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Karl Bürkli: Der Sozialist vom Paradeplatz

Herr Bürkli vor dem Bürkliplatz.
Bild: watson/keystone

Der Sozialist vom Paradeplatz – wie Karl Bürkli die Schweiz geprägt hat

Der Zürcher Patriziersohn Karl Bürkli hat im 19. Jahrhundert den Konsumverein und die Kantonalbank mitbegründet. Er hat die direkte Demokratie massgebend beeinflusst. Der Historiker Urs Hafner zeichnet sein Leben nach.
23.07.2023, 17:22
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Der Bürkliplatz ist einer der bekanntesten Orte von Zürich. Seinen Namen hat er vom legendären Stadtarchitekten Arnold Bürkli. Dessen Cousin Karl Bürkli hingegen kennt heute kaum noch jemand. Zu Unrecht. In seinem Buch «Der Sozialist vom Paradeplatz» zeichnet der Historiker und Journalist Urs Hafner das Leben eines Mannes nach, der gescheit, streitsüchtig und witzig war – und heute noch aktuell ist.

In Paris entdeckt Bürkli ein neues Leben

Die Bürklis waren im 19. Jahrhundert eine bedeutende Zürcher Patrizierfamilie. Ihre Villa stand dort, wo heute der Paradeplatz ist. Damals war er noch eine grosse Wiese und hiess Tiefenhof. Karls Vater George war nicht nur ein erfolgreicher Seidenhändler, er war auch ein überzeugter Konservativer. Karl hingegen war ein Querulant. Als Teenager schmiss er das Gymnasium und machte eine Lehre als Gerber. Später reiste er nach Paris – und entdeckte dort eine neue Welt. Genauer: Er wurde mit dem Gedankengut von Charles Fourier vertraut.

Fourier war ein Fantast und ein Sozialist. Er schwärmte von einer gerechten Gesellschaft ohne Unterdrückung, in der die Geschlechter gleichberechtigt und in Luxus leben. Wo die Liebe frei und die Ehe ein alter Zopf geworden ist. Verwirklicht sollte dieser Traum in einem Experiment werden, das er «Phalansterium» nannte. Einem Experiment für eine solche ideale Gesellschaft sollte sich Bürkli später in Texas anschliessen. Zunächst kehrte er jedoch nach Zürich zurück.

An der Limmat ist zu dieser Zeit viel los. Alfred Escher und die Liberalen stellen die alte Weltordnung auf den Kopf. Karl Bürkli ist zwar froh, dass das Ancien Régime zu Grab getragen wird. Mit den Liberalen und den Kapitalisten kann er sich jedoch ebenfalls nicht anfreunden. Zusammen mit dem Lehrer und Sozialisten Johann Jakob Treichler gründet er den Konsumverein, der für billige Lebensmittel für die Arbeiter und grosse Aufregung bei den Bürgerlichen sorgt. Dem Konsumverein sollte ein langes Leben beschieden sein. Erst in den Neunzigerjahren ist er von Coop übernommen worden.

Alfred Escher (1819-1882).
Alfred Escher war Bürklis grosser Gegenspieler.Bild: Alfred-Escher-Stiftung

«Der Konsumverein ist mehr als ein Club für Sparer und Rabatte, er ist nichts weniger als Karls erster Versuch, Fouriers Utopie in ihren Grundzügen zu verwirklichen», schreibt Hafner. So erfolgreich dieser erster Versuch war, so katastrophal endete der zweite. Karl Bürkli machte sich nämlich 1855 zu einer Reise nach Texas auf. Dort hatte Victor Considerant, der wichtigste Schüler des verstorbenen Fourier, damit begonnen, ein «Phalansterium» im Sinne des Meisters zu errichten.

Die angestrebte sozialistische Utopie endete in einem Desaster. Bürkli reiste enttäuscht ab, zunächst nach Nicaragua, wo er sich für kurze Zeit dem zwielichtigen Freibeuter William Walker anschloss. Rechtzeitig konnte er sich jedoch absetzen und nach New York flüchten. Als er von Treichler aufgefordert wurde, wieder beim Konsumverein aktiv zu werden, kehrte er reumütig nach Zürich zurück.

Neben dem Konsumverein betrieb Bürkli im Niederdorf eine erfolgreiche Beiz. Bald wurde er auch politisch wieder aktiv. Er wurde in den Kantonsrat gewählt und stellte dort die Weichen für eine Reform, die heute das Merkmal unseres politischen Systems geworden ist: die direkte Demokratie.

1869 werden Volksinitiative und Referendum auf Betreiben Bürklis in Zürich eingeführt, 1874 und 1891 werden sie nach Zürcher Vorbild in die Bundesverfassung aufgenommen. «Mit Fug und Recht kann man sagen: Die direkte Demokratie der Schweiz verdankt sich dem französischen Sozialismus, den Bürkli studiert und in die Praxis umgesetzt hat», schreibt Hafner in einem Gastbeitrag in der «NZZ».

Bürkli wollte ein leidenschaftliches Leben

Bürkli war zwar ein Verfechter eines leidenschaftlichen Lebens. Seine eigene Leidenschaft war jedoch nie sexueller Natur. Er hat sich anscheinend weder für Frauen noch für Männer interessiert. Seine Leidenschaft galt der Politik und dem Bestreben, das Leben der Arbeiter zu verbessern. Daher hat er sich später bei der Gründung für die Zürcher Kantonalbank engagiert. Ebenso machte er sich für die Einführung eines Proporzsystems stark, das später auch eingeführt wurde, allerdings nicht in der Form, für die Bürkli plädiert hatte.

In der internationalen sozialistischen Szene war Bürkli bestens vernetzt, und dies, obwohl er zwar äusserlich wie Karl Marx aussah, diesen jedoch nicht mochte. Auch den Anarchisten Bakunin, den grossen Gegenspieler von Marx, lehnte er ab. Gerade deswegen ist er heute wieder aktuell. «Sein (Bürklis) Sozialismus hat das 20. Jahrhundert überlebt», stellt Hafner fest, «weder erlag er der totalitären Versuchung, wie der Sowjetkommunismus, noch liess er sich, wie die Sozialdemokratie, vom Kapitalismus vereinnahmen.»

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quelle: schweizerisches nationalmuseum
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51 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ELMatador
23.07.2023 22:16registriert Februar 2020
Wenn die SVP wüsste, dass eines ihrer Lieblingswerkzeuge (Initiative/Referenden) von einem Sozi kamen. Vielleicht würden sie dann mit den inflationären Verwendungen stoppen und wir würden keine vierte Durchsetzungsinitiative zum vierten Corona-Referendum bekommen.
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FrancoL
23.07.2023 19:14registriert November 2015
Eine Vergangenheit die prägender war als die Neuzeit.
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51
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