Über den Wolken mag die Freiheit grenzenlos sein. Doch in Zeiten Coronas ist es zurzeit nur schon ein grosses Unterfangen, in diese Sphären zu gelangen. Die zahlreichen, international unterschiedlichen Einreisebestimmungen haben die Luftfahrt mehrheitlich gegroundet. Umso mehr ruhen die Hoffnungen der Airlines auf einheitlichen Reise-Regeln – mithilfe eines Corona-Passes, der die Quarantäne überflüssig machen soll.
Der Aviatik-Branchenverband IATA hat deshalb vor einigen Monaten eine digitale Handy-App namens «Travel Pass» entwickelt. Dieser soll den Passagieren helfen, ihre Covid-Testresultate oder ihre Impfungen digital abzuspeichern und zu offizialisieren, damit diese international anerkannt werden. Das Projekt hat Gewicht: Die IATA repräsentiert 290 Airlines aus 177 Ländern.
Nun kommt der «Travel Pass» erstmals am Flughafen Zürich zur Anwendung. Dies hat die Fluggesellschaft Air Serbia in einem Communiqué verkündet. Ab April soll der «Travel Pass» während mehreren Wochen auf Flügen zwischen Zürich und Belgrad eingesetzt werden.
Der Flughafen Zürich bestätigt auf Anfrage von CH Media, Kenntnis vom Pilotprojekt zu haben. Zuständig dafür sei aber die Airline. Auch die Kantonspolizei Zürich, welche die herkömmliche Passkontrolle am Flughafen durchführt, verweist auf die Verantwortung der Fluggesellschaften, die Einhaltung der jeweiligen Covid-Einreisebestimmungen bei den Passagieren zu kontrollieren.
Für Zürich-Flüge hat bisher nur Air Serbia konkrete Tests für den «Travel Pass» angekündigt. Nebst ihr haben 13 andere Airlines vor, die App der IATA auf internationalen Flügen zu testen, darunter auch Emirates, Air New Zealand und Singapore Airlines.
Doch so einfach ist das Ganze nicht. Einerseits sind die Impf-Ausweise weltweit unterschiedlich: Es sind Plastikkarten, digitale Ausweise oder klassische «Impfbüechli» aus Papier. Auch muss das Sprachenproblem gelöst werden. Wie lässt sich die App global standardisieren, so dass der Covid-Kontrolleur in Singapur das Corona-Testresultat der Apotheke in Herisau AR versteht und akzeptiert?
Kommt hinzu, dass die IATA mit ihren Pass-Plänen nicht allein ist. Derzeit gibt es ein Potpourri an ähnlichen Lösungen, teils aus der Privatwirtschaft wie der «Travel Pass», teils von offiziellen Behörden wie der Europäischen Union. Sie wird am Mittwoch über ihren eigenen «Digital Green Pass» informieren.
Israel, das zu den Spitzenreitern beim Impfen gehört, hat bereits einen solchen «Green Pass» lanciert, der den Inhabern davon Zugang zu Fitnesscentren, Konzerten und Restaurants ermöglicht. Dänemark hat ähnliche Pläne. Und China hat bereits einen Impf-Reisepass für die eigene Bevölkerung im Angebot, der eine digitale Gesichtserkennung voraussetzt.
Die Swiss als Teil der Lufthansa-Gruppe hat im Herbst angekündigt, auf den «Commonpass» zu setzen (diese Zeitung berichtete). Dieser wurde von der Non-Profit-Organisation «The Commons Project» und dem Weltwirtschaftsforum (WEF) entwickelt, welche beide ihren Sitz in Genf haben. Laut der «Times» könnte der «Commonpass» auch den Einlass zu Hotels, Konzerten und Sportveranstaltungen vereinfachen. Ein Swiss-Sprecher sagt, dass man in Kürze auch den «Travel Pass» der Iata testen werde.
Die unübersichtliche Situation überfordert viele. So sagt ein Sprecher der Schweizer Regionalfluggesellschaft Helvetic Airways, dass man wegen der fehlenden Übersichtlichkeit derzeit keine konkrete Lösung prüfe. Die verschiedenen privaten und staatlichen Lösungen würden die Komplexität zusätzlich erhöhen. «Das ist genau das Gegenteil des eigentlichen Ziels», sagt der Sprecher. Es brauche dringend einen Konsens auf globaler Ebene. Doch zeichne sich ab, dass es letztendlich mehrere Lösungen geben werde. Auch sei unklar, welche Haltung der Bund einnehme.
Beim Bundesamt für Gesundheit heisst es, zurzeit würden «intensive Abklärungen» laufen. Der Bund wolle evaluieren, welche technische Lösung für einen anerkannten und fälschungssicheren Impfnachweis erfolgsversprechend ist. Und es gehe darum, welche gesetzlichen Grundlagen für eine allfällige Datenbearbeitung notwendig sind. Zudem sei nach wie vor unklar, inwiefern eine Impfung eine Weiterverbreitung des Virus verhindere.
Was Swiss und Co. hingegen nicht gefallen dürfte, ist die Tatsache, dass der Bund den «Travel Pass» der IATA und den «Commonpass», auf welche die Swiss setzt, offenbar nicht berücksichtigt. Eine BAG-Sprecherin sagt, man prüfe derzeit den «Green Pass» der EU sowie das so genannte «Smart Vaccination Certificate» der Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese beiden Projekte begleite man «sehr nah» und man beteilige sich am Expertenaustausch, sagt eine BAG-Sprecherin.
Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes prophezeit ein skurriles Bild im Sommer: Die impfstarken Amerikaner und Briten könnten dann ihre Ferien in Südeuropa geniessen, während die impflangsamen Europäer zu Hause bleiben müssen. Die Impfprivilegien würden dann an Flughäfen deutlich sichtbar. In Ländern wie Spanien und Griechenland wird bereits jetzt über so genannte «green lanes» diskutiert, also grüne Warteschlangen für Geimpfte, während Passagiere ohne Covid-Pass an der deutlich langsameren Schlange anstehen müssten, wo genauere Checks nötig sind. Sie würden zu Reisenden zweiter Klasse.
Fragt sich, wie die gesellschaftlichen Implikationen akzeptiert werden. Sind die digitalen Gesundheitspässe nur eine temporäre Lösung? Wie sicher sind die persönlichen Daten, die von privaten Airlines verifiziert werden? Was ist mit ärmeren Ländern und Passagieren, die noch Jahre auf ihre Impfdosen warten müssen? Was ist mit Personen, die kein Handy haben? Und wie resistent sind die digitalen Pässe gegenüber Fälschungen?
Klar ist, dass die Fluggesellschaften schon vor der Beantwortung dieser Fragen Fakten schaffen möchten. Denn für sie geht es ohne Übertreibung spätestens im Sommer nur noch um eins: Ihr Überleben.
(bzbasel.ch)