cola den Fokus weiterhin auf Einwegplastikflaschen legt, sieht er kritisch.
«Der Energieaufwand für die ständige Neuproduktion von Einwegplastikflaschen ist hoch und bei jedem Recyclingvorgang geht Material verloren, das mit Neumaterial ersetzt werden muss. Einen unendlichen Recyclingkreislauf gibt es nicht», so Fischer.
Dass der Getränkehersteller dennoch Einwegplastik priorisiere und weiterhin Mehrweglösungen ausbremse, zeigt laut Fischer, wie durchsichtig die Nachhaltigkeitsversprechen der Firma tatsächlich sind.
«Coca-Cola ist nach wie vor das Problem und weit weg von einer wirklichen Lösung.» Wenn das Unternehmen es mit Abfallvermeidung ernst meine, müsse es regionale Abfüllanlagen und Mehrwegflaschen mit Pfand zum Standard machen.
Ein lohnender Vorschlag also, angesichts der kaum erreichbar scheinenden Recyclingziele? Nein, hiess es von Coca-Colas Nachhaltigkeitschefin Bea Perez schon 2020 auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos. Denn die Verbraucher wünschten sich weiterhin Plastikflaschen, eine Präferenz, der man sich beugen müsse: «Als Konzerne überleben wir nicht, wenn wir den Verbrauchern nicht entgegenkommen», so Perez damals.
Stefan Kunerth, Technischer Leiter bei Coca-Cola Westeuropa gibt zu bedenken, dass die Konzepte von Einweg- und Mehrwegplastik inzwischen auch überholt sein könnten. «Recycelbare PET-Flaschen sind einfach keine Einwegflaschen mehr, wenn wir sie mehrfach im Kreislauf führen», findet er. Ausserdem sei man dabei, jede Verpackung ökologisch zu optimieren.
Letztlich verweist aber auch Kunerth auf die Verbraucher. «Der Konsument entscheidet selbst, was für seinen Bedarf die geeignete Verpackung ist.» Der Kunde ist König. Und Coca-Cola 2022 möglicherweise zum fünften Jahr in Folge der grösste Plastikverschmutzer der Welt.
Verwendete Quellen: