In der Diplomatie ist das internationale Recht meist auf der Seite der Kleinen. Wenn Grossmächte andere Staaten mit militärischen oder wirtschaftlichen Sanktionen gängeln, dann ist der Gang vor Gericht für Kleinstaaten häufig der einzige Ausweg. Vor der Frage, ob sie sie diesen Weg gehen soll, steht derzeit die Schweiz.
Ende Juni hat die EU der Schweiz die Anerkennung ihrer Börsenregulierung verweigert. Für Wertschriftenhändler aus der EU ist es damit schwieriger geworden, an der Schweizer Börse ihre Papiere zu handeln.
Sachpolitisch begründen lässt sich dieser Schritt nicht, denn die Schweizer Regeln lehnen sich stark an der EU an und waren in der Vergangenheit nie ein Problem. Der unfreundliche Akt ist alleine politisch bedingt: Die EU will die Schweiz unter Druck setzen, damit sie endlich das ungeliebte Rahmenabkommen unterzeichnet.
«Das ist ein eindeutiger Rechtsbruch der EU», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Er sieht das Dienstleistungsabkommen der Welthandelsorganisation (WTO) verletzt. «Will die Schweiz nicht weiter von der EU gegängelt werden, muss sie diese Diskriminierung einklagen», sagt Aeschi.
Er sieht unter anderem Artikel 7 des Abkommens verletzt: Demnach muss ein Staat bei Anerkennungsentscheiden alle WTO-Mitglieder gleich behandeln. Diskriminierungen einzelner Länder sind explizit verboten.
Für Aeschi ist die Ungleichbehandlung der Schweiz offensichtlich, da die EU die Börsenregeln der USA und Australien als gleichwertig anerkennt, obwohl diese weniger eng an die EU angelehnt sind als jene der Schweiz. Aeschi sagt: «Ich verstehe nicht, wieso der Bundesrat nicht endlich die Streitschlichtungsbehörde der WTO anruft.»
Für den Bundesrat ist das Thema nicht neu. Die Börsenäquivalenz ist ein alter Zankapfel zwischen Bern und Brüssel. Als die EU nach dem Besuch von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Ende 2017 die Äquivalenz überraschend nur befristet verlängert hatte, fand die damalige Bundespräsidentin Doris Leuthard klare Worte. Eine «klare Diskriminierung der Schweiz» beklagte sie. Und: der Bundesrat hege «Zweifel an der Rechtmässigkeit dieses Entscheids».
Vergangenen Herbst versicherte der damalige Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann dem Parlament, dass der Bundesrat die unbefristete Anerkennung anstrebe. «Sollte dies nicht gelingen, ist die Lancierung eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens eine mögliche Handlungsoption für die Schweiz», sagte er.
Seit Ende Juni ist klar: Der bundesrätliche Plan ist nicht aufgegangen. Und doch gibt sich der Bundesrat weiterhin unverbindlich. «Der Bundesrat hat die Sachlage besprochen und bis heute keinen Entscheid dazu gefällt», heisst es aus dem Wirtschaftsdepartement .
Dem Vernehmen nach ist im Departement von Guy Parmelin erneut ein Seilziehen im Gang. Während die Entourage des SVP-Bundesrats der EU forsch entgegentreten möchte, bremst das Staatssekretariat für Wirtschaft aus Sorge um die Beziehungen zur EU.
Zumindest was die rechtliche Lage angeht, sehen Fachleute gute Chancen für die Schweiz. Der ehemalige Schweizer Botschafter in Brüssel Alexis Lautenberg sagt: «Die EU hat mit dem Entscheid zwei Bereiche miteinander verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben.» Es sei offensichtlich, dass sie damit die Schweiz zum Einlenken bewegen wolle.
Da es kein bilaterales Dienstleistungsabkommen gebe, sei die WTO zuständig für ein allfälliges Streitschlichtungsverfahren, sagt Lautenberg. Da er auch Verfahrensprinzipien verletzt sieht, räumt der Chefberater der Rechtskanzlei Covington & Burling einer Klage gute Chancen ein. Ähnlich hatte sich früher bereits Lorand Bartels geäussert, der Professor für Internationales Recht an der Universität Cambridge.
Selbst wenn die rechtlichen Chancen der Schweiz gut stehen: Im Parlament gibt es auch Stimmen, die vor einer Vergiftung des Klimas warnen, wenn die Schweiz die WTO anruft. Der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser will erst mal Ende Oktober abwarten. Bis dann strebt EU-Kommissionspräsident Juncker eine Einigung mit der Schweiz an.
«Es gibt keinen Grund, jetzt einen überstürzten Entscheid zu treffen und damit die EU zu brüskieren», sagt Noser. SVP-Fraktionschef Aeschi ist da anderer Meinung. «Wir müssen jetzt intervenieren, damit die EU nicht noch mehr Recht bricht.» (aargauerzeitung.ch)
Es geht um Rechtsbruch und auch der EU soll gezeigt werden, dass wir es ernst meinen. Klagen ist hier mehr als angebracht.
Wenn wir ernst genommen werden wollen, müssen wir auch mal unbequem werden.
Diese Duckmäuserpolitik ist jetzt wirklich genau das verkehrteste.
Aristoteles
Richtig damals, richtig heute.